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Eine Zeckenhysterie?

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Medizin und Journalismus vertragen sich schlecht. Allzuleicht gerät, salbst wenn Aufklärung beabsichtigt war, die medizinische Publizistik ins Fahrwasser der Sensationsmache. Fast war man versucht, die plötzliche Uber-Publicity, die der Zecken-Meningitis, der durch die lästigen Waldinsekten übertragenen Gehirnhautentzündung, zuteil gewordene Uber-Publicity für eine neue Erscheinungsform der Massenhysterie zu halten. Waldliebhabem und Waldspaziergängern sei es gesagt, geklagt — sie ist es nicht. Die Gefahr ist handfest, sie ist vorhanden — und sie ist nicht gerade klein.

Zwar ist nur jedes tausendste bis zehntausendste Exemplar von der den Spinnentieren angehörenden Gattung mit Meningitis verseucht, doch gibt es Gebiete in Österreich, wo jedes zwanzigste Tier die gefährliche Krankheit überträgt. 632 Erkrankungen wurden 1973 in Österreich registriert; Professor Kunz, Vorstand des Universitätsinstitutes für Virologie, schätzt, daß (die Dunkelziffer eingerechnet) rund 1000 Menschen angesteckt wurden. Zwei Prozent sterben, zehn Prozent erleiden Dauerschäden.

Die Krankheit ist nicht neu, aber die Zecke, in Österreich und Süddeutschland „der Zeck“, wurde erst spät als Urheber erkannt und vor allem allgemein bekannt. Wer einen „Zeck“ an sich entdeckt, sollte ins Virologische Institut (Wien, Kinder-spitalgasse 15) wandern und auf der dort vorhandenen, großen Landkarte nachsehen, ob er sich in einem der Meningitis-Befallsgebiete befunden hat. Wenn ja, wäre eine Impfung mit Immunglobulin fällig, die zwar nicht billig ist, aber viel billiger als ein jahrelanges Siechtum. (In den ersten drei Tagen nach dem Biß kostet sie

die Hälfte, weil weniger Impfstoff benötigt wird.)

Zwanzig Tote, hundert Dauergeschädigte pro Jahr in Österreich. Hier endet die „Hysterie“, hier beginnt ein echtes Problem, das nur durch (heuer zunächst an Forstarbeitern erprobte, völlig harmlose) Massenimpfungen mit einem Aktiv-Schutzstoff, der viel billiger ist als die Hin'terher-Spritze, gelöst werden kann.

Und gelöst werden muß, denn hundert Dauergeschädigte pro Jahr wachsen zu tausend leidenden Menschen in zehn Jahren an.

Die Krankenkasse vergütet die Kosten der Behandlung mit Immun-Globulin nach einem Zeckenbiß. Nicht ganz einzusehen ist nur, warum angesichts einer solchen volksgesundheitlichen Gefahr diese Behandlung, beispielsweise in Wien, nur an einer Stelle möglich ist. Das Institut für Virologie tut sein möglichstes, ist aber überlastet. Hier wären organisatorische Vorkehrungen zu treffen, oder eigentlich längst zu treffen gewesen.

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