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Einige besorgte Bemerkungen

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Ew Rahmen einer pastoral orientierten Lehrverkündigung sollte es m. E. nicht allein um eine plausible Darstellung der Offenbarungs wahrheiten an sich gehen, sondern auch um eine angemessene Gewichtung bei der Darstellung der einzelnen Anspruchsnormen. Nach meinem Dafürhalten ist es nun bedenklich, wenn in den letzten Jahrzehnten bei Präsentation des Glaubensgutes das Gewicht der Lehren in der Tendenz weitgehend auf die Einhaltung derfür sexuell belangreich gehaltenen Gebote gelegt wird, und dies zuweilen in Bereichen, die der moralischen Bewertung nur bedingt zugänglich sind, wie etwa in der Frage der Pille.

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Ew Rahmen einer pastoral orientierten Lehrverkündigung sollte es m. E. nicht allein um eine plausible Darstellung der Offenbarungs wahrheiten an sich gehen, sondern auch um eine angemessene Gewichtung bei der Darstellung der einzelnen Anspruchsnormen. Nach meinem Dafürhalten ist es nun bedenklich, wenn in den letzten Jahrzehnten bei Präsentation des Glaubensgutes das Gewicht der Lehren in der Tendenz weitgehend auf die Einhaltung derfür sexuell belangreich gehaltenen Gebote gelegt wird, und dies zuweilen in Bereichen, die der moralischen Bewertung nur bedingt zugänglich sind, wie etwa in der Frage der Pille.

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Die Enzyklika „Humanae Vitac” hat in den USA und in England zu einer Verhaltensspaltung und Kirchenfremdheit gerade bei bisher gläubigen Katholiken, besonders bei Frauen geführt.

Vielen Menschen, selbstverständlich vor allem jene, die am Rande der Kirche angesiedelt sind, scheint als Folge einer Uberbetonung der Sexualgebote das Christliche keine Frohbotschaft zu sein, sondern sich nur mehr über eine ihm als spezifisch zugerechnete Sexualmoral zu präsentieren. Alle anderen in der Heilsbotschaft angelegten Grundwerte haben nach der Vermutung nicht allein von Kirchenfernen lediglich einen inferioren oder ergänzenden Charakter.

Als Nichttheologe kann ich mich jedenfalls seit Jahren nicht des Eindrucks erwehren, daß dem Sexuellen in der kompetenten Lehrverkündigung der Gegenwart ein unangemessen großes Gewicht beigemessen wird, so als ob das Menschliche am Menschen nur unterleiblich lokalisiert wäre; wenn auch das Geschlechtliche kein Akzessorium, sondern ein Konstitutivum des Humanuni darstellt (J. Rief, Intern. Kath. Z. 4/f7.

Trotz dieser Bedenken soll jedoch der Kirche keineswegs die Kompetenz für eine Verhaltensbeurteilung im Bereich des Geschlechtlichen abgesprochen werden; dies schon gar nicht angesichts einer im Einzelfall bereits für den Amtsarzt reifen, perversen sexuellen Libertinage, die zum Kern eines auch rege geförderten expandierenden Pornokapitalismus geworden ist. Für viele ist Freiheit nur mehr sexuelle Freiheit.

Ich halte es aber anderseits für geboten, daraufhinzuweisen, daß vor allem bei jungen Menschen viele Sexualgebote der Kirche angesichts der relativen Fülle und der publiken Dichte derselben nur mehr apathisch registriert oder nicht ernst genommen werden. Man hält dabei keineswegs die Hinweise auf das geschlechtliche Verhaltenssoll für unangemessen, sondern nur den hervorgehobenen Bedeutungsrang der spezifischen Verpflichtungen - vor allem bei Klassifikation der negativen Abweichungen.

Wenn etwa geschiedenen, zivil wiederverehelichten, aber ostentativ gläubigen Menschen generell der Empfang der Sakramente vorenthalten, oder, falls zugestanden, zu einem Gnadenakt gemacht wird, nicht aber beispielsweise Schwerverbrechern: Wo ist da die erwartete Verhältnismäßigkeit bei Klassifikation der Vergehen? (Wobei im Fall der Scheidung erschwerend noch die Praxis kirchlicher Ehegerichte dazukommt, die mit unzumutbaren Verfahrenszeiten eine kirchliche Scheidung in einer angemessenen Frist praktisch unmöglich erscheinen lassen, und dies in einer Situation, in welcher etwa in den USA heute jede zweite Ehe geschieden wird!)

In der Frage der kirchlichen Wieder-verehelichung zivil Geschiedener wird von kirchlicher Seite vielfach ein Standpunkt eingenommen, der auf die Natur des Menschen zuwenig Bedacht nimmt und lediglich formal-juristisch begründet ist (s. Herder-Korrespondenz 1/1977). Jedes Gesetz ist aber vor allem vom Sinn her (Epikie) und nicht positivistisch (Juridismus), vom Wortlaut her, zu erfüllen.

Unverkennbar hat die Bedeutungsverschiebung innerhalb der einzelnen Kategorien der Lehrverkündigung zum Rangverlust einer Theologie der Liebe geführt, die nach dem Geist des Evan-gelismusallessittliche Handeln orientieren sollte. Liebe wird aber gegenwärtig allseits und relativ vielfach auch von einzelnen Instanzen in der Kirche nur mehr auf cupiditas (amor sensitivus) reduziert - Grund zur Vermutung, die Moral habe im Wesen lediglich den Charakter von verordneter Sexualmoral, während doch die „Einfügung der Sexualität in die Ordnung der vollen Liebe” eine Aufgabe ist, „die der Mensch selbst erfüllen muß” (K. Hörmann in: „Lexikon der christlichen Moral”).

Die Folge ist eine „Abdiskontie-rung” der „Rest”-Moral, die dann in Regionen eines barbarischen Agrarka-pitalismus in Südamerika in einer bis zur Apologie des Politterrors gehenden „Theologie der Befreiung” absolut gesetzt wird. Dabei vermengt sich die ökonomistische Orientierung eines Pseudomarxismus mit Segmenten einer im Wesen profanen Sexualmoral. Die Bedeutung eines utopischen Sozialen wird schließlich absolut gesetzt.

Mitunter hat man jedenfalls Grund zur Annahme, es gebe eine Art von katholischer Dualmoral, ein Nebeneinander von Sexual- und Sozialmoral, deren theologische Vertreter einander kaum respektieren. Gott aber will Menschen, die mit ihm in der Gemeinschaft der Liebe stehen (Duns Scotus). Daher soll es zu keiner unangemessen geringen Betonung der Liebe in der Lehrverkündigung kommen - etwa dadurch, daß man sie kaum oder lediglich in ihren negativen Abweichungen darstellt.

Die sexuellen Exzesse, vor allem soweit sie in einer amtlich bestens geförderten Literatur Und in der „society” der nunmehr herrschenden Klasse als Verhaltensstil „feiner Leute” vorgeführt werden, gehören nicht zum Realtypischen gesellschaftlichen Verhaltens. Meist sind es Verdrängungspraktiken von anarchisch agierenden Randpersonen, die sich freilich der zu optimaler Publizität führenden Förderung einzelner Massenmedien erfreuen dürfen. Deshalb allein darf man aber das Alltagsleben nicht mit einem Aggregat von sexuellen Anomien verwechseln, wie dies etwa eine als repräsentativ angesehene „moderne” Literatur tut.

Vielfach hat man auch das Gefühl, daß kirchliche Lehrverkündigung zuweilen Eros und Sexus vermengt und dabei die Ehe pragmatischbäuerlich in erster Linie als legitimierte Produktionsstätte für Kinder (Arbeitskräfte) versteht.

Daher stellt offensichtlich Impotenz und nicht etwa eine konstante, nachweisbare Lieblosigkeit ein schweres Ehehindernis dar (Vat. Kongregation für die Glaubenslehre, 31.7.1977). Andererseits ist aber nach authentischer Lehre die Fortpflanzung nicht das einzige Ziel der Ehe. Liebe-Schenken in der Ehe muß daher nicht in allen Situationen mit Zeugungsintentionen verbunden sein.

Von einem nicht unbeträchtlichen Teil der jungen Menschen, die gewillt sind, weitgehend im Sinn der Verhaltensmodelle des Evangelismus zu leben, wird m. E. eine kirchlich proklamierte Sexualmoral dann nicht im erwarteten Umfang angenommen, wenn sie lediglich als Sexualaskese verstanden werden soll: Die Generationslücke in der Beteiligung am kirchlich-religiösen Leben ist daher auch die Folge eines Defizits an plausiblen Verhaltensmustern, die der Jugend für den Bereich des Sexuellen vollziehbarer scheinen.

Andererseits kommt dem Sexuellen im Alltag weniger Bedeutung zu, als dies manche Theologen und sogenannte Sexualpädagogen zuweilen vermuten. Das beklagte Nein von Teilen der Jugend zur Kirche ist selten ein Nein zum Insgesamt der Heilsbotschaft, schon gar nicht zum Religiösen, das in der Interpretation mancher soziologisieren-der Fachtheologen auf eine affektfreie Humanethologie zurückgeführt wird, wie sie etwa auch in der Schimpansenforschung wahrgenommen werden kann.

Gerade die Massenteilnahme an der missionarisch orientierten Aktion „Wozu glauben?” läßt für Österreich Schlüsse zu, welche die genüßlich-pes-simistischen Behauptungen mancher Theologen keineswegs bestätigen. Wenn aber bei einer Beurteilung möglicher Vergehen gegen die Grundwerte des Evangelismus ein als Abweichung klassifiziertes sexuelles Verhalten die geringste Chance der Vergebung hat, führt dies zu einem bedenklichen Indifferentismus einer Jugend, die gegenwärtig kaum weniger religiös Orientiert ist als ehedem. Ein Anzeiger ist die Flucht in die von vielfach kriminell agierenden Ausbeutern geführten Jugend sekten.

Als Folge einer Redundanz an Sexualnormen kann es m. E. gerade unter gläubigen Christen zu einer Doppelmoral kommen, zu einer nur-verbalen Annahme von intern als ein „Allzuviel” empfundenen Grundsätzen und zu einem abweichenden autonomen privaten Verhalten, das sich an die jeweilige Situation anpaßt. •

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