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Einzelgänger auf dem „dritten Weg“

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Vielen kritischen Beobachtern des Musikgeschehens, etwa während der letzten drei Jahrzehnte, mag es so scheinen, daß es zwischen Epigonentum und modischem Avantgardismus keinen „dritten Weg“ mehr gibt. Aber wir haben hier ein Exemplum anzubieten, das unserer Meinung nach viel zu wenig beachtet wurde und künftig größerer Aufmerksamkeit und Förderung empfohlen sei. Denn er ist wirklich ein kompositorisches Phänomen, eine Rara avis, dieser seit mehreren Jahrzehnten in Wien lebende, allerdings auch viel in der Welt umherreisende Theodor Berger.

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Vielen kritischen Beobachtern des Musikgeschehens, etwa während der letzten drei Jahrzehnte, mag es so scheinen, daß es zwischen Epigonentum und modischem Avantgardismus keinen „dritten Weg“ mehr gibt. Aber wir haben hier ein Exemplum anzubieten, das unserer Meinung nach viel zu wenig beachtet wurde und künftig größerer Aufmerksamkeit und Förderung empfohlen sei. Denn er ist wirklich ein kompositorisches Phänomen, eine Rara avis, dieser seit mehreren Jahrzehnten in Wien lebende, allerdings auch viel in der Welt umherreisende Theodor Berger.

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Er wurde am 18. Mai 1905 in dem Marktflecken Traismauer an der Donau geboren und besuchte zunächst, auf Wunsch seines Vaters, eines Handwerkers, das Lehrerbildungsseminar von

St Pölten. Also österreichische Provinz. Dann ging er nach Wien und war von 1926 bis 1932 an der Wiener Musikakademie Kompositionsschüler von Franz Schmidt. Also Wiener Provinz. Nach Erlangung des Diploms für Komposition und Dirigieren ging er nach Berlin, und dort führte, nachdem noch in Wien zwei Streichquartette geschrieben waren, 1933 Wilhelm Furtwängler Bergers einsätziges „Rondino giocoso“ für Streichorchester, eine Gelegenheitsarbeit, als Draufgabestück gedacht, zum erstenmal auf. Aber was ist das für ein Stück, und wie ist es mit den nächsten, ja mit allen, folgenden bestellt?

Keine Spur, und zwar nicht die allergeringste, hat die Wiener Klassik und Romantik, auch nicht sein Lehrer, der hochbegabte Cellist, Pädagoge und Spätromantiker Franz Schmidt, in Theodor Bergers Oeuvre hinterlassen. — Nach dem einige hundert Male aufgeführten Rondino giocoso folgte, als „Parallelaktion“ gewissermaßen, das „Rondo ostinato“ für Blechbläser und Schlagwerk. Ende der vierziger Jahre von Furtwänglers Berliner Statthalter Segiu Celibidache uraufgeführt. Dann schrieb er die einsätzige, 17 Minuten dauernde „Malinconia“ für vielstimmiges Streichorchester (von der sich übrigens Richard Strauss zu seinen rund zehn Jahre später entstandenen „Metamorphosen“ von 1945/46 anregen ließ).

Zu Beginn der vierziger Jahre folgten sechs „Impressionen“ für Orchester, ursprünglich als Filmmusik geschrieben, und dann die „Ballade für Orchester“, später „Chronique symphonique“ genannt, ebenfalls von Furtwängler uraufgeführt, ein gar nicht optimistisches Stück mit stampfenden Rhythmen, dröhnenden Röhrenglocken und elegisch-lyrischen Zwischenspielen. In den Jahren 1946 bis 1948 machte sich Berger an eine größere Partitur, die „Homerische Symphonie“, deren erste fünf Sätze Karajan 1948 uraufführte und die, mit allen neun Bildern, als abendfüllendes Ballett zwei Jahre später die Choreographin Erika Hanka an der Wiener Staatsoper aufführen ließ. (In diese Musik war Furtwängler verliebt und hat sie sich mindestens viermal angehört.) Dann schrieb er das „Concerto manuale“ für

zwei Klaviere, Marimbaphon, Metallophon,, vier Pauken, Tamburin und Streicher. Und auf dieses Werk müssen wir näher eingehen, weil sich in ihm Bergers Eigenart bisher am deutlichsten ausgeprägt hat, obwohl das einsätzige 16-Minuten-Stück bereits 1951 entstanden ist (und im gleichen Jahr von Karajan uraufgeführt wurde).

'Schon beim ersten Anhören des „Rondino giocoso“ hatte der

Verfasser dieser Kurzmonographie einen Verdacht und begann nachzuforschen: Berger hatte in seiner Jugend mehrere Sommer in Kronstadt (rumänisch Braov) in Siebenbürgen verbracht. Daher also dieser balkanische Einschlag in Melodik und athematischer Kompositionstechnik. Das hatte der Komponist, völlig unbewußt, aus rumänischer Folklore in sich aufgenommen. — Aber nun dieses „Concerto manuale“, bereits klanglich von fernöstlichem Charakter mit seinen drei achtstufigen Reihen, mehr noch durch das Ornamentale, Statisch-Flächenhafte, sich von der gesamten Wiener Musik des 18. und 19. Jahrhunderts unterscheidend, in der ja das Dramatisch-Konstruktive, das Symphonische — bis zum Schematismus der obligaten Viersätzigkeit — durchaus dominiert.

Wollte man also durchaus nach Anregern Bergers außerhalb der wienerischen Tradition suchen, so sind eigentlich nur drei Namen zu nennen: Debussy, Ravel und Strawinsky (mit Ausschluß von dessen letzter dodekaphonischer Phase). Und in der Tat sind es auch diese Komponisten, die Berger am meisten liebt.

Die Werke der letzten beiden Jahrzehnte können wir nur noch

kurz anführen und charakterisieren: „La Parola“, ein einsätziges symphonisches Stück, 1956 von Michael Gielen uraufgeführt; der gleichfalls einsätzige „Symphonische Triglyph“, 1959 von Miltiades Caridis zum erstenmal dirigiert und, ein Jahr später, im Salzburg von Herbert von Karajan aus der Taufe gehoben, die „Sinfonia parabolica“ mit den drei Sätzen scivolando — planan-do — rotando. Sie beschreiben musikalisch das Erlebnis des Gleitens beim Skifahren, des Segeins und technischer Geräusche. Das mußte Karajan, der wie Berger ein ebenso engagierter Sportsmann ist, fesseln. Denn der heute 70jährige Theodor Berger, der wie ein jugendlicher Sechziger aussieht, hat die Fitneß noch vor dem Österreichischen Fernsehen entdeckt und praktiziert.

1960 wurde durch die Wiener Philharmoniker (die Ausführenden der meisten anderen Orchesterwerke Bergers waren die Wiener Symphoniker) seine „Sinfonie für Balletttheater und Orchesterkonzerte“ „Jahreszeiten“ unter der Leitung von Dimitri Mitropoulos uraufgeführt. Es war dessen letztes Konzert in Wien, im November des gleichen Jahres ist er gestorben. Die szenische Uraufführung erfolgte bald darnach an der Wiener Staatsoper. — Auf ein ihm fremdes Gebiet begab sich der Komponist mit dem viersätzigen Violinkonzert, eine Bestellung durch die Wiener Festwochen und für Riccardo Odnopossof geschrieben, der es 1965 unter der Leitung von Eugen Ormandy zum erstenmal spielte. — In dem dreisätzigen Werk „Frauenstimmen im Orchester“ für sechsstimmigen vokali-sierenden Chor, Holzbläser, zwei Harfen, Marimbaphon, Celesta, Glockenspiel und Streicher nebst Schlagwerk ist der Einfluß von Debussys 3 .Nocturne („Sirenes“) unüberhörbar. Gewissermaßen als Gegenstück schrieb Berger als sein vorläufig letztes Stück das „Divertimento“ für sechsstimmigen Männerchor, sieben Bläser, Glockenspiel und Schlagwerk. Es wurde 1970 beendet und 1972 durch das ORF-Orchester unter Milan Horvat uraufgeführt.

Man sieht also: in seiner Heimat ist Theodor Berger nicht vernachlässigt worden, und auch im Ausland, einschließlich der USA, spielt man immer wieder seine Werke. Es gibt also einen „dritten Weg“, nur muß man die Begabung und die Kraft haben, ihn zu beschreiten. — Und Berger hat Erfolg, obwohl es in seinem gesamten Werkverzeichnis kein einziges Stück der gängigeren, leichter abzusetzenden Ware findet: kein einziges Kammermusikwerk (wenn wir von den schon erwähnten zwei Quartetten absehen): kein Klavierlied, kein Trio, keine Klaviersonate ... Berger denkt, erfindet und schreibt fürs Orchester. Dies ist seine Domäne, und die beherrscht er wie kaum einer unter seinen Zeitgenossen.

Flieder-Trio, Medjimorec, Ostrauer Streichquartett, Fassbaender

Junge Talente im Vordergrund

Drei Kinder der Wiener Musikprofessoren Flieder bilden ein Trio mit bereits beachtlichem Leistungsstandard. Vor allem trat Johannes im Brahms-Saal aus dem Schatten seiner ungleich bekannteren Schwester; sein Geigenspiel ist noch nicht so abgerundet, äußerlich perfekt, aber dafür brennend intensiv (Sonate c-Moll von Biber). Ähnliches Temperament, zugleich aber bereits eine erstaunliche technische Kultur zeigte der kleine Bruder Raphael auf dem Cello mit einer schon ziemlich anspruchsvollen Sonate in d-Moll von Andrea Caporale. Und Klara spielte gar Bachs d-Moll-Solopartita und hat damit durchaus nicht zuviel gewagt: ihr beseeltes Spiel vermittelt ein echtes Erlebnis. Im Ensemble spielten die tüchtigen jungen Musiker eine Partita e tre von Fux und eine Bachsche Triosonate in C-Dur. Gerne hätte man wenigstens einmal dabei Johannes an der ersten Geige gehört; seiner Entwicklung wäre es sicher zuträglich. Am Cembalo wirkte Gyöngyver Szilvassy mit. -Ein erfahrener Musiker hätte für Johannes vielleicht nicht so ein metrisches Prokustesbett gebaut, wie es bei Biber im Verein mit Raphael geschehen war. In den begeisterten Applaus am Schluß stimmte auch Ihr Rezensent aus ehrlicher Uberzeugung ein.

Heinz Medjimorec spielte .im Mozart-Saal einen Abend lang Schumann: Papillaris, Humoreske op. 20, Carneval. Wir hörten den ersten Teil. Die „Papillons“, von Schumann in engem Zusammenhang mit einem seinerzeit beliebten Roman von Jean Paul als „fliegende Zettelchen“ gedacht, die in einem Ballsaal kursieren, diese treffsicheren Situationsschilderungen nahm der Künstler romantisch-versonnen, mit merkbarer Konzentration auf technische Untadeligkeit; die „Humoreske“ erfuhr eine wahrhaft ideale Wiedergabe in feinst abgestufter Dynamik und schlechthin vollkommener Technik. Der Bösendorfer sang unter Medjimorec' Händen so, daß ihn auch Clara Schumann gelabt hätte.

Die zeitgenössischen Komponisten, deren Werke im Großen Sendesaal aufgeführt wurden (Wiedergaben am 23. und 30. Mai und am 3. Juni, jeweils um 21.30 Uhr auf ö 1), haben den Zenit ihres Lebens überschritten und somit auch eine merkbare Distanz zur Avantgarde, ohne jedoch für die Strömungen des Tages taub zu sein. Am stärksten spürte man das beim jüngsten der vier Künstler, dem knapp 50jährigen Heinrich Gattermeyer, dessen „Expression für Streichquartett“ noch dazu gut klang. Das Streichquartett von

Friedrich Neumann ist strukturell dicht und formal klar gearbeitet, das Quartett von Erich Markaritzer mit seiner peinlich sorgfältigen thematischen Verarbeitung weicht der Gefahr der Eintöniigkeit durch kluge Kürze aus. Mit dem 1. Streichquartett (1947) von Alfred Uhl verabschiedeten sich dann die Herren des Ostrauer Streichquartetts, die sich mit der Einstudierung der doch nur äußerst selten aufzuführenden Werke viel Mühe gegeben hatten.

Opernsängerinnen haben es im Konzertsaal schwer, das bewies auch die Münchner Kammersängerin Brigitte Fassbaender. Bei vier ana-kreontischen Schubert-Liedern wur-

de ihr der Brahms-Saal zu klein, war der schweren Stimme kaum ein Mezza-voce abzugewinnen; nach oben gerichtete Ligaturen erhielten nicht selten die Betonung auf schlechtem Taktteil auf der Höhe. Als sie dann Schumanns „Frauenliebe und -leben“ sang, war sie wie ausgewechselt: geschmackssicher, nie an unpassender Stelle auftrumpfend, bannend intensiv und herrlich begleitet von Erik Werba. Aber Mahlers hintergründigen Volkston traf sie nicht, und bei den Zigeunerliedern von Brahms verwirklichte sie nur die Komponente des Temperaments. Wer diesen Schumann gehört hatte, hat etwas sehr Schönes mit nach Hause genommen.

Herbert MüUer

# Alexander Solschenizyn hat sich für einige Zeit zu geistlichen Meditationen nach Canada zurückgezogen.

# Die große Hundertwasser-Ausstellung im Pariser Musie d'art moderne hat einen ungewöhnlichen Erfolg. Sie wurde vom französischen Staatssekretär für Kultur, Michel Guy, eröffnet und wird von Paris aus durch nicht weniger als 28 Länder wandern.

# Das Ballett „Der Korsar“ von Adolphe Adam wird 1975 nach Jahrzehnten erstmals wieder im Westen in einer Aufführung der Bregenzer Festspiele und in einer Fassung für die Seebühne zu sehen sein. Das Notenmaterial zu „Der Korsar“ war bisher nur in der Sowjetunion vorhanden.

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