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Ein’Rechtsruck?

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Obwohl den im März abgehaltenen Gemeinderatswahlen ein nationaler politischer Charakter abgesprochen wurde — Staatschef Pompidou wie Ministerpräsident Chaban-Delmas hielten sich peinlich vom Wahlkampf ferne —, muß doch die Erneuerung der Gemeinderäte als Test gewertet werden. Sie waren das letzte Votum der Nation vor den Parlamentswahlen 1973. Die Vorbereitungen zu diesem Volksentscheid verliefen mit einer Ausnahme außergewöhnlich ruhig. In einem Pariser Vorort wurde ein Plakatkleber von politischen Gegnern erschossen.

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Obwohl den im März abgehaltenen Gemeinderatswahlen ein nationaler politischer Charakter abgesprochen wurde — Staatschef Pompidou wie Ministerpräsident Chaban-Delmas hielten sich peinlich vom Wahlkampf ferne —, muß doch die Erneuerung der Gemeinderäte als Test gewertet werden. Sie waren das letzte Votum der Nation vor den Parlamentswahlen 1973. Die Vorbereitungen zu diesem Volksentscheid verliefen mit einer Ausnahme außergewöhnlich ruhig. In einem Pariser Vorort wurde ein Plakatkleber von politischen Gegnern erschossen.

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Die Wahlbeteiligung war für diese Art von Befragungen nicht schlecht. Etwa 26 Prozent verzichteten auf den Umengang. In den Resultaten spiegelt sich das politische Bild des Landes. Die Gemeinderäte setzten sich gemäß einer ehrwürdigen Tradition aus Nottabeln der Unabhängigen (Pinay), Sozialisten und Radikalsozialisten zusammen. Weder die Gaullisten noch die Kommunisten konnten, von einigen Ausnahmen abgesehen, diese lokalen Verwaltungen beeinflussen. Die christlichen Demokraten des MRP vermochten zeitweise, diese linke Mitte zu verstärken. Bis zum heutigen Tage herrscht der letzte Ministerpräsident der IV. Republik und vorletzte Chef des MRP, Pflimlin, unkiritisient in der europäischen Parlamentsstadt Straßburg.

1965 versuchte die gaullistische Sammelpartei UDR Einbrüche in die linke Mitte zu erzielen. Sie scheiterte trotz des gewaltigen politischen Prestiges des damals amtierenden Staatspräsidenten General de Gaulle, Diesmal lud der gaullistische Generalstab nicht nur die Bundesgenossen in der Regierung, die liberal gesinn ten unabhängigen Republikaner, sondern auch das nichtoppositionelle Zentrum ein, gemeinsame Listen zu konstituieren. Die Linke, seit Jahren gespalten, vermochte diesem Beispiel kaum zu folgen. Sie ging nur gelegentlich im • örtlichen Rahmen Bündnisse’ ein.

Die Taktik der Gaullisten hat sichtbare Früchte getragen. Die sozialen Spannungen sowie die Exzesse extremer Linksgruppen haben das Resultat in keiner Weise ändern können. Auf eine Formel gebracht, lautet die Bilanz der Gemeinderatswahlen 1971 eindeutig: Die Majorität konnte in den meisten Fällen ihre Positionen verbessern. Die Allianz mit der Mitte rechts ist von den Bürgern honoriert worden. Am meisten wurde die oppositionelle nichtkommunistische Linke getroffen. Wohl haben einige ihrer Chefs beachtliche Erfolge erzielt, wie der antikommunistisch eingestellte Sozialist Defferre in Marseille, der Zentrumschef Lecanuet in Rouen und der ehemalige Generalsekretär der SFIO, Mollet, in Arras. Durch die Wahl des Bürgermeisters von Mühlhausen, Mueller — er gründete vor einem Jahr eine dissidente sozialdemokratische Partei — ist die Spaltung im sozialistischen Lager für einige Zeit bestätigt worden.

Die kommunistische Partei vermochte ihre teilweise Ghettostellung nicht zu verlassen. Sie erzielte zwar in einigen Pariser Vororten bescheidene Gewinne, verlor aber eigenartigerweise in den Industriestädten des Nordens. Paris selbst bleibt nach wie vor in den Händen der Mehrheit. Die einst revolutionäre Stadt ist nun ein Hort konservativen Geistes. Sämtliche Listen, welche die Koalition UDR, Unabhängige und Zentrum in der Seine-Metropole präsentierten, erhielten schon im ersten Wahlgang die relative Mehrheit. Die vielzitierten revolutionären Sozialisten der PSU, die Trotzkisten und Maoisten, erreichten drei bis fünf Prozent. Frankreich ist und bleibt — ein konservativ-liberales Land. Diese Gemeinderatswahlen bestätigen damit einen Trend, der seit der letzten Wahl ins englische Unterhaus in Westeuropa sichtbar wird.

Der Vormarsch des demokratischen Sozialismus ist bis auf weiteres gestoppt. Man findet es gegenwärtig reizvoll, die Tugenden eines modernen Konservativismus zu entdecken. Darüber hinaus wurden die staatlichen und parteipolitischen Einrichtungen, welche General de Gaulle in seiner V. Republik geformt hat, von der Mehrheit der Wähler vollinhaltlich akzeptiert. Als 1968 die Gaullisten die absolute Parlamentsmehrheit erhielten, sprachen die innenpolitischen Beobachter von sogenannten „Angstwahlen”. Damals zitterten die Ereignisse des Mai und Juni in den Erinnerungen der Bürger nach. Im März 1971 hat die Nation die Resultate der letzten Parlamentswahlen anerkannt und dem Regime Pompidou-Chaban- Delmas weitere Vollmachten erteilt. Das Pendel schlug von der Mitte links zur Mitte rechts aus. Man sollte sich von gewissen äußerlichen Erscheinungen der französischen Innenpolitik — Streiks, Straßenunruhen und der Malaise zwischen den städtischen Bewohnern und der Polizei — nicht täuschen lassen.

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