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Einsamkeit, durch Kunst überwunden

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Warum ist das Werk von Kurt Moldovan (1918-1977) derzeit so lebendig? Wie entstand aus leidvollem Schicksal eine Kunst der Vitalität? Die Antwort liegt in der Persönlichkeit des Künstlers.

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Warum ist das Werk von Kurt Moldovan (1918-1977) derzeit so lebendig? Wie entstand aus leidvollem Schicksal eine Kunst der Vitalität? Die Antwort liegt in der Persönlichkeit des Künstlers.

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Daß man alles selbst zustandezubringen hat, daß einem nichts, aber schon gar nichts geschenkt wird: das wußte Kurt Moldovan ganz genau. Er kam aus der Armut. Er hatte als Kind das Elend erfahren. Aus der Misere der ersten Jugend wurde er in die Misere des Krieges geworfen. Er hatte diesen Krieg — der sein Krieg nicht war — auszukosten: ganz und gar, ohne heroisches Beiwerk und ohne Schonung. Er wußte nun, wußte aus zweifacher Erfahrung, wie diese Welt war, wie sie ist: schonungslos. Eine Welt, die nicht zuließ, nicht zuläßt, daß man sich selber schonte. Vielleicht noch den anderen.

Er war dann Grafiker und entwickelte seinen eigenen Stil. Er holte die Wirklichkeit in sein klei-

nes Atelier in die Jakobergasse im ersten Wiener Gemeindebezirk, holte sie empor von der Straße, aus dem Burgenland, aus fernen Ländern, aus gelesenen Geschichten oder aus der Phantasie: packte sie, raffte sie, reduzierte sie auf das Wesentliche, machte sie zum Objekt seines Formwillens, zwang sie, sich in eine vitale Vision zu verwandeln.

Er wollte das Wesen der Vitalität zu fassen bekommen und erfaßbar machen.

Und also ließ er die Figuren seiner Straßenszenen an uns vorbeiziehen wie von einem Sturmwind erfaßt, aber wir bemerkten wohl, daß der Sturm nicht außen tobte, sondern innen, daß die fliegenden Figuren nicht dahingeweht wurden, allzu leicht und passiv, sondern davonflogen wie die Raketen, von der eigenen psychischen Spannung himmelwärts getrieben. Und also bauschten sich die Bäume und Sträucher seiner unvergleichlichen burgenländi-schen Aquarelle aus eigener Kraft, prall, in jedem Augenblick zu fliegen bereit, wobei der Himmel, der jene Bäume und Büsche und Häuser und Fabriken aufzunehmen hatte, von Kraftströmen ebenfalls durchzogen war; das mit der Hand Greifbare und das Ungreifbare bildeten eine Einheit.

Die historischen Legenden und die Märchen konnten an die Substanz dieses Lebensgefühls und ästhetischen Ideals noch näher heranführen, denn nun war die Phantasie nicht mehr an das vorgegebene Modell gebunden: auch Montezuma in Mexiko als Modell war eine Gestalt der Phantasie, auch Alice im Wunderland war ein Hirngespinst, das mit anderen Phantasmagorien sich zu messen hatte: hier hatte Kurt Moldovan endlich Gelegenheit, von der stofflichen Wirklichkeit loszukommen, das Erdachte im Erdachten auszudrücken: aus dem Traum die Wirklichkeit des Bildes.

Er war wie jeder Mensch einsam und er machte keine Versuche, diese Einsamkeit zu lindern oder aufzulösen, sondern lebte sie bewußt und verbissen, mit der Heiterkeit eines Mannes, der diese Frage für sich endgültig erledigt hat. Er hatte sich in der Lebensform eines Einsamen eingerichtet, fast behaglich, sehr ökonomisch und völlig kompromißlos. Er wußte, daß der Mensch, solange er gesund ist und arbeiten kann, mit verhältnismäßig wenig auskommt. Der Krieg hatte ihn gelehrt, den Tod als einen Zufall zu sehen, als eine Art von Be-

triebsunfall, der jedem Leben in jedem Augenblick zustoßen kann. Es gab eine Zeit, da fuhr er gerne mit einem kleinen Moped herum. Bei einem Verkehrsunfall wurde er schwer verletzt, kam auf die Klinik, wurde mit kräftigen, vielleicht sogar mit barbarischen Mitteln behandelt und war von der Möglichkeit einer elektrischen Schocktherapie bedroht. Er war allein; den wenigen Freunden gelang es zuletzt mit Hilfe einer im letzten Augenblick herbeigeführten ministeriellen Intervention, das Ärgste zu verhindern. Er wurde gesund. Wer ihn aber während jener Wochen im Krankenzimmer gesehen hat, abgemagert, kahlgeschoren, von Beruhigungsmitteln in seiner Denkfähigkeit gemindert, der weiß, wie unbekümmert er mit dem Gedanken des Todes umzugehen wußte.

Deshalb war er gegenüber den Verlockungen des Kunstmarktes immun: Einsamkeit, Todesbewußtsein, lächelndes Zweifeln bei tiefster Verzweiflung relativieren die Bedeutung des großen Geschäftes: Was soll denn das, dieses sabbernde Schlürfen künstlicher Kunstgenüsse, dieses schaudernde Fiebern angesichts all der schamanistisch vieldeutigen Programme der Kunstkunst - du lieber Himmel, was soll denn das al-

ger Jahren liebte er es, dann und wann aus der selbstgewählten Isolation nicht nur auf die paar Freunde und Freundinnen, sondern auch auf ein ganzes Gruppenbild hinauszuspähen. Bei solchen Gelegenheiten füllte sich sein Atelier. Einmal war es ein russischer Puppenkünstler, der seine Marionetten zappeln und tanzen ließ, ein dicklicher alter Mann mit einem Seemannsbart und mit großen, wäßrig-blauen Augen, die bis zum Uberlaufen voll waren mit einem unbestimmten, jedenfalls um Gnade und Anteilnahme flehenden Gefühl. Man saß auf dem Boden, auf Kissen und Decken, trank Tee oder Wein oder Schnaps, und im kleinen Verschlag hinter dem Schrank gab es sogar Brötchen. Aber Einladungen solcher Art waren mühsam, aufwendig und meistens überflüssig, wenn nicht sogar lästig; Kurt Moldovan ging lieber durch die Innenstadt, ging fesch und drahtig, flanierte — er verstand sich meisterhaft auf das Flanieren im Frühling oder im frühen Herbst, in den hellen, wehmütigen Tagen der plötzlich aufblühenden oder allmählich verblühenden weiblichen Wesen. Oft saß er dann im Cafe Hawelka, wartete auf den Doktor Sporn-berger oder auf den Doktor Reichmann.

Hier brach jemand täglich auf, um, hoffnungslos, das Hoffen zu erlernen, die eigene Einsamkeit an einer anderen Einsamkeit zu reiben, spielerisch und mit fröhlicher Galanterie die eigene Tragödie aufzusuchen und sich immer wieder von der Unmöglichkeit einer dauernden Verständigung zu überzeugen. Das Leben wurde auf diese Weise in ein Kunstwerk ganz besonderer Art verwandelt, bekam ein eigenes Licht, eine fest und abenteuerliche Komposition, einen Rhythmus und Ritus. Kein Wunder, wenn Kurt Moldovan so gerne nach Venedig reiste und, wenn's nur ging, einen Teil des Jahres in diesem schönsten und geheimnisvollsten aller Theater verbrachte. Hier war in der Architektur und im labyrinthischen Gefüge der Gassen und Kanäle jener Geist noch zugegen, der Mol-dovans Wesen erfüllte: die Freude an der Vitalität, die sich selbst ihre Formen schuf und Zurückhaltung übte nicht aus Schwäche, sondern aus Lust an der seelischen Ökonomie. Wo lag die Grenze zwischen der Wirklichkeit und der erfundenen, erdichteten, in Realität verwandelten Pose? Genügte es denn nicht, sich ins Abenteuer zu werfen — gewissermaßen mit einem Kopfsprung aus heller und sicherer Höhe —, um das Abenteuer selbst zu erschaffen? Entstand Schönheit nicht durch den wagemutigen Entschluß, etwas schön zu empfinden, auf die Gefahr hin, daß die Ein-bildung eines Tages zerrann?

Die Gespanntheit und die Mobilität der Existenz an der eigenen Haut zu erleiden und zuweilen auch zu genießen, die auf diese Weise gewonnene Erfahrung mit den Mitteln des Grafikers sichtbar zu machen, also niemals die Natur abzuzeichnen, sondern die Abbildung mit der eigenen Persönlichkeit zu füllen, das Gegenständliche dem Gefühl zu unterordnen, das Subjektive im Schein der dargestellten Wirklichkeit verständlich zu machen und — für den Betrachter — zu objektivieren: das war Kurt Moldovans Lebensgefühl und zugleich auch sein künstlerisches Wagnis. Wenn es um das Wesentliche ging, war er zur Stelle.

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