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Einsperren ist keine Lösung

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In Österreich kommt man leicht hinter Gitter - wenn man sich's nicht richten kann. Aber es ist schwer, wieder auf die Beine zu kommen, wenn man gestrauchelt ist. Wie die Bewährungshilfe da präventiv und stützend hilft, untersucht Christof Gaspari.

Betrunkener erschlug Frau und Kind“, „Raubüberfall auf Bank: 7 Millionen Beute“, „Alte Frau niedergeschlagen und beraubt“: Wer kennt nicht solche und ähnliche Schlagzeüen in der Boulevard-Presse? Sie prägen unsere Vorstellungen von der Kriminalität ebenso wie das, was wir in Film und Fernsehen als Unterhaltung vorgesetzt bekommen. Die „Krimis“ gehören zum fixen Bestandteil des Unterhaltungsprogramms des modernen Menschen. Und wie oft hört man in Gesprächen als Nachlese nach einem Krimi: „Nix Besonderes, ka ,action' nur zwa Tote...“

Ergänzt man das Bild noch durch die Meldungen von Terrorüberfällen und Entführungen, so erkennt man, daß sich uns ein ganz bestimmtes Bild von Kriminalität einprägt: Das Bild des hartgesottenen, mit allen Wassern gewaschenen, vor nichts zurückschreckenden, über Leichen gehenden Verbrechers.

Vor solchen Menschen fürchtet man sich verständlicherweise. Von ihnen will jeder klarerweise verschont bleiben. Da ist es kein Wunder, daß in denselben Medien, in denen jeder Mord genüßlich ausgebreitet wird, auch der Ruf nach strengerer Bestrafung für die Verbrecher laut wird.

Die Sache hat nur einen - allerdings entscheidenden — Schönheitsfehler: Das Bild, das sich die Mehrheit der Zeitgenossen von der Welt des Verbrechens macht, stimmt einfach nicht mit der Realität überein. Das zeigt schon ein flüchtiger Blick auf die Kriminalitätsstatistik (siehe Kasten): Rund 82 Prozent aller Delikte sind Vergehen, also vergleichsweise geringfügige Gesetzesverletzungen.

Von den rund 400.000 Delikten, die im Jahr 1986 begangen wurden, waren „nur“ 167 (!) Morde, von denen wiederum etwas weniger als die Hälfte auch tatsächlich zum Tod führten (mehr als die Hälfte waren Mordversuche). Diese werden uns allerdings mit ermüdender Regelmäßigkeit brühwarm in den Schlagzeilen präsentiert.

Kriminalität ist also anders, als sie uns die Medien präsentieren. Und dieser Umstand ist deswegen von Bedeutung, weil auch die Persönlichkeit der Gesetzesbrecher sich anders darstellt als die Klischeevorstellungen. Mehr als ein Drittel der Delikte werden von Personen, die jünger als 25 Jahre sind, begangen, zehn Prozent der Täter waren im Jahr 1986 jünger als 18 Jahre.

Dieses Lebensalter ist für alle Menschen eine Phase des Uberganges und damit der Instabilität. Karl Schnitzer, ein Bewährungshelfer in Wien, kennzeichnet zwei Probleme, mit denen der junge Mensch in diesem Lebensabschnitt konfrontiert ist: „Da ist zunächst die Phase der Ablösung von den Eltern, die Jugendliche durchmachen. Bei den jungen Erwachsenen könnte man von einer Auslösungsphase sprechen. Da geht es darum, sich selbständig zu machen, eine geeignete Unterkunft zu finden, eine Familie zu gründen. Sehr viele Delikte passieren in dieser Zeit einfach aus der Schwierigkeit, finanziell selbst zurechtzukommen. Mit dem, was sie verdienen, können sie sich zu Hause gerade noch über Wasser halten. Da ist dann bei manchen die Versuchung, sich mit einem Eigentumsdelikt zu helfen, groß.“

Und dann passiert die Katastrophe, denn unser Strafgesetz kennt diesbezüglich keinen Spaß, vor allem, wenn es sich um „Erwachsene“, also um Personen über 18 Jahre, handelt. So berichtet Walter Grießler, ebenfalls Bewährungshelfer, von einem Fall,wo jemand einen „Doppler Wein“ aus einer Sakristei gestohlen hat und dafür zu vier Monaten unbedingten Freiheitsentzuges verur-teüt worden ist.

Verurteilung und Gefängnis bedeuten aber Vorstrafe im Leumundszeugnis. Welche Belastung das darstellt, ahnt der Normalverbraucher nicht (siehe Seite 10).

Damit sei durchaus nicht die Eigentumskriminalität banalisiert und jeder Gesetzesbrecher zur verfolgten Unschuld erklärt. Wohl aber sei festgehalten, daß es eine große Zahl von Fällen - insbesondere unter Jugendlichen — gibt, wo Menschen aus Unüberlegtheit, Ubermut, Unwissenheit über die Folgen des eigenen Tuns oder aus Dummheit in das Räderwerk der Justiz geraten.

In diesen Fällen ist „helfen besser als strafen“, versichern mir alle, die im Umgang mit Gestrauchelten Erfahrung haben (siehe Seite 10). Um diese Hilfe zu leisten, wurde auch in Österreich die Bewährungshilfe eingerichtet.

Das Jugendgerichtsgesetz 1961 sah erstmals Bewährungshilfe bei Jugendlichen vor. Sie ermöglicht, daß der Verurteilte nicht eine Haftstrafe anzutreten hat, sondern auf freiem Fuß bleiben darf, wobei ihm ein Bewährungshelfer als Stütze zur Seite gestellt wird (wie eine solche Hilfe konkret geleistet wird, siehe Seite 10). Damit gab es eine Alternative zum Gefängnis, seit neuem auch zur Strafe (siehe Seite 11).

Der „Verein für Bewährungshilfe und soziale Arbeit“ wurde 1964 mit dieser Aufgabe betraut: Derzeit betreut er durch 220 haupt- und 670 ehrenamtliche Bewährungshelfer rund 5000 Personen, von denen etwa die Hälfte Jugendliche sind.

Die hauptamtlichen Bewährungshelfer haben Beamtenstatus und werden dem Verein als „lebende Subvention“ beigestellt. Sie sind ausgebüdete Sozialarbeiter, die nach zweijährigem Studium an der Sozialakademie und nach praktischer Erprobung ihre Tätigkeit aufnehmen.

Der Verein kann auf eine beachtliche positive Bilanz zurückblicken. Rund 60.000 Menschen wurden bisher betreut. In der Anfangsphase waren es nur Jugendliche, seit 1975 sind es auch Erwachsene.

Etwa 40.000 betreute Probanden fanden dank der Bewährungshilfe einen Weg, ihre Probleme ohne kriminelle Handlungen zu lösen. Im Durchschnitt der Jahre ergab sich, daß rund 75 Prozent der Pro-banden'nicht mehr rückfällig geworden sind. Bei Rechtsbrechern, die nach abgebüßter Strafe aus der Haft entlassen werden, gibt es hingegen eine Rückfallquote von über 70 Prozent!

Sicher spielt bei der Beurteilung dieser Gegenüberstellung wohl auch der Umstand eine Rolle, daß Bewährungshilfe bei den leichteren, Gefängnis bei den schwereren Delikten verordnet wird. Es bleibt jedoch das Faktum: Haftstrafen bessern nicht. Dazu zitiert Grießler eine Untersuchung, die das Verhalten von 7500 Jugendlichen während acht Jahren verfolgte.

Das Ergebnis: Je früher und je härter die Bestrafung stattfindet, umso sicherer kann man mit einem Rückfall rechnen. Dasselbe zeigt auch eine Statistik der Verurteilungen in München: Wo Richter müder vorgehen, gibt es weniger Rückfälle als dort, wo streng bestraft wird. Es geht vielfach darum, die Spirale der Kriminalisierung nicht in Gang zu setzen — und dazu bietet Bewäh-rungshüfe einen guten Ansatz.

Und sie erweist sich überdies als ein büliger Zugang der Resozialisierung: Kostet ein Häftling den Staat pro Tag etwa 5ÖÖ Schilling, so belaufen sich die Kosten für einen Probanden der Bewährungshilfe nur auf 75.

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