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Einwandererflut schreckt „alte Schweden” auf

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Schweden war in diesem Jahrhundert Zufluchtsort für Hunderttausende: Nach den Flüchtlingen aus dem nationalsozialistischen Deutschland kamen die vor den Kriegsgefahren flüchtenden Finnen und nicht lange nach ihnen die Deserteure der Deutschen Wehrmacht. Gegen Ende des Krieges kam die große Welle der vor der Roten Armee flüchtenden Polen, Esten und Letten und dann der nie abreißende Strom der Deutschen aus Ost- und Mitteleuropa. Allen diesen Menschen erschien Schweden als Insel der Sicherheit, der Ruhe und des Wohlstandes.

Ohne vorher besorgte Einwande- rungs- und Arbeitserlaubnis können nach Schweden lediglich Touristen für zeitlich beschränkte Besuche einrei- sen. Nur Bürger aus den nordischen Nachbarstaaten dürfen sich im Lande ständig aufhalten. Die größte nationale Gruppe sind die Finnen mit etwa 185.000 Personen, ihnen folgen die Jugoslawen mit 40.500, die Dänen mit 38.000, die Norweger mit 27.500, die Griechen mit 18.000 und die Deutschen mit 17.500 Einwanderern. Insgesamt hielten sich zu Beginn dieses Jahres 410.000 Einwanderer in Schweden auf, darüber hinaus ist etwa 280.000 Personen in den letzten Jahren die schwedische Staatsbürgerschaft verliehen worden. Ein Einwandereranteil von fast zehn Prozent der Bevölkerung in einem bis 1945 national nahezu hundertprozentig homogenen Land mußte eine Fülle von Problemen entstehen lassen.

Schweden hat sich die Behandlung des Einwandererproblems nicht leicht gemacht. Erfüllt von humanitärem Geist, fühlte man sich verpflichtet, den politischen Flüchtlingen, den Heimatvertriebenen und den Deserteuren aus verschiedenen Ländern zu helfen. Man hielt sich streng an das Prinzip, auch illegal ins Land gekommenen Menschen, die bei einem Zurücksenden in ihr Herkunftsland Verfolgungen ausgesetzt gewesen wären, in Schweden Asyl zu gewähren. Diese großzügige Haltung rettete zahllose politisch Verfolgte, öffnete aber auch Tür und Tor für groben Mißbrauch, wofür das auch schon international bekannte „Assy- rerproblem” einen Beweis liefert.

Uber Veranlassung der Vereinten Nationen war erstmals 1967 eine Gruppe von syrischen Christen (auch „Assyrer” genannt - wie das alttestamentarische Volk) aus dem Libanon nach Schweden gekommen. Die Betreuung in Auffanglagern und Schulungsstätten und schließlich Eingliederung in die schwedische Gesellschaft bereitete keine Schwierigkeiten. Da laut Parlamentsbeschluß Angehörige bereits seßhaft gewordener Immigranten Anspruch auf Einreise-, und Aufenthaltsbewilligung haben, wuchs diese ethnische Gruppe rasch an. Die Kunde von der wohlwollenden Haltung der Schweden gegenüber Angehörigen weit abgelegener Völker verbreitete sich rasch und 1975 setzte eine Einwanderung großen Stils ein. Als Begründung beim Ansuchen um das Asylrecht wurde entweder die nahe Verwandtschaft mit hier bereits seßhaften Assyrern angegeben oder die Verfolgung durch türkische Behörden auf Grund der Zugehörigkeit zur syrisch-orthodoxen Kirche.

Das Verwandtschaftsverhältnis und das Existieren einer Verfolgung aus religiösen Gründen konnten in vielen Fällen weder bewiesen noch widerlegt werden. Doch der ins Land kommende Assyrerstrom wurde immer breiter, die Einführung des Visumzwanges vermochte ihn nur wenig einzudämmen, und heute hat man in Schweden eine große assyrische Volksgruppe. Sie besteht neben echten Assyrern - aus Türken, Kurden, Berbern, Arabern und Angehörigen anderer Nationen, die sich aus religiösen, nationalen und politischen Gründen auch untereinander bekämpfen. Bereits zweimal sah man sich gezwungen, Tausenden Personen, die sich als „Assyrer” bezeich- neten, in Bausch und Bogen die Aufenthaltsbewilligung zu geben, da den Einwanderungsbehörden die Probleme ganz einfach über den Kopf gewachsen waren.

Ein besonders erschwerender Umstand dieses Immigrantenstromes war, daß diese Einwanderung von einer offensichtlich gut funktionierenden Organisation durchwegs in die Industriestadt Södertälje südlich von Stockholm dirigiert wurde. Dort entstand rasch ein Konfliktherd gefährlichen Ausmaßes mit den bisher größten und bösartigsten Rassenkrawallen Skandinaviens.

Ein illegaler Einwanderer, der nicht innerhalb der ersten acht Tage von der Polizei gefaßt und ausgewiesen wird, hat das Recht, daß sein Fall vom höchsten Einwanderungsamt und der Ausländerkommission geprüft wird. Das aber kann ein ganzes Jahr dauern, und in dieser ganzen Zeit muß der Einwanderer- mit seiner oft recht zahlreichen Familie - von den Sozialbehörden ver- vsorgt werden. Die Bevölkerung der Stadt, die sieht, daß zahlreiche fremde Einwanderer, ohne zu arbeiten oder Steuern zu bezahlen, ein recht angenehmes Leben führen, wird rasch auf den Weg gedrängt, der vom immer vorhandenen Mißtrauen zur schroffen Ablehnung und sogar zum Rassenhaß führt.

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