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„Eisen! Du bist zahm geworden!“

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Die Dampflokomotive — sie hat nicht nur die Vorstellungskraft vieler Menschen gesprengt, sie hat die Dimensionen von Raum und Zeit, die seit Beginn der Menschheitsgeschichte über Jahrtausende unverändert gegolten haben, jäh und grundlegend gewandelt. Keine weitere verkehrstechnische Entwicklung — das reicht vonv Automobil bis zum Überschallflugzeug unserer Tage - hat die (Er-)Lebenswelt des Menschen vergleichbar revolutioniert.

In dieser Entwicklungsgeschichte ist sicherlich die Pferdeeisenbahn als Schlußphase jener Anstrengungen anzusehen, die möglicherweise bereits im steinzeitlichen Malta mit in Stein gehauenen Spurrillen für Schleifkarren begonnen haben.

Doch auch der schnellste Pferdewagen auf Schienen hat die menschliche Erfahrung von Raum und Zeit eigentlich nur unwesentlich erweitern können. Denn die Leistungskraft der gezähmten Pferde war in unseren Breiten bereits etwa seit dem Ende des dritten vorchristlichen Jahrtausends lebendiger Maßstab. Die Natur der Kraft, die Bewegung brachte, war damit begreifbar, aber begrenzt. Und das bis zum Beginn unseres 19. Jahrhunderts.

Das in Erinnerung zu rufen, bedeutet, den Hoffnungen wie auch den Ängsten unserer Altvordern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die sie beim Anblick einer Dampflokomotive dann bewegt haben mochten:

Mit einem Mal schmolzen Entfernungen, die bisher in Tagesreisen bemessen wurden, auf Zeitbruchteile zusammen. Die Geographie wurde — sozusagen über Nacht — kleiner. Oder wurde nur der Horizont größer? Entlegene Gebiete rückten plötzlich zusammen, Menschen kamen einander —

zumindest zeitlich — näher.

So sehr auch die moderne Technik dieses Raum-Zeit-Gefüge noch weiter verändert hat, der epochalen Bedeutung der Dampflokomotive tut das keinen Abbruch, selbst wenn ihre qualmende, zischende Ära schon wieder Vergangenheit ist.

Der Übergang vom Kutschen- ins Eisenbahnzeitalter — die ersten Waggons versinnbildlichen ihn in der nahezu unveränderten Übernahme des Kutschenkastens deutlich - hat aber nicht nur menschlichen Lebens-, Kultur- und Wirtschaftsraum Zug um Zug erweitert, die neue Einheit von Verkehrsweg „Schiene“ und Verkehrsmittel „Lokomotive“ hat auch einen weiteren Widerspruch zeitgenössischen Denkens zu lösen gehabt: Denn die Zeit kannte — um es in der Sprache unserer Gegenwart auszudrücken — eigentlich nichts anderes als Individualverkehr.

Die Dampfeisenbahn brachte jetzt — zusätzlich noch zur Mechanisierung des Landverkehrs, welche allein schon die Fassungskraft der Menschen vielfach überfordert hat - auch noch Fassungsraum von neuartigen Ausmaßen. Das ist — mehr oder minder — die Geburtsstunde des Massenverkehrs, eines Transportsystems für Menschen und Güter von — über die politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen hinaus — ungeheurer sozialer Tragweite.

Heinrich Sichrowsky, Mitstreiter des genialen Eisenbahnplaners Franz Xaver Riepl und erster „General-Secretär“ der Kaiser Ferdinands-Nordbahn, rang in einem 1834 verfaßten Promemoria selbst noch nach Worten, um das niederzuschreiben, was ihn und seine Zeit bewegte:

„Da es in der neuesten Zeit nachgewiesen wurde, und alle Tage wirklich erprobt wird, dass ein Pferd auf einer Eisenbahn wenigstens elfmal so viel, als auf der besten macadamisirten Chaussee fortzuschaffen im Stande ist, so wird sich kaum ein menschliches Genie finden, welches fähig wäre, alle Erscheinungen und Erfolge v eines gesteigerten Wohlbehagens vorauszusehen, klar zu fassen, zu überschauen und darzustellen, welche zum allgemeinen Besten aus dem wechselseitigen Austausche der Kunst- und Naturpro- ducte entfernter Districte durch das erprobte Vehicel eines wohlüberdachten Eisenbahnsystems sich ergeben müssten. Wer ist im Stande, den hohen Aufschwung des öffentlichen Wohlstandes, die Scenen eines gesteigerten, glücklicheren Volkslebens zum Voraus zu beschreiben, welches sich in der österreichischen Monarchie unfehlbar ergeben müsste, wenn z. B. eine wohlconstruirte Eisenbahn gleichsam als eine Achse für den Umschwung des Handels und der mannigfaltigsten, bürgerlichen Betriebsamkeit hergestellt würde.“

Mannigfaltigebürgerliche

Betriebsamkeit war freilich zu jener Zeit — in den Vormärz-Jahren zwischen dem Ende der Napoleonischen Kriege und dem Revolutionsj ahr 1848 — in dieser österreichischen Monarchie nicht unbedingt gefragt, Fortschrittsdenken aus dem Westen, politische Ideen liberalen und nationalen Geistes erst recht nicht.

Laut gedacht wurde aber trotzdem von Österreichern, wenn auch in sicherer Distanz zum Met- ternichschen System, das gewaltsam innere Ruhe erzwang. Und vielleicht ist es deshalb kaum bekannt, daß sich schon unter den frühesten literarischen Zeugnissen zum Thema Eisenbahn österreichische Stimmen finden.

Zwar kennt fast jeder sein Gedicht „An der schönen blauen Donau“ , das mit der Melodie von Johann Strauß (Sohn) die Zeiten überdauert hat. Doch wer kennt schon den 1817 im ungarischen Baja geborenen und 1879 in Wien- Währing verstorbenen Karl Isidor Beck? 1837 setzt er dem Unverständnis seiner Zeit sein Gedicht „Die Eisenbahn“ entgegen:

Nur der Dichter sieht im Bunde Mit den Geistern, kann sie hören, Kann, ein Faust, aus jedem Hunde Einen Geist herauf beschwören. Und nach neuen Welten tastet Er mit jedem Herzensschlage; Baut, zerstört und baut — und rastet

Nicht wie Gott am letzten Tage.

Diese Schienen,Hochzeitsbänder, Trauungsringe blankgegossen: Liebend tauschen sie die Länder, Und die Ehe wird geschlossen.

Weiter, auf den kriegerischen Beginn des 19. Jahrhundertszurückblickend, schwärmt er:

Eisen! Du bist zahm geworden! Sonst gewohnt, mit wildem Dröhnen

Hinzuwettem, hinzumorden, Ließest endlich dich versöhnen; Magst nicht mehr dem Tode dienen,

Liebst am Leben fest zu hangen, Und auf deinen spröden Schienen Wird ein Hochzeitsfest begangen.

Die „Poesie des Dampfes“ hat — ebenfalls bereits 1837 — auch Anastasius Grün angespornt, auf den Menschengeist einen Siegeshymnus anzustimmen:

Wie Dir der Feuergeist die Flammenkrone Herab vom stolzen Haupt hat reichen müssen,

Wie Du dem Erdgeiste, seinem Sohne,

Das ehme Herz kühn aus der Brust gerissen;

Wie Du zu beiden sprachst: Jhr sollt nicht rasten!’

Daß fürder Mensch nicht Menschen knechten möge,

Geh, Feuer du, und trage deine Lasten!

Leb’, Eisen du, und wandte seine Wege!

Und nach dieser Huldigung der schöpferischen Kraft des Menschen faßt Grün seine ersten Eisenbahn-Eindrücke zusammen:

Schon seh’ ich dort entlang des Gaues Straßen Die dampfgetrieben Wagenburgen fliegen,

Wie scheugewordne E lefantenmassen Türm’ und Geschwader tragen fort zu Siegen;

Der schwarzen Rüssel Schlote hoch erhoben,

Dampfschnaubend, rollend wie die Wetterwolke!

Die Mannen, siegestrunken, jauchzend oben!

Weitum gelichtet alle Bahn dem Volke!

Das erste Schienenpaar, auf dem die „Austria“ vor eineinhalb Jahrhunderten über die weite Ebene des Marchfeldes dampfte, verlor sich am Horizont einer neuen Zeit.

„Jetzt steht die Welt nicht mehr lange“ , soll 1837 ein alter Wagra- mer, dem der Kanonendonner der Schlacht vom 5. und 6. Juli 1809 noch im Ohr geklungen haben mußte — so wurde es zumindest in „Heimatkundlichen Lesestük- ken“ des Ortes bis in die zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts tradiert -, als Augenzeuge des polternden und schnaubenden ersten Eisenbahnzuges beim Nachhausegehen gesagt haben.

AproposDeutsch-Wagram:

Hier stand auch Ignaz Weißenbergers erste Bahnhofsrestauration. Oder waren es deren gleich drei, die „für das neugierige Publicum bestimmt waren, das dem Anblick der in die hölzerne Halle einfahrenden Züge zu Liebe verweilen wollte“ ? Zumindest berichtet das später der Nordbahn- Ingenieur Hartwig Fischei in einer Beschreibung der „Bahnhofsbauten der Kaiser Ferdinands- Nordbahn“ . Wobei Fischei persönlich dem in den Augen von Schlachtstrategen und Eisenbahnbauern so idealen Landstrich überhaupt nichts abgewinnen konnte, denn nur „die Neuheit des Unternehmens brachte es mit sich“ , schreibt er, „dass eine von der Natur stiefmütterlich behandelte Gegend zu einem Ziel für Lustfahren wurde.“

Vorabdruck aus dem demnächst im Verlag Niederösterreichisches Pressehaus erscheinenden Buch „ZUG um ZUG - IX Marchfeld und retour“ von Reinhard Linke, Hannes Schopf (Hrsg.).

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