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Eintauchen in die Traumwelt

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Die 56,Wiener Kinobetriebe mit ihren 96 Sälen sind ein bedeutender Kulturfaktor der Stadt. Das Kinosterben der vergangenen Jahre dürfte endlich aufgehört haben.

Während in den Schlaf silos der Wiener Vorstädte die Lichter verlöschen und die Menschen im blauen Schimmer der Fernsehapparate den Abend verbringen, strömt die Jugend vielfach in die Kinos der Innenstadt.

Nicht ganz unbeschadet von Fernsehen und Videoboom trotzt das Großstadtkino hartnäckig den neuen Medien. Vor allem für viele Jugendliche ist es nach wie vor ein gesellschaftliches Ereignis.

Verändert hat sich freilich seine Struktur: Wanderten früher die Filme von den großen Premierenkinos der Innenstadt zu den sogenannten „Nachspielern” in die Vorstädte, so hat diese Funktion heute weitgehend die Videokassette übernommen. Die Folge: Die kleinen Vorstadtbetriebe mußten aufgeben — allerdings nicht erst durch das Video alleine, sondern bereits seit den sechziger Jahren durch die Einführung des Fernsehens. Viele ältere Leute blieben nun lieber zu Hause im „Patschenkino”. Am Land bevorzugen aber auch viele Jugendliche derzeit den Videorecorder.

Anders in der Stadt: Die Innenstadtkinos reagierten durch die Schaffung sogenannter Kino-Center. Neben dem alten, großen Kinosaal wurden bis zu sechs weitere, meist kleinere Kinoräume angeschlossen. Der Vorteil: Auch weniger erfolgreiche Filme können gezeigt werden, während das Gesamtangebot des Hauses wächst. Der Besucher kann sich noch an Ort und Stelle entscheiden, welchen der angebotenen Filme er eigentlich sehen will.

Man beging aber nicht den gleichen Fehler wie in den USA, sondern ließ auch die großen Hallen bestehen. Bestes Beispiel: Das gemeindeeigene Gartenbaukino — Wiens größtes überhaupt - erzielt trotz seiner 760 Sitzplätze Gewinn. Der Grund: Mit extrem breiter Leinwand, gemütlichen Spezial-sesseln und einer ausgeklügelten Sechskanal-Stereo-Tonanlage läßt es Kino zum Erlebnis werden.

Klaus Christian Vögl, Sekretär der Sektion Lichtspiele in der Wiener Handelskammer: „Ich glaube, daß die Überlegung richtig ist, zwei Philosophien nebeneinander existieren zu lassen — den großen Kinosaal und die kleinen Räume.”

Was macht Kino nun eigentlich attraktiv? Klaus Vögl: „Das Kino bringt die Menschen dazu, etwas Besonderes zu tun. Ins Kino gehen bedeutet, die eigenen vier Wände zu verlassen, Menschen zu treffen und mit ihnen etwas zu erleben.”

Während Fernsehen vielfach als Zerstreuungsmedium angesehen wird, dessen Inhalt man relativ unreflektiert konsumiert, ist Kino eine viel bewußtere Handlung. Ein Film wird bewußt ausgesucht, und nach der Vorstellung spricht man oft mit jemandem über den Inhalt.

Kino hat aber auch eine eigene Atmosphäre: Der große Saal, die verlöschenden Lichter und die hellerleuchtete Leinwand verleihen dem Besuch fast sakrale Stimmung, lassen den Besucher in eine Traumwelt eintauchen.

Einen festen Platz in der Stadt Wien hat das Kino schon lange. Bereits im März 1896 begann Eugene Dupont mit regelmäßigen Vorführungen eines sogenannten „Lumierschen Kinematographen”. 1918 - am Ende der Monarchie — verfügte Wien über 155 Kinos. Nach anfänglicher Zurückhaltung war das Kino bald so anerkannt, daß sogar Autoren wie Arthur Schnitzler Drehbücher beisteuerten.

Einen weiteren Höhepunkt erreichte das Kino in der Ersten Republik: 1928 gab es in Wien nicht weniger als 178 Kinos, und auch der österreichische Film machte mit Namen wie Hans Moser oder Paula Wessely von sich reden. Eine wenig rühmliche Rolle spielte die sonst so positive Institution während der Hitlerdiktatur: Zwar wurde die Zahl der Kinos in Wien auf insgesamt 222 aufgebläht, allerdings nicht uneigennützig: Nachdem viele jüdische Kinobesitzer enteignet und die Betriebe Günstlingen des Regimes überschrieben worden waren, spielten die Kinos eine wichtige Rolle in Joseph Goebbels* Propagandamaschinerie.

Nach dem Wiederaufbau setzte schließlich durch den Siegeszug des Fernsehens das bereits beschriebene Kinosterben ein. Die heutige Eigentumsstruktur weist viele Konzentrationstendenzen auf und ist typisch für die österreichische Wirtschaft: So gehören alleine 40 Prozent der Kinos in Wien der gemeindeeigenen KIB A. Durch privatwirtschaftliche Betriebsführung gelang es jedoch, im letzten Jahr immerhin zehn Millionen Gewinn einzuspielen.

Auch die anderen Wiener Kinos gehören vielfach großen Konzernen, meist identisch oder in Vertrag mit Verleihergruppen. US-Firmen wie UIP oder Warner Columbia sind hier Marktieader und nehmen natürlich auch entsprechenden Einfluß auf die Programmgestaltung. 30 Prozent der Kinos schließlich sind noch in privater Hand.

Eine völlig neue Spezies von Kinos bildete sich schließlich als Reaktion auf die Fernseh- und Konsumverdrossenheit der Endsechziger-Bewegung: das sogenannte Programmkino, das versucht, besonders anspruchsvolle oder avantgardistische Filme zu zeigen. Dazu gehören unter anderen das in privater Hand befindliche „Movie”-Kino — Schwerpunkt Kultfilme -, das „Filmhaus Stöbergasse” einer Volkshochschule oder das von der Stadt subventionierte „Stadtkino” mit dem Schwerpunkt österreichische Avantgarde. Diese Kinos sind für Feinschmecker, für „Cineasten” konzipiert und erheben den höchsten kulturellen Anspruch.

Wie wird nun die Zukunft des Kinos aussehen? Mit 5,3 Millionen Besuchern in Wien pro Jahr hat sich die Zuseherzahl stabilisiert. Dies allerdings gilt nur für die Stadt, Kino wird zu einem typisch Urbanen Medium. Neben Jugendlichen sollen auch ältere Menschen wieder vor die Leinwand gelockt werden, ein entsprechendes Projekt — verbilligte Karten bei der Nachmittagsvorstellung — wurde kürzlich von den Kinos vorgestellt. Ein Medium wie das Kino sollte jedenfalls als Alternative zum Einheitsbrei der Wohnzimmermedien wie Fernsehen und Videokassette stärker ins Bewußtsein rücken.

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