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Einsamer Rufer in einer bösen Zeit

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Ich sehe ihn noch vor mir, wie er vor bald 30 Jahren in meine „Zelle” in der damaligen Redaktion der FURCHE in der Strozzi-gasse trat: groß, hager, weißhaarig. Der Schnee auf seinem Haupt verlieh der ganzen Persönlichkeit Ernst Karl Winters etwas Frostiges und Starres. Kein Mann der Kompromisse. Ein Unbedingter. Einer, der es anderen nicht leichtmacht. Am wenigsten jedoch wohl sich selbst.

Seine Person und sein politisches Wirken als dritter Vizebürgermeister von Wien und Wortführer der „Aktion Winter”, durch die er zunächst mit Wissen und Wollen seines ehemaligen Regimentskameraden Engelbert Dollfuß nach dem Februar 1934 einen Brückenschlag zu den verstörten Anhängern der damals aufgelösten Sozialdemokratischen Partei versuchte, waren mir als Historiker wohlbekannt.

Vieles hätte es damals und Ln den weiteren Begegnungen zu fragen gegeben. Der Altersunterschied und die von Winter geübte Zurückhaltung in persönlichem Umgang - eine Frucht der vielen in seinem Leben erlittenen Enttäuschungen — verhinderten dies. So mußte ich mich an seine Aufsätze und Bücher halten.

Unbekannt blieben mir jedoch die hochinteressanten bis vor kurzem nur in Bibliotheken aufzustöbernden „Wiener politischen Blätter”, in denen er, wie schon vorher in zwei offenen Briefen an Bundespräsident Mik-las nach der Katastrophe des Februar 1934 einen Brückenschlag zwischen einem zu verantwortungsvoller Staatspolitik bereiten Sozialismus und einem sozialengagierten Katholizismus versucht hatte.

Geleitet war dieses publizistische Engagement nur von einem Gedanken: Die Bildung einer breiten Abwehrfront gegen den Nationalsozialismus, dessen Gefährlichkeit für Österreich und Europa Ernst Karl Winter mit der sicheren Vorahnung eines Sehers schon früh erkannt hatte.

Ob die legitimistische Karte wirklich gestochen hätte, ob die von ihm propagierte „soziale Monarchie” imstande gewesen wäre, sozialdemokratische Arbeiter und „Austrofaschisten” zu vereinen, mag dahingestellt bleiben. Ja, dies ist mehr als fraglich. Lief nicht der Plan zum Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Österreich unter dem Kenntwort „Unternehmen Otto”, wodurch offenbar wurde, daß jede Restauration ihn schon früher ausgelöst hätte.

Das alles sind heute müßige Gedankenspiele. Dem einstigen Mitarbeiter und Freund, Karl Hans Heinz, ist es jedoch zu danken, in der vorgelegten Dokumentation das damalige, mit großem persönlichen Engagement erfolgte publizistische Wirken Ernst Karl Winters einer interessierten Nachwelt in Erinnerung gerufen zu haben.

Ein hochinteressanter, nach 1945 geführter Briefwechsel zwischen Winter und seinem einstigen Antipoden Schuschnigg ergänzt den Nachdruck der seinerzeitigen Artikel und rundet das Charakter-büd Winters ab. Zurück bleibt das Gedenken an einen einsamen Rufer in böser Zeit, der scheiterte — und siegte.

Mit Recht hat man Ernst Karl Winter den geistigen Vater der heute oft wieder zu Unrecht abgewerteten Großen Koalition genannt, ohne die Österreich jedoch kaum die zehn Jahre des langen Weges von der Befreiung 1945 zur Freiheit 1955 durchgestanden hätte.

ERNST KARL WINTER. Ein Katholik zwischen Österreichs Fronten 1933-1938. Von Karl Hans Heinz. Böhlau-Verlag, Wien 1984. 431 Seiten, br., öS 296,-.

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