6819734-1973_28_09.jpg
Digital In Arbeit

Eisenarm Eisenhower

19451960198020002020

Bis heute verstehen nur wenige Österreicher den Sinn und den Zweck angelsächsischer Kriegführung. Viel zu sehr sind alle dem kontinental-strategischen Denken zugetan, wie es von Deutschen, Franzosen und Russen vorexerziert wird. Von dort her - kommen die zahlreichen Mißverständnisse und Fehlinterpretationen des Fernostkrieges oder der Nahostkrisen, die immer wieder durch unsere Zeitungen und audiovisuellen Nachrichtenmittler geistern. Fast auf den Tag genau sind 30 Jahre vergangen, seit die Briten und die Amerikaner großangelegte Landungsoperationen in Europa und im Pazifik einleiteten. In einer dreiteiligen Artikelserie befaßt sich Fritz M. Rebhann mit diesem Abschnitt unserer Zeitgeschichte, um damit zum besseren Verständnis für ähnliche Aktionen der Gegenwart, für deren Beweggründe und Zielsetzungen beizutragen. Interessierten Lesern empfehlen wir, die Aufsätze Rebhanns in den Ausgaben der FURCHE vom 9. und 16. Dezember 1972 (Nr. 50 und 51) zur Ergänzung heranzuziehen. Der Abschnitt über Jugoslawien möge mit den Ausführungen des Verfassers in der FURCHE vom 7. und 14. April (Nr. 14 und .15) verglichen werden.

19451960198020002020

Bis heute verstehen nur wenige Österreicher den Sinn und den Zweck angelsächsischer Kriegführung. Viel zu sehr sind alle dem kontinental-strategischen Denken zugetan, wie es von Deutschen, Franzosen und Russen vorexerziert wird. Von dort her - kommen die zahlreichen Mißverständnisse und Fehlinterpretationen des Fernostkrieges oder der Nahostkrisen, die immer wieder durch unsere Zeitungen und audiovisuellen Nachrichtenmittler geistern. Fast auf den Tag genau sind 30 Jahre vergangen, seit die Briten und die Amerikaner großangelegte Landungsoperationen in Europa und im Pazifik einleiteten. In einer dreiteiligen Artikelserie befaßt sich Fritz M. Rebhann mit diesem Abschnitt unserer Zeitgeschichte, um damit zum besseren Verständnis für ähnliche Aktionen der Gegenwart, für deren Beweggründe und Zielsetzungen beizutragen. Interessierten Lesern empfehlen wir, die Aufsätze Rebhanns in den Ausgaben der FURCHE vom 9. und 16. Dezember 1972 (Nr. 50 und 51) zur Ergänzung heranzuziehen. Der Abschnitt über Jugoslawien möge mit den Ausführungen des Verfassers in der FURCHE vom 7. und 14. April (Nr. 14 und .15) verglichen werden.

Werbung
Werbung
Werbung

Vor etwa 900 Jahren zerbrachen sich die Verwandten und Freunde des alten Hauteville die Köpfe, wie ihre normannischen Detachements nach Sizilien, auf den Balkan oder nach Südengland transportiert werden könnten. Unter den sagenhaften Kommandeuren, die sich schon in den verschiedensten Brückenköpfen gegen die Griechen, den weströmischen Kaiser, den Papst, die Emire, Grafen und Gott weiß wen noch bewährt hatten, befand sich ein Mann namens Eisenarm (Bras-de-Fer). 1943 mußte sich ein anderer, namens Eisenhower, in der gleichen Gegend mit ähnlichen Problemen herumschlagen:

Die Schwierigkeiten beschränkten sich diesmal nicht auf das Meer-und Küstengebiet, es galt vielmehr, zunächst die Überlegenheit in den Lüften und schließlich die Luftherrschaft zu gewinnen. Bereits am 12. Juni 1942, als die Deutschen in Südrußland ihre große Offensive vortrugen, waren einige der neuen, viermotorigen US-Bomber von britischen. Flugplätzen im Nahen Osten unter Commander Halverson bis zu den rumänischen ölfeldern vorgestoßen. Dieser Spezialeinsatz hatte sich als nahezu tödlicher Fehlschlag erwiesen und höhnisches Gelächter im feindlichen Lager verursacht.

Aber die amerikanische Luftkriegsführung blieb unerschütterlich bei ihrer Ansicht, daß Bombenangriffe dieser Art erstrangige Bedeutung zukomme. Was die Amis brauchten, waren Flugplätze außerhalb Englands, die sich immer näher an Mitteleuropa heranschoben. Sie suchten diese Plätze bei der Eroberung Libyens, suchten sie in Tunesien und wollten zunächst auch von Italien nichts anderes als einige Flugplätze haben. Im Frühjahr 1943 bereitete man in Washington mit unendlicher Sorgfalt den zweiten Versuch gegen die rumänischen Ölraffinerien vor, während Eisenhower in Nordafrika aus seinem Mißfallen über solche Verstiegenheiten kein Hehl machte. Am 1. August erfolgte eine neuerliche Attacke auf Ploesti, deren Wirkung etwas stärker, aber noch immer zweifelhaft war. Doch die Verfechter des horizontalen Bombardierens über weiteste Distanz gaben nicht auf, überwanden Verluste und bemühten sich, aus taktischen Fehlern zu lernen. Schon am 13. August war es abermals soweit: Eine Bomberformation verließ Tunesien in Richtung Nordost und griff — sehr erfolgreich — Wiener Neustadt an.

Mit den Operationen um Sizilien, etwaigen Absichten auf Sardinien, auf das italienische Festland oder auf den Balkan hatte dies natürlich nichts zu tun, im Gegenteil, die dortigen Kampfhandlungen waren ihrerseits zur Unterstützung des Luftkrieges notwendig. Sizilien, dem nach längerer Überlegung im alliierten Hauptquartier der Vorrang gegenüber Sardinien und Korsika eingeräumt worden war, hatte allerdings noch einen anderen Vorteil: Die Seeherrschaft über das Mittelmeer konnte nur durch den Besitz dieses großen Eilandes gesichert und damit die Verbindung nach Arabien und Indien mit den anschließenden Kriegsschauplätzen geschützt werden. Das gab den Ausschlag, obwohl Sardinien als schlecht verteidigt galt und im Falle seiner Eroberung mehr deutsche Kräfte entlang der gegenüberliegenden Küste Europas festgehalten hätte. Die nächste Frage war die eigene Invasionsstärke im Vergleich zur ausgekundschafteten Kraft der Deutschen und Italiener. Die 7. US-Armee riskierte fürs Erste nur vier Infanteriedievisionen, die 8. britische Armee 5 Divisionen und eine Brigade. Dazu kamen etliche Kommandoeinheiten und Fallschirmtruppen. Luftmarschall Ted-der verlangte konzentriertes Vorgehen in engen Räumen, um die südöstliche Gruppe der Flugplätze Siziliens möglichst rasch in die Hand zu bekommen. Insgesamt gab es nämlich drei Hauptgruppen von

Flugfeldern zu erobern, und zwar in der genannten Südostecke, in der Umgebung Catanias, und im Westen der Insel. Auf jeden Fall hatte man sich bereits der kleinen Inselfestung Pantelleria und einer noch winzigeren Nachbarscholle bemächtigt und versuchte dort, Feldflugplätze zu konstruieren. Anfang Juni 1943 begann das vorbereitete Luftbombardement auf jene 2 Divisionen aus Deutschland, die Hitler damals als ausreichend für die Verteidigung Siziliens empfand, sowie auf 4 italienische Infanteriedivisionen und die Küstenwachtverbände in Stärke von S Divisionen. Die Deutschen und die Italiener setzten dagegen 1850 Flugzeuge in Bereitschaft, die in Sizilien selbst, in Sardinien, auf dem italienischen Festland und in Südfrankreich stationiert waren. Doch die Alliierten konnten bereits die stattliche Zahl von 4000 Bombern und Jägern in den Kampf werfen.

In der Nacht vom 9. auf den 10. Juni 1943 arbeiteten sich die alliierten Transportflotten bei schwerer See gegen die dunkle Küste der Insel vor, während die Geschwader des Admirals Cunning-lam Eisen und Feuer ans Land spieen. Einer der ersten neoveristischen Filme Rosselinis, („Der Nachbar“), hat diese Stunde aufs trefflichste festgehalten. Am 10. Juni, an einem außerordentlich warmen Sommertag, wurde die einzige Nachmittagszeitung der Gaustadt Wien den Straßenverkäufern fast aus dei Hand gerissen, denn darin war bereits der Wehrmachtsbericht des gleichen Tages abgedruckt, der bei allem zur Schau getragenen Optimismus über die Tatsache einer geglückten Landung in Sizilien nicht hinwegtäuschen konnte. Die deutsche Propagandawelle, derzufolge die Angloamerikaner nach dem Rückschlag bei Dieppe keiner amphibischen Operation mehr fähig seien, fand damit ihr Ende.

Die Schlacht um die Insel dauerte länger als beide Seiten angenommen hatten. Hitler ließ seine Streitmacht in Sizilien durch Eliteeinheiten verstärken, die Briten schwollen auf 7 Divisionen mit entsprechenden Panzerbrigaden an, die Amerikaner auf 6 Divisionen. Die USA trugen zur alliierten Luftmacht 55 Prozent bei, die Briten stellten 80 Prozent des Schiffsraumes. Innerhalb von zehn Tagen konnten die deutsche Luftwaffe und ihr italienisches Anhängsel niedergerungen werden: elf -hundert Maschinen galten als zerstört oder fluguntauglich, nur 25 Jäger zeigten noch über dem Kampfgebiet das Hakenkreuz. Von da an befaßten sich die alliierten Bomber täglich mit Süditalien und Neapel, am 19. Juni erfolgte der erste schwere Angriff auf Eisenbahnziele in Rom. Doch erst am 19. August 1943 verließ der letzte Achsen-Soldat sizilianischen Boden, nachdem es den Alliierten nicht gelungen war, namhafte Gruppen des Gegners einzukreisen oder den Schiffsverkehr mit dem Festland völlig zu unterbinden. Aber die blutigen Verluste der Deutschen und Italiener waren bedeutend höher als die Ausfälle der Briten und Amerikaner, wenngleich auf beiden Seiten nicht mit Einsatz jeder verfügbaren Kraft gekämpft wurde. Die mühevolle Abdrängung der Achsenstreitkräfte vom sizilianischen Schlachtfeld sollte trotzdem viel folgenschwerer sein als dies mancher glanzvolle, schnelle Sieg in der Kriegsgeschichte zustande brachte.

Am liebsten hätten die Amerikaner nach der sizilianischen Affäre eine größere Gefechtspause eingelegt. Sie wollten weder ihren pazifischen Kriegsschauplatz vernachlässigen, noch die Vorbereitung der großen Invasion in Frankreich durch kostspielige Operationen im Mittelmeerraum schmälern. W. S. Churchill war zu gegenteiliger Anschauung gelangt und zögerte nicht, deshalb eine Führungskrise größeren Ausmaßes im alliierten Lager heraufzubeschwören. Zweifellos stellt dies einen der letzten Versuche des britischen Kabinetts dar, selbständige, traditionsbewußte Weltpolitik zu betreiben und dabei den Gegensatz mit den USA nicht zu scheuen. Churchill verlangte jedenfalls ausgedehnte Kampfhandlungen in Südeuropa, welche die britische Niederlage bei Gallipoli im Ersten und in Griechenland während des Zweiten Weltkrieges wettmachen sollten. Er hielt den britischen Führungsanspruch in allen einschlägigen Angelegenheiten gegenüber den Amerikanern aufrecht, hoffte auf den Kriegseintritt der Türkei, auf die Eroberung des Dodekanes und auf einen Waffenstillstand mit Italien, der dieses Land sowie die von italienischen Truppen besetzten Teile des Balkans, auf die Seite Englands gebracht hätte. Schließlich hielt er ein Nachkriegskonzept für den Mittelmeerraum in der Tasche verborgen, das den Russen sehr unangenehm und den Amerikanern auch nicht gerade passend gewesen sein dürfte. Churchill war überaktiv und zu politischen Risken fähig, um das Heft in der Hand zu behalten. So begann er sich um Tito zu bemühen, sandte in der Folge seinen eigenen Sohn zu diesem Partisanenführer und zog die Hand vom jugoslawischen Exilkabinett in Kairo ab. Dies, obwohl König Petar seinerseits zu Konzessionen gegenüber Tito bereit schien und sogar den kroatischen Banus zum Ministerpräsidenten machte.

Im Juli 1943 war manches davon noch unausgegoren. Aber die Briten verlegten ihre polnischen Truppen aus Persien an die levantinische Küste und hielten trotz der durch die lange Kriegsdauer verständlichen Schwäche Englands an ausgebildeten Soldaten daran fest, daß die 8. Armee Montgomerys voll in Einsatz gegen Italien komme. Hiebei brachten ihr die kanadischen Kontingente, die von den britischen Inseln nachgezogen wurden, sowie Südafrikaner, Inder und andere Völkerschaften eine gewisse Erleichterung. Mit britischer Hilfe kam auch die griechische Partisanenbewegung in Fluß, die sich streng in linke und rechte Organisationen teilte, und kommunistische Freischärler Albaniens suchten bei Tito Rat und Hilfe. Aller Augen aber waren auf Italien gerichtet, auf das faschistische Imperium, das noch vor drei Jahren als mächtiger Freund des Dritten Reiches und Japans die Chance gehabt hätte, jenen Verständigungsfrieden zu vermitteln, der die Entwicklung der Welt in andere Bahnen gelenkt hätte. Seit damals nahmen die Briten das Verdienst für sich in Anspruch, Italien „fertiggemacht“ zu haben. Sie hatten schon 1940/41 ungefähr eine Viertelmillion Italiener in Libyen gefangen, Äthiopien zur Kapitulation gezwungen, mehrere italienische Häfen beschossen, die italienische Flotte in schweren Gefechten auf hoher See geschlagen und schließlich in Tarent mit Torpedoflugzeugen arg zugerichtet. Die 8. Armee hatte 1942 beim Vormarsch durch die Cyrenaika und durch Tripolitanien von den Italienern wenig übriggelassen, in Tunesien war das Heer des Duce von den Amerikanern mit britischer Hilfe gefangen worden. Allerdings hielten auch die Italiener etwa 70.000 Engländer in Gewahrsam, um die sich Churchill große Sorgen machte. Er fing an, Präsident Roosevelt und General Eisenhower mit Eingaben und Vorschlägen zu überschütten, was mit Italien alles zu machen wäre, sicherte sich die Hilfe des südafrikanischen Staatsmannes, Feldmarschall Smuts, und spornte den Oberkommandierenden in Sizilien, General Alexander, zu energischem Vorgehen an. Am 22. Juli 1943 verlangten die britischen Stabschefs von ihren amerikanischen Kollegen vergeblich die Einleitung eines Angriffes auf Neapel. Schließlich, als auch im Fernen Osten die Probleme anstanden, entschloß sich Roosevelt, zu einer großen Konferenz mit Churchill nach Quebec zu reisen. Angesichts der folgenden Diskussionen und Festlichkeiten in Kanada entging beiden Staatsmännern viel von der dramatischen Situation auf der Apenninenhalbinsel, die rasches Reagieren erfordert hätte. Man ließ, gemäß einer Rede Churchills, Italien „im eigenen Saft schmoren“ und übersah den Appetit Hitlers auf das durchgebratene Stück.

Der Südafrikaner Smuts forderte schließlich die Verschiebung der für 1944 geplanten Invasion Frankreichs auf unbestimmte Zeit und an Stelle dessen einen Generalangriff aus dem Mittelmeerraum, der die Deutschen hinter den Po, die Donau und die Save zurückwerfen sollte. Doch Churchill konnte sich diesem Extremstandpunkt kaum anschließen, er mußte aufs Einlenken gegenüber den Amerikanern bedacht sein und in Quebec sowie anschließend in Washington, die Zusammenarbeit aller englisch sprechenden Völker wieder in den Vordergrund rücken. Die materielle Abhängigkeit der Briten von den USA war zu groß, desgleichen die Gefahr eines amerikanischen Alleinganges mit der UdSSR und bei der Führung des pazifischen Krieges. Diese Phase des Tauziehens und der Unentschlos-senheit sollte sich bei den Waffenstillstandsverhandlungen mit Italien sehr nachteilig auswirken. Zunächst verhandelten die Engländer, dann nahm ihnen Eisenhower als Oberkommandierender die Angelegenheit aus der Hand und zerstörte alle politischen Hoffnungen zugunsten einer militärischen Sachlösung. Am Ende mußte sich Churchill im Unterhaus den Vorwurf gefallen lassen, man habe 40 Tage mit den Italienern mehr oder weniger fruchtlos diskutiert und den Deutschen dadurch Zeit zu entsprechenden Gegenmaßnahmen eingeräumt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung