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In den vergangenen Jahren wurden die Salzburger Festspiele immer erst nach ihrem jeweiligen Abschluß, also in der letzten August- oder in der. ersten Septemberwoche, kritisiert. Heuer gab es nicht nur Diskussionen und Kommentare noch bevor sich der erste Vorhang hob, sondern es gab auch eine inzwischen vielzitierte radikale Infragestellung des ganzen Unternehmens durch den bekannten Bühnenautor Eugene Jonesco. Dies geschah gerade' heuer, da sich neue Kräfte zu regen scheinen, die zwar hoch keinen Festspielsommer machen, aber doch als Versprechen für die Zukunft gewertet werden können.

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In den vergangenen Jahren wurden die Salzburger Festspiele immer erst nach ihrem jeweiligen Abschluß, also in der letzten August- oder in der. ersten Septemberwoche, kritisiert. Heuer gab es nicht nur Diskussionen und Kommentare noch bevor sich der erste Vorhang hob, sondern es gab auch eine inzwischen vielzitierte radikale Infragestellung des ganzen Unternehmens durch den bekannten Bühnenautor Eugene Jonesco. Dies geschah gerade' heuer, da sich neue Kräfte zu regen scheinen, die zwar hoch keinen Festspielsommer machen, aber doch als Versprechen für die Zukunft gewertet werden können.

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Alles, was über Konzept und Programm, über Ausführung, Verantwortung und Planung, speziell was den Anteil von Zeitgenössischem und österreichischem im Festspielprogramm betrifft, wurde an dieser Stelle bereits zu wiederholten Malen mit aller Ausführlichkeit dargelegt. Vergleicht man das bisher Dargebotene und Angekündigte mit dem der letzten Jahre, so kann man einige Positiva verzeichnen.

Da sind zunächst zwei gelungene Mozart-Neuinszenierungen — von sehr verschiedener Art, zugegeben. Da gibt es eine „Cenodoxus“-Auffüh-rung von bedeutendem künstlerischem Interesse. Zwar wurde das Stück von seinem „Bearbeiter“, der sich durch Verunglimpfung der Reformation und durch seine Martin-

Luther-Beschimpfung nicht nur einen Namen, sondern auch ein kleines Vermögen gemacht hat, zu einem Anti-„Jedermann“ umfunktioniert. Aber ein künstlerischer Beitrag zum Problem des Todes und des Sterbens paßt sehr wohl in das dramatische Gesamtkonzept.

Das Werk eines jüngeren österreichischen Dramatikers hat bisher zwar, ähnlich wie die Schachweltmeisterschaft, mehr durch das skandalöse Drum und Dran als durch seine Substanz von sich reden gemacht, aber immerhin hat der Autor versucht, durch die Thematik seines Stückes auf Salzbürg Bezug zu nehmen. (Näheres im Kulturteil dieser Nummer.)

Auch der breitere Anteil, den man in den Konzertprogrammen der neuen Musik eingeräumt hat, kann positiv vermerkt werden — obwohl wir wiederholt und nachdrücklich davor gewarnt haben, dies in der Weise zu tun, wie es jetzt geschehen ist: indem man nämlich die Modernen in ein fünfteiliges Getto sperrte. Und entsprechend war auch der Besuch, der hingegen bei den drei „Wozzeck“-Reprisen nichts zu wünschen übrigließ ...

Fast könnte man abergläubisch werden, denn dieses so gewichtige Programm wurde durch eine Veranstaltung eingeleitet, die bestenfalls kabarettistisches Interesse beanspruchen durfte: Es war eine vom ORF veranstaltete Diskussion unter dem Motto „Gegenwart und Zukunft der Salzburger Festspiele“, anläßlich ihrer 50. Wiederholung und zur Einweihung des neuen Salzburger ORF-Studios. Zwar hatte sich kein Vernünftiger, der auch nur einigermaßen die Schwierigkeiten, vor allem aber die Imponderabilien im neuen Direktorium kennt, eine An-wort auf alle wichtigen Fragen im Rahmen eines solchen Gespräches erhofft. Aber auf eine solche Pleite war man nicht gefaßt, die um so bedauerlicher ist, als sie coram publico vorgeführt wurde: in einer einstündigen Fernsehübertragung im 1. Programm ab 21.15 Uhr.

Statt der angekündigten Teilnehmer, von denen einiges zu erwarten gewesen wäre, plauderten fünf Künstler, die alle bei den heurigen Festspielen beschäftigten waren, gemeinsam mit je einem Kritiker aus Salzburg und Wien darauflos. Und der Diskussionsleiter erwies sich als völlig unfähig, auch nur einen einzigen Gedanken verfolgen zu lassen oder wenigstens die neckischen Repliken und Anspielungen, die Leerläufe, das polyphone Durcheinander — und das Darumherumge-rede zu stoppen. Dabei hätte sich eine völlig andere Zusammensetzung der Diskussionsrunde in diesem quasi historischen Moment geradezu angeboten, nämlich: das gesamte Direktorium, bestehend aus den Herren Kaut, Karajan, Haeusserman, Gehmacher und Wimberger drei bis fünf profilierten in- und ausländischen Kritikern gegenüberzusetzen. Da wäre nicht nur manche Katze aus dem Sack, sondern vielleicht auch manche Anregung zum Vorschein gekommen. So aber war es eine einzige, spektakuläre Peinlichkeit.

Und dann kam, am Tag der Eröffnung, mit der „Festrede“ Ionescos und ihrer Übertragung, bzw. ihrer NichtÜbertragung, der zweite Schlag ins Kontor.

Diese Rede ist in extenso oder auszugsweise inzwischen von mehreren Tageszeitungen publiziert worden und steht auch an erster Stelle im Festspielalmanach. Es war ein einziger Kassandraruf: über unsere böse, von Krieg und Gewalt bedrängte Welt, über den Verfall der Kultur, die Machtlosigkeit auch der Religion und den illusionären Charakter der Kunst, die, für Ionesco, nur noch ein Wandschirm ist, der unsere Angst vor Elend, Ekel, Trauer, Schrecken, vor allem aber vor dem Tod vor uns selbst verborgen hält. Aber helfen kann uns die Kunst nicht, denn weder die Literatur noch das Theater der Gegenwart haben gegen unsere Seelenschmerzen ein Mittel gefunden, sie haben unseren Schmerz

Fortsetzung auf Seite 2

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