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Einer geht arbeiten, fünf sind rot geworden

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„Der Strukturwandel ist schuld.“ Oft und oft wurde die Zauberformel vom Strukturwandel strapaziert, um eine scheinbar völlig sonnenklare Entwicklung zu deuten, wonach in ländlichen Gebieten die „Schwarzen“ scharenweise zu den Sozialisten überlaufen. Die Herren, die das alles erklärende Wort vom Strukturwandel im Mund führen, tragen meist Nadelstreif - mit exakter Bügelfalte, versteht sich - und Krawatte, was es schwer macht, zu glauben, sie seien schon einmal „dort“ gewesen, wo dieser vielbesprochene Strukturwandel zu Hause ist.

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„Der Strukturwandel ist schuld.“ Oft und oft wurde die Zauberformel vom Strukturwandel strapaziert, um eine scheinbar völlig sonnenklare Entwicklung zu deuten, wonach in ländlichen Gebieten die „Schwarzen“ scharenweise zu den Sozialisten überlaufen. Die Herren, die das alles erklärende Wort vom Strukturwandel im Mund führen, tragen meist Nadelstreif - mit exakter Bügelfalte, versteht sich - und Krawatte, was es schwer macht, zu glauben, sie seien schon einmal „dort“ gewesen, wo dieser vielbesprochene Strukturwandel zu Hause ist.

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Baumgarten bei Gnas, eine freundliche 693-Seelen-Gemeinde im oststeirischen Bezirk Feldbach, ist ein solcher Strukturwandel-Ort: Hier ist dieser Wandel zum Greifen, hier geht dieser Strukturwandel zur Arbeit, hier lebt er in der Gemeinschaft, hier bewegt er sich auf rosaroten Pfoten vorwärts, langsam, leise und stetig.

Den Anhängern der Volkspartei haben die Wähler am 6. Mai den Abend gründlich verdorben: Im Vergleich zur Nationalratswahl 1975 hat die Volkspartei elf Prozent der Wählerstimmen verloren, die Sozialisten haben elf Prozent dazugewonnen. Jetzt hält die ÖVP bei 65 Prozent, die SPÖ bei 33. Bei den Landtagswahlen 1974 brachte es die Volkspartei, als es erstmals um Landeshauptmann Friedrich Niederl ging, auf unglaubliche 91 (!) Prozent, bei den Landtagswahlen im Herbst 1978 kam sie immer noch auf 88 Prozent.

In Wählerstimmen ausgedrückt: Am 8. Oktober 1978 gaben 336 Gemeindebürger der ÖVP unter Niederl ihr Vertrauen, 42 Baumgartner zogen die SPÖ vor. Sieben Monate später warfen 256 - also um genau 80 weniger - Wähler den Stimmzettel für die ÖVP in die Urne. Im Vergleich zur vorhergegangenen Landtagswahl kamen dafür die Sozialisten statt auf 42 bereits auf 129 Stimmen.

Soweit also die nüchternen Zahlen, wie sie sich an jedem Wahlabend darstellen. Welches Schicksal aber, welche Geschichte, welche Menschen stecken hinter diesen nackten Zahlen?

Einige Funktionäre von Baumgarten haben sich gerne einem Gespräch mit der FURCHE zur Verfügung gestellt: Adolf Hirschmann, Bürgermeister von Baumgarten, Emmerich Hermann, Ortsobmann der ÖVP, und Herbert Kohlmaier, örtlicher Bauernbund-Chef. Daß sich kein SPÖ-Obmann von Baumgarten dem Gespräch stellte, ist kein Fall von Manipulation: Es gibt ihn nicht, die Sozialisten haben in dieser Gemeinde (noch) keine eigene Organisation.

Zuerst zieht der Bürgermeister statistische Unterlagen über seine Gemeinde aus einer Mappe: Es gibt im Ort 120 landwirtschaftliche Betriebe; davon werden 41 im Vollerwerb, 22 im Zuerwerb, 57 im Nebenerwerb be-

Foto: Hannes Krois trieben. Noch vor zehn Jahren, meint Bürgermeister Hirschmann, sei das Bild ein anderes gewesen: „Damals haben wir sicher noch mehr als 60 Vollerwerbsbauern gehabt... aber heute? Ein Großteil unserer Nebenerwerbsbauern arbeitet in Wien, die fahren für die ganze Woche hinaus, einige fahren auch nach Graz.“

Der Großteil jener Baumgartner, die hauptberuflich „in der Stadt“ arbeiten und am Abend oder gar nur am Wochenende ihre kleine Wirtschaft pflegen, ist in der Baubranche beschäftigt. Aber gerade für einen Bauarbeiter gibt es in der näheren Umgebung kaum einen lockenden Arbeitsplatz.

Da ist der Gemeindevater mit seinen Mitarbeitern in der ÖVP einer Meinung: „Das Lohnniveau ist hier viel zu niedrig. Wenn man überhaupt Arbeit findet, dann kann man mit drei- oder viertausend Schilling rechnen.“ Gemeint sind damit etwa zwei Schuhfabriken in den sechs oder sieben Kilometer entfernten Orten Gnas und St. Stefan. Auf diesen „billigen“ Arbeitsplätzen sind meist Frauen (die auf Grund ihrer Familienpflichten oft gar nicht weiter weg fahren können) und Jugendliche beschäftigt.

Hauptargument, auch geringe Bezahlungen bei schwerer Arbeit, oft unter Akkordbedingungen, auf sich zu nehmen, ist oft, daß dann der Familienerhalter schlicht und einfach die Sorge um die Sozialversicherung los ist. Die meisten Jungen haben ein viel vitaleres Interesse, in irgendeinem Beruf Fuß zu fassen, als sich auf die Übernahme der Landwirtschaft vorzubereiten: Weil sie zu genau wissen, daß diese Zukunft eine ungesicherte wäre.

In vielen Fällen ist die kleine Landwirtschaft nicht mehr als eine vor den Türen des Hauses ausgebreitete Speisekammer, die auch nur in einzelnen Sparten für einen gedeckten Mittagstisch sorgt und das Haushalts-Budget der Familie entlastet. Bauernbundobmann Herbert Kohlmaien „Die Landwirtschaft spielt einkommensmäßig bei den meisten eine geringe Rolle; die Landwirtschaft läuft nur noch mit - für die Selbstversorger.“

Daß die Landwirtschaft für den überwiegenden Teil der Baumgartner zuwenig Ertrag bringt, ist schon aus der Größenstruktur ersichtlich: 57 der 120 landwirtschafltichen Betriebe liegen in einer Größenordnung von null bis fünf Hektar. 59 Betriebe verfügen über eine Gesamtfläche von fünf bis 20 Hektar, nur vier Land wirk schaften sind mit mehr als 20 Hektar ausgestattet. Und dabei ist noch Fläche nicht mit Nutzfläche zu verwechseln: Bis zu zwei Drittel der angegebenen Flächen entfallen auf Wald und unwegsames Gelände, wo nur unter schwierigsten Bedingungen angebaut werden kann.

Auch sonst wirft die Sonne nur spärliche Strahlen auf Baumgarten. Es gibt kaum Spezialkulturen, keine spezialisierten Obstbaubetriebe, noch keinen Weinanbau, keinen Fremdenverkehr, keine sonstigen Betriebe im Ort - sieht man von zwei im Familienbetrieb geführten Gastwirtschaften und einer kleinen Tischlerei mit sechs Beschäftigten ab. Die kleine Gemischtwarenhandlung kann auch nicht recht gedeihen, die Hausfrauen kaufen ein in Feldbach, Gnas und St. Stefan: Bei Hofer und Konsum, im Einkaufszentrum und bei der Genossenschaft - schließlich spielt der Preis eine zentrale Rolle.

Die Genossenschaften sind ein nicht zu unterschätzender Faktor. Man kriegt hier so ziemlich alles: Vom Treibstoff über Baumaterial, von Getränken über Kleider bis zum Auto in vielen Fällen. Und der Preis scheint zu stimmen, womit das Drama für die da und dort noch vorhandenen kleinen Gewerbebetriebe beginnt; einer nach dem anderen kann nicht mehr mithalten, muß zusperren. Auch die Frau von Bürgermeister Hirschmann richtet sich danach, wo's billiger ist: „Das Mineralwasser und das Kracherl ist bei der Genossenschaft in St. Stefan halt schon viel billiger.“

Freüich gibt es auch in Baumgarten ein paar Bauern, man kann sie an den Fingern einer Hand abzählen, die größere Betriebe haben. Es gibt drei Landwirtschaften mit jeweils einigen tausend Stück Geflügel, zwei oder drei Betriebe mit jeweils rund 300 Schweinen. Doch sie stellen heute die äußerst seltene Ausnähme dar, wobei es freüich kein Geheimnis ist, daß die Volkspartei oder der Bauernbund in solchen Gemeinden wohl eher von Bauern der besitzenden Gruppe vertreten wird.

Unter Strukturwandel versteht man oft auch, daß sich neue Strukturen des Zusammenlebens ergeben -etwa in Folge einer Gemeindezusammenlegung. Es entstehen neue Zentren, Nebenzentren, das Innenleben einer solchen Gemeinde wandelt sich plötzlich und die „Kirche ist nicht mehr im Dorf.“

Baumgarten hat mit ähnlichen Problemen, mit einem fehlenden Zusammengehörigkeitsgefühl, immer schon zu kämpfen gehabt. Die 894 Hektar große Gemeinde besteht aus den verstreuten Ortsteüen Baumgarten, Badenbrunn und Wörth. Womit die Gemeinde nicht nur drei verschiedene Postleitzahlen hat und ihre Bürger von drei verschiedenen Pfarren (Baumgarten selbst hat keine Pfarre) betreut werden: Die Kinder fahren in Verschiedene Windrichtungen zur Schule, nach St. Stefan, Gnas und Paldau, in der medizinischen Versorgung ist man auf die selben drei Orte angewiesen.

Ortsparteiobmann Emmerich Hermann: „In unserer Gemeinde kennen sich die Leute gar nicht; wenn etwas veranstaltet wird, sind allerdings die meisten da, aber die tägliche Gemeinschaft, die gibt's nicht.“

Außerordentlich viele Rentner leben auch im Ort, wechselt jetzt der Bürgermeister das Thema: „Fast in jedem Haus lebt ein Zuschußrentner.“ Und „die Rente kommt vom Kreisky“, ergänzt Emmerich Hermann, „da kann sie die ÖVP noch sooft 1969 beschlossen haben, eingeführt wurde sie 1970.“ Jetzt kann sich's Bezirksparteisekretär Halbedel auch nicht verkneifen: „Die Zuschußrentner haben gewaltig umgeschmissen: hundertprozentig!“ Aus Angst vor der Rente hätten so manche rot gewählt, versichert man übereinstimmend.

Es wäre zu einfach die Bilanz so zu ziehen: Schlechte Funktionäre auf Ortsebene, schwache Organisation. Wohl eher ist es aber so, daß auf höherer und höchster politischer Ebene nur bekannt ist, aus welchen Buchstaben das Wort Strukturwandel besteht. Bis sich an der Spitze aber die richtige Diagnose samt Therapie einstellt, wird auch in Baumgarten der Abwehrkampf der ÖVP so schlecht und recht fortgesetzt. Wie sagte Ortsobmann Emmerich Hermann leicht schicksalsergeben? „Einer geht arbeiten, fünf sind rot g'worden...“

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