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„Einfache” oder Gesamtänderung?

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Die Bürgerinitiative „Pro-Vorarlberg” ist zu einem publizistischen Spätsommer schlag er geworden. Hier soll - an Stelle von Aufbruchsstimmung auf der einen und Vorwürfen über reaktionäre Gesinnung auf der anderen Seite - eine nüchterne Gegenüberstellung der Vorarlberger Forderungen und der diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Grundlagen gegeben werden.

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Die Bürgerinitiative „Pro-Vorarlberg” ist zu einem publizistischen Spätsommer schlag er geworden. Hier soll - an Stelle von Aufbruchsstimmung auf der einen und Vorwürfen über reaktionäre Gesinnung auf der anderen Seite - eine nüchterne Gegenüberstellung der Vorarlberger Forderungen und der diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Grundlagen gegeben werden.

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Vorweggenommen sei, daß entgegen frühen Presseberichten Aus- drucksweise und Formulierungen des „Statutės”, wie es in den „Vorarlberger Nachrichten” vom 11. September veröffentlicht wurde, in zentralen Punkten derart ungenau und mehrdeutig auslegbar sind, daß eine exakte verfassungsrechtliche Analyse von mehr als einem Inhalt auszugehen hätte. Es ist anzunehmen, daß diese Mehrdeutbarkeit nicht zufällig ist.

Hier wird jedoch nur die bundes- Staatsfreundlichste Variante näher betrachtet. Jeder Versuch eines der österreichischen Bundesländer, sich so stark zu verselbständigen, daß die Verbindung mit der Republik (dem „Bund”) nur mehr eine formelle, nach außen in Erscheinung tretende wäre (anstatt eines Bundesstaates ein Staatenbun’d!), würde eine Gesamtänderung unserer Verfassung bedeuten.

Erläuternd sei bemerkt, daß es Verfassungsänderungen in zwei Formen mit unterschiedlicher Intensität und Rechtsfolgen gibt: die „einfache” Verfassungsänderung und die Gesamtänderung.

Darunter versteht die maßgebende Auslegung des Verfassungsgerichtshofes eine Veränderung im Grundsätzlichen, in den elementarren Bestandteilen. (sog. „leitende Prinzipien”, z. B. das demokratische, republikanische, bundesstaatliche). Ihr Vorliegen im konkreten Fall festzu- stellen ist Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes.

In diesem Fall ist zusätzlich zur Beschlußfassung mit Zweidrittelmehr- k heit im Nationalrat noch die Abhaltung einer Volksabstimmung zwingend vorgeschrieben. Eine solche ist hingegen bei „einfachen” Verfassungsänderungen nicht notwendig. Es genügt die Zweidrittelmehrheit.

Wenn hier von „Verfassung” die Rede ist, ist immer die des Bundesstaates gemeint. Die Landesverfassungen sind im Stufenbau der österreichischen Rechtsordnung der Verfassung des Bundes als oberster politischer Einheit untergeordnet. Deshalb ist die programmatische Erklärung des Artikel 1 der Vorarlberger Landesverfassung („Vorarlberg ist ein selbständiges Bundesland der demokratischen Republik Österreich. Als selbständiger Staat übt Vorarlberg alle Hoheitsrechte aus, die nicht ausdrücklich dem Bunde übertragen sind oder übertragen werden.”) verfassungsrechtlich nicht viel mehr als Pathos.

Der Forderungskatalog des „Statutes” beginnt mit: „Dem Land Vorarlberg steht die uneingeschränkte Gesetzgebung und Vollziehung in allen Angelegenheiten zu, die es selbst zumindest gleich gut für Vorarlberg besorgen kann.”

Dieser Wunsch kann in etwa mit dem viel strapazierten Schlagwort Subsidiaritätsprinzip umschrieben werden und paßt als solcher durchaus in den allgemeinen Staats-Typus Bundesstaat, weniger jedoch in die österreichischer Verfassung (Artikel 15/1 Bundes-Verfassungsgesetz, wonach alle nicht ausdrücklich dem Bund übertragenen Angelegenheiten im selbständigen Wirkungsbereich der Länder verbleiben). Daraus vermutet man vorerst eine starke Stellung der Länder. Weit gefehlt. Als Gründe für die Abschwächung des Föderalismus seien genannt:

Erstens: Was nützt die Generalklausel des Art. 15 Bundes-Verfas- sungsgesetz (B.-VG) den Ländern, wenn fast alle wichtigen Kompetenzen in den vorhergehenden Artikeln oder in verfassungsgesetzlichen Sonderbestimmungen (z. B. den Wirtschaftslenkungsmaßnahmen) dem Bund eingeräumt sind?

Zweitens: Der Verfassungsge richtshof betreibt nicht nur wegen seiner Besetzungsvorschriften, sondern auch auf Grund des österreichischen, stark positivistischen Verständnisses vom Verfassungsrecht eine im Zweifel eher bundesregie- rungsfreundiche Verfassungsinterpretation.

Das „Statut” fordert sodann „ins besondere”, also nur beispielhaft angeführt, folgende Angelegenheiten als eigene Kompetenzrechte: „völlig eigene Landesorganisationen, ein solches eigenes Finanzrecht an Stelle der ungerechten Steuergesetze aus Wien, daß der Landeshaushalt überwiegend aus eigener Kraft bestritten werden kann, Schule und Rundfunk, Sozialversicherung, Urproduktion und Umweltschutz, Mietzins- und Milchpreisbildung, Ausländerwesen und Verträge mit Nachbarländern in Landessachen”.

Das alles ist verfassungsgesetzlich dem Bund Vorbehalten, indem dies als Kompetenztatbestand entweder ausdrücklich erwähnt ist oder vom Verfassungsgerichtshof interpretativ unter einer solchen subsumiert wird. Letzteres geschah z. B. mit dem Rundfunkwesen, wobei die antragstellende Vorarlberger Landesregierung, die dessen Zuordnung gemäß Art. 15/1 B.-VG in die Länderkotnpe- tenz begehrte, abgewiesen wurde. Dieses Erkenntnis des VfGH aus dem Jahre 1954 war von weitreichender Bedeutung.

Die Übertragung der erwähnten Materien in die Kompetenz der Länder würde, jede für sich alleine genommen, nur eine einfache Verfassungsänderung darstellen. Ganzheit lich betrachtet dürfte es sich jedoch um eine Gesamtänderung handeln. Die Übertragung so bedeutsamer Staatsaufgaben in Verbindung mit einer fast alles umfassenden Generalklausel würde eine tiefgehende Umschichtung unseres Verfassungsgefüges bedingen. Wie schwerwiegend eine Annahme des „Statutes” für die Bundesverfassung wäre, ergibt sich eindeutiger aus den Punkten zwei und drei: gefordert werden hier ein Zustimmungsrecht des Vorarlberger Landtages zu Verfassungs- und einfachen Gesetzen bei Gefährdung von Landesinteressen bzw. die Ersetzung des Verfassungsgerichtshofes durch eine „gleichmäßig von Bund und Land und einem neutralen Vorsitzenden zusammengesetzte Schiedskommission” bei Kompetenzstreitigkeiten. Dies ist mit der österreichischen Variante des Bundesstaates schwer vereinbar und auch rechtsstaatlich bedenklich; hier kann eine Gesamtänderung angenommen werden.

Selbst wenn Punkt eins des „Statutes” typologisch eine Verstärkung des bundesstaatlichen Charakters darstellt, könnte es sich verfassungsdogmatisch, also nach dem geltenden Verfassungsrecht, um einen Widerspruch zum Bundesstaatscharakter des Verfassungsgesetzes handeln, an dessen Maßstab sich der Verfassungsgerichtshof orientiert.

Letztlich hängt die Frage „Gesamtänderung oder nur einfache Verfassungsänderung” von den konkreten Formulierungen eines juristischen Entwurfs ab. Ein politisches Programm ist dafür keine geeignete Grundlage.

(Der Autor ist Assistent am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien.)

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