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Einsam in einer Welt des Scheins

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Am Pfingstsonntag des Jahres 1681 — es war der 25. Mai - stirbt Pedro Calderon de la Barca, Vorsteher der Bruderschaft zum Heiligen Petrus, Ehrenalmosenier König Philipp IV., Ritter des .Santiago-Ordens, ehemals Oberspielleiter des Hoftheaters von Buen Retiro, vor allem aber Verfasser von mehr als zweihundert Bühnenstücken, von denen nicht wenige bis heute zu den bedeutendsten der Weltliteratur zählen. Um die Vergänglichkeit seines Leibes zur Schau zu stellen, wird er auf eigenen Wunsch im offenen Sarge bestattet. Mehrere Tausend Madrider folgen dem Leichenzug.

Die 81 Jahre seines Lebens waren reich an Abenteuern, an Ehrungen und Erfolgen. Der junge Pedro besucht das Jesuitengymnasium in Madrid, studiert an ersten Universitäten seines Heimatlandes Jura, Mathematik und Philosophie, wird Soldat, mit 28 Jahren aber bereits Hofdichter und Leiter des Hoftheaters des großen Kunstmäzens Philipp IV. Trotzdem bleibt er weiter in militärischen Diensten, bis er, 42jährig, bei Constant! verwundet, seinen Abschied nehmen muß. Keine zehn Jahre später wird er zum Priester geweiht.

So abenteuerlich uns heute eine solche Berufslaufbahn erscheint, so wenig ungewöhnlich war sie im Spanien des 17. Jahrhunderts. Eine solche Laufbahn „gehörte“ einfach zum Dichterberuf.

So viel wir auch über Calderons Leben wissen, seine.„innere Biographie“ bleibt unbekannt. Hugo Friedrich, wohl der bedeutendste Calderön-For- scher der Gegenwart, behauptet mit Recht:

„Was von seinem Leben bekannt ist, bezieht sich fast durchwegs auf die überpersönlichen Ordnungen, denen er gedienf hat.“

Dieser Satz kann variiert werden: Was von den Personen seiner Stücke bekannt ist, bezieht sich fast durchwegs auf die überpersönlichen Ordnungen, denen sie dienen.

Diese „Ordnungen“ der Calde- rönschen Weitsicht scheinen oberflächlichen' Betrachtern bis heute als vergangene, exotische, aus einem Spanien, das nicht nur durch die Pyrenäen vom übrigen Europa getrennt war, in dem das Mittelalter in einer seltsamen, doktrinären Form weiterlebte, während im übrigen Abendland durch Renaissance und Reformation ein neues Zeitalter begonnen hatte. Man spricht vom „fremden Calderon“, den man achtet, aber nur wenig spielt, besonders in unserem total „verunsicherten“ Zeitalter (das häßliche Wort „verunsichert“ hier bewußt angewendet), dem die Welt Calderons völlig unbegreiflich sein muß.

Aber auch frühere Generationen haben die universelle Bedeutung des Dichters nicht erkannt. Die Romantiker begeisterten sich so sehr an der Fülle seiner Theatralik, am Geheimnisvollen und Wunderbaren in seinem Werk, daß sie ihn zum Modedichter hinaufstilisierten.

Um die Jahrhundertwende wurden seine Dramen vor allem als Beispiele katholischen Theaters aufgeführt, ihre besondere Stellung innerhalb dieses Bereichs aber auch nicht erkannt. Im Repertoire der Berufsbühnen hielten sich nur einige seiner Dramen, diese allerdings regelmäßig und mit Erfolg: „Dame Kobold“, „Der Richter von Za- lamea“, „Leben ist Traum“, „Das große Welttheater“, „Der standhafte Prinz“. Kaum ein Inszenator aber fand den richtigen Zugang zu den Stücken - die Besonderheit, das heißt in diesem Fall die Universalität des Dichters, blieb verborgen.

Nur wenige haben diese Besonderheit geahnt: Grillparzer nicht, der Lope de Vega vorzog und durch sein „Traum - ein Leben“ den Stoff von „Leben ist Traum“ weit weg von Calderon variierte; Hofmannsthal nicht, als er das „Große Welttheater“ psychologisierte, wohl aber in unserer Zeit bezeichnenderweise der Existenzialist Camus, in der Vergangenheit E. T. A. Hoffmann, August Wilhelm Schlegel und vor allem Goethe, dessen lapidarer Satz über Calderons Werk Treffenderes aussagt als manches vielseitige Kompendium:

„Eigentliche Naturanschauung verleiht er keineswegs;.er ist vielmehr durchaus theatralisch, ja bretterhaft; was wir Illusion heißen, besonders eine solche, die Rührung erregt, davon treffen wir keine Spur; der Plan liegt klar vor dem Verstand.“

Goethe hat es erkannt: hinter der barocken Üppigkeit, unter dem abenteuerlichen Gestrüpp wunderbarer und märchenhafter Gewächse, liegt ein klarer Plan. Calderons Menschen sind Einsame, Verlorene in einer Welt des Scheins, der bewußten Illusion; Geworfene, um einen modernen Begriff anzuwenden.

Calderons Personen gleichen denen des antiken wie des modernen Dramas; aber während die einen mit einem uner bittlichen Schicksal konfrontiert werden, die andern hoffnungslos der Sinnlosigkeit ausgeliefert sind, können Calderons Menschen durch die Erkenntnis der Gnade Gottes und deren freiwillige Annahme ihre Wirklichkeit in einer Welt des Scheins behaupten; durch ein Sich-Ausliefern an die höhere Macht, Teilhaben am Absoluten durch die Identifikation des eigenen Willens mit dem Willen Gottes.

Oder, einfacher ausgedrückt bei Calderon selbst: „Tuet recht - Gott über euch“. Den Sinn des Lebens weiß niemand. Aber das moralische Gesetz in uns weist uns den Weg.

Diese Weltschau kann man aus fast allen Werken des Dichters erkennen, auch dort, wo er weltliche Themen verwendet, wie im „Richter von Zala- mea“. Denn wie im Leben war für ihn auch auf der Bühne der König nur ein Symbol für höhere Gerechtigkeit, für Gott.

Vor hundert Jahren stellte Heinrich Laube fest: „Auch wenn wir Katholiken sind, ist uns die spanische Gedankenwelt fremd und eng; wir sind ihr durch unsere Literatur längst entwachsen ... Wozu in eine Welt zurückgreifen, welche für den Inhalt unserer Kunst religiös und politisch überlebt ist? Wozu Stücke in Szene setzen, die uns durch ihren Inhalt.. fremdartig anmuten?“

Noch war die Zeit nicht reif, Calderons Dichtung als zeitlose zu erkennen. Heute wären wir so weit, aber noch immer hindern Oberflächlichkeit und falsche Tradition, ihm jenen Platz auch auf unseren Bühnen einzuräumen, der ihm gebührt, mehr, den sein Werk als eines der wesentlichsten gerade für unsere Zeit der Relativierung aller Werte einnehmen müßte: weit über alle konfessionellen Schranken hinweg als Drama vom ausgelieferten Menschen und dessen unsterblicher Sehnsucht nach dem Absoluten.

Der Autor ist Chefdramaturg des Volkstheaters in Wien.

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