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Einmaleins nach der Flucht

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Seit kurzem müssen auch 2.200 Flüchtlingskinder aus Bosnien in Wien die Schulbank drücken. Sprachschwierigkeiten prägen vor allem noch ihren Schulalltag. Darunter leiden allerdings auch ausländische Schüler, die schon länger hier sind.

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Seit kurzem müssen auch 2.200 Flüchtlingskinder aus Bosnien in Wien die Schulbank drücken. Sprachschwierigkeiten prägen vor allem noch ihren Schulalltag. Darunter leiden allerdings auch ausländische Schüler, die schon länger hier sind.

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Einer der 38 Standorte, an dem die kleinen Bosnier unterrichtet werden, ist die Volksschule Schulgasse im 18. Wiener Gemeindebezirk. Drei Klassen konnte Direktor Josef Jerabek in seinem Gebäude unterbringen. Da aber praktisch kein Raum für die sechzig Schüler frei ist, findet der Unterricht nur am Nachmittag statt. Sobald die Schule zur Mittagszeit leer steht, beginnen die Flüchtlingskinder mit Lesen, Schreiben und Einmaleins.

Zwei Drittel der Kinder absolvieren lehrplanmäßig die Grundstufe, was der ersten und zweiten Klasse Volksschule entspricht. Ihre Lehrer, die ebenfalls aus Bosnien stammen, müssen daher „Taferlklaßler" und bereits erfahrene Schüler gleichzeitig unterrichten. Da die drei Lehrer selbst sehr wenig oder nur gebrochen Deutsch sprechen, können sie die Kinder nur in ihrer Muttersprache unterrichten. Zwölf Stunden pro Woche wird Deutsch gelernt.

Während im Stadtschulrat vor einigen Wochen noch hektisches Treiben um die Zuweisung und Qualifikation der bosnischen Lehrer herrschte, plagen Direktor Jerabek nun ganz andere Sorgen.

So mußte beispielsweise für die neue Stundeneinteilung aufgrund des Nach-mittagsunterrichts die Pausenuhr umgestellt werden. Ein Detail, das im Prinzip unbedeutend erscheint, für den Schuldirektor aber ein Mosaikstein-chen in einem ganzen Gemälde an organisatorischem „Kleinkram" ist, den es zu bewältigen gilt: „Die kleinen Dinge sind ein Wust an Arbeit, den man noch gar nicht überschauen kann". Da die Flüchtlingskinder weder Schultaschen noch Hefte oder Schreibmaterial besitzen, mußte dies erst einmal besorgt werden. Auch Turnsackerl oder die in der Volksschule üblichen Hauspatschen konnten die Kinder nicht mitbringen. Ebenso mußte der Schuldirektor Fotos für die Fahrausweise besorgen.

Übermenschliche Leistungen

Sessel werden regelmäßig von einem Klassenraum in den anderen transportiert, da auch sie Mangelware sind. Schulbücher existieren praktisch keine, die Lehrer können ihren Schülern nur mit kopiertem Unterrichtsmaterial dienen. Auch das Zustandekommen eines islamischen beziehungsweise serbisch-orthodoxen Religionsunterrichts ist noch nicht geklärt.

Doch all die Organisationsarbeit für die Flüchtlingskinder erscheint immer noch klein im Vergleich zu den täglichen Problemen dieser öffentlichen Volksschule. „Meine Lehrer leisten fast schon Übermenschliches, aber sie müssen es tun", hebt Jerabek die große Mehrbelastung im „regulären" Unterricht hervor.

Rund 80 Prozent seiner 170 Schulkinder sind Ausländer, einige von ihnen können sogar trotz österreichischer Staatsbürgerschaft nur sehr wenig Deutsch sprechen. Die Lehrer erhalten zwar Unterstützung durch Begleitlehrer, aber der Großteil des Unterrichts ist doch von Verständigungsschwierigkeiten gekennzeichnet. „Den Eltern kann allerdings kein Vorwurf gemacht werden", betont Direktor Jerabek ausdrücklich. Viele könnten nicht gut genug Deutsch, um ihren Kindern die Zweitsprache beizubringen. Außerdem sind meistens beide Elternteile berufstätig und haben auch gar nicht die nötige Zeit dazu.

Jerabek demonstriert das Problem seiner Schule anhand eines Stadtplans. Der 18. Bezirk Wiens gilt zwar gemeinhin als „Nobelbezirk". Entlang des Gürtels jedoch - einer der Hauptverkehrsadern in Wien mit entsprechend niedriger Wohnqualität - wohnen viele Ausländer. Deren Kinder sind aus naheliegenden Gründen auf die Volksschule in der Schulgasse unweit des Gürtels angewiesen.

In unmittelbarer Umgebung der Schulgasse befinden sich mehrere private Volksschulen, deren Ausländeranteil nur einige Prozentpunkte beträgt. Solange kein Ausgleich zwischen privaten und öffentlichen Schulen geschaffen wird, dürfte sich keine Lösung des Schulproblems abzeichnen.

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