Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Einschnitt
Als in Prag dieser Tage ein paar tausend Menschen auf die Straße gingen, um sich an die Staatsgründung am 28. Oktober 1918 zu erinnern, fuhren Wasserwerfer auf und Polizei griff brutal ein.
Die Demonstranten riefen ,Masaryk! Masaryk!“ und schrien sich damit eine Geschichte ins Bewußtsein, die in der kommunistischen CSSR ignoriert oder eigenwillig interpretiert wird.
Ähnlich wie in Österreich grassiert auch in der CSSR der Opfermythos: Immer nur waren die Tschechen unschuldige Opfer der Geschichte, ein machtloser Spielball der Großmächte.
Vielleicht setzt jetzt, mit der Erinnerung an den Philosophen, Humanisten und Staatsgründer Tomas Masaryk, ein Prozeß ein, der Vereinfachungen und Irreführungen der offiziellen Geschichtsschreibung einmal in Frage stellt. Und aus den Fragen könnten neue Antworten erarbeitet werden.
Zum Beispiel: War's wirklich so, daß der neue tschechoslowakische Staat 1918 im heftigen Kampf gegen eine unterdrückungssüchtige Habsburger-Monarchie errungen wurde? Oder war das nicht eher „eine von Österreich bewilligte Revolution“? War man nicht erstaunt, statt des erwarteten nationalen Föderalstaates plötzlich einen ganz eigenen Vielvölkerstaat zu haben?
Die unerwartete Erfüllung eines Traumes:
Masaryk war in Amerika, als der neue Staat ausgerufen wurde, und Benes hielt sich in Paris auf.
Man müsse nun mit den Deutschen verhandeln, telegraphierte Masaryk an Benes, damit sie diesen Staat akzeptierten, der keine nationale Schöpfung sei, sondern eine moderne fortschrittliche Demokratie.
Welch ein Irrtum.
Die Fundamente des neuen Staates wurden ohne die Beteiligung von 23 Prozent der Bevölkerung gelegt: Die Sudetendeutschen waren mißtrauisch und ablehnend, das stimmt, aber einer Minderheit gehören eben mehr Rechte eingeräumt als dem Staatsvolk, und dazu war der tschechische Chauvinismus unfähig.
Es gäbe noch viele Fragen für Historiker: Warum hat der neue Staat, der ein Schützling der gesamten demokratischen Welt war, diesen Kredit so verspielt?
Warum hatte die KP 1948 so leichtes Spiel mit der Ausschaltung der Demokraten?
1918 der neue Staat, 1938 das Münchner Abkommen, 1948 die kommunistische Machtübernahme, 1968 Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes. 1988 als Bedenkjahr könnte in dieser Zeitabfolge ein neuer Einschnitt sein.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!