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Eisenbahn und Autowahn

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Gemeinhin werden das Auto und der Straßenverkehr als diejenige Verkehrsform präsentiert, die Mobilität erst ermögücht haben imd ermöglichen. Eine solche Aussage klammert zum einen die Verkehrsgeschichte und zum anderen den internationalen Aspekt aus.

Verkehrsgeschichtlich waren es die Eisenbahn und der Schienenverkehr, die Mobilität erst herstellten. Die Zahlen zum Deutschen Reich: 1880, als sich der Eisenbahn-bauboombereits dem Ende näherte, wurden im Deutschen Reich 200 Millionen Personen im Schienenverkehr befördert. Bis zur Jahrhundertwende hat sich diese Zahl vervierfacht und bis 1925 verzehnfacht.

1925 registrierte die Deutsche Reichsbahn2,2 Milliarden beförderte Personen - ein Höhepunkt, den sie und die Deutsche Bundesbahn später nie mehr erreichten.

Der Vergleich zur vorausgegangenen Transporttechnologie: 1831 wurden per Postkutsche im selben Gebiet rund eine Million Menschen transportiert. Das ergibt im Jahrhundertvergleich 1925/1831 eine Steigerung des Personenverkehrsaufkommens um das 2000fache.

Zum internationalen Aspekt: Wenn wir dem Pkw nachsagen, er bringe dem Menschen schlechthin Mobilität, dann muß man sich vor Augen halten: Der Pkw-Bestand in Nordamerika, Japan und Westeuropa addiert sich auf rund 290 Millionen Einheiten. Das sind 80 Prozent aller weltweit vorhandenen Pkw. Oder: 18 Prozent der Menschen verfügen über 80 Prozent dieses "mobilitätsspendenden" Gefährts.

Wenn wir die Frage stellen, warum und wann sich der Straßenverkehr gegenüber dem schienengebundenen Verkehr durchgesetzt hat, dann kommt man nicht umhin, als einen entscheidenden Faktor die wirtschaftsgeschichtliche Entwicklung in den USA (konkret den Aufstieg der Rockef eUer-Standard Oil-Gi-uppe) anzuerkennen.

Bis zur Jahrhundertwende waren die führenden US-amerikanischen Kapitalfraktionen auf dem Eisenbahnbau und -betrieb aufgebaut. Namen wie Vanderbuilt oder Morgan sind damit verbunden. Anfang des 20. Jahrhunderts rückte die RockefeUer-Gruppe, die zunächst auch Eisenbahninteressen hatte, zur führenden Fraktion auf. Rockefeller aber hieß vor allem Ölinteressen. Und eng mit Rockefeiler verbunden war ein Unternehmen, dessen bis dahin unbekannter Firmenboss auf den Namen Henry Ford hörte.

Und parallel mit dem Aufstieg Rockefellers - im Jahr 1900 - nahm Hemy Ford die Serienproduktion von Pkw auf.

Bereits Ende der zwanziger Jahre wurde in den USA mit 20 Millionen Pkw eine Kraftfahrzeugdichte erreicht, wie sie in Westeuropa erst 40 Jahre später erreicht wurde.

Meine These lautet: Der Straßenverkehr setzte sich in den entwickelten, hochindustrialisierten Ländern weitgehend parallel mit dem Aufstieg der USA zur weltweit führenden Kapitalmacht - also nach dem Zweiten Weltkrieg durch. Und Aufstieg der USA hieß Aufstieg von Rockefeller, Standard Oil, General Motors, Ford. So schön Namen wie Volkswagen, Citroen, Fiat klingen mögen - wir müssen uns vor Augen halten: Noch 1955 stammten 80 Prozent aller weltweit hergestellten Pkw von US-Konzemen.

Für jeden Ökonomen ist klar: Wenn jahrzehntelang Investitionen in eine Technologie vernachlässigt werden und gleichzeitig in die mit ihr konkurrierende Technologie Milliarden-Beträge aus Staatshaushalten investiert werden, dann Hegt eine Wettbewerbsverzerrung vor. Genau dies läßt sich heute für den Vergleich Schienen- und Straßenverkehr konstatieren. Eine schlichte Rechnung für die Bundesrepublik im Zeitraum 1965 bis 1984 liest sich folgendermaßen:

- Wir unterstellen eine ideell vorgestellte Firma "Straßenverkehr AG" - analog zur Bundesbahn.

- Wir nehmen die ausgewiesenen staatlichen Ausgaben für das Straßenverkehrswesen (inklusive Kosten für Verkehrspolizei und Steuerausfall infolge von Kilometer-Pauschale) und stellen ihnen die Einnahmen aus der Kfz- und Mineralölsteuer gegenüber.

- Wir stellen fest: Beide Unternehmen, die 1965 keine Schulden haben, arbeiten Jahr für Jahr defizitär. Die aufgelaufene Schuld der Bundesbahn machte 1984 rund 41 Milliarden DM (290 Milliarden Schilling), die der ideell vorgestellten Firma 76 Milliarden (535 Milliarden Schilling) aus - also fast doppelt so viel

Der kleine Unterschied: Die Firma Straßenverkehrs AG gibt es nicht. So kommt auch in der Öffentlichkeit niemand in Versuchung zu behaupten, der Straßenverkehr sei defizitär.

Denjenigen, die dennoch behaupten, heute sei der Straßenverkehr aber gewinnbringend, möchte ich

Ergebnisse einer Rechmmg, die 1982 im Auftrag des Bonner Verkehrsministeriums erstellt worden ist, präsentieren:

- Alle Verkehrsarten sind volkswirtschaftlich defi2d.tär

- Der Schienenverkehr deckt 66 Prozent der Kosten,

- der Kfz-Verkehr deckt 88 Prozent,

- der Lkw-Verkehr deckt 64 Prozent. In diesem Sektor ist die Eisenbahn auch heute noch günstiger.

Alle diese Kosten schließen niemals die volkswirtschaftlichen Gesamtkosten und schon gar nicht die Folgekosten (ganz zu schweigen von den immateriellen, etwa jenen, die durch Verkehrsopfer zu beklagen sind) ein.

Dazu ein paar Vergleiche:

- Der Energieverbrauch und die Lärmbelastung liegen im Straßen-, verkehr drei- bis fünfmal so hoch wie im schienengebundenen Verkehr,

- die Schadstoffemission liegt im Straßenverkehr - bei vergleichbarer Transportleistung 20-bis30mal höher,

- der Flächenbedarf (also die Landschaftszerstörung)istneun-bis 17mal größer imd

- die Unf aUhäufigtelt (die Gefahr, verletzt zu werden) ist mindestens SOmal größer.

Das polnische Verkehrsministerium hat 1978 versucht, diese "qualitativen Kosten" wie Energieverbrauch, Lärm, Emissionen, Landschaftszerstörung, Tote… zu quantifizieren. Das Ergebnis: Der Personentransport mit Pkw kommt die Gesellschaft je gefahrenem Kilometer rund 35mal teurer als derjenige im elektrisch betriebenen Schienenverkehr.

Es ließe sich natürlich hoffen, es komme demnächst zu einer Umkehr dieses "verkehrten Verkehrs". Doch das Gegenteil ist der Fall. Die konkret vorüegendenPlanungenschrei-ben den Weg in die totale Autoge-

sellschaft vor. Das Wachstum soll übrigens im Güterverkehr überproportional steigen - was insbesondere auch den Transitverkehr durch Österreich betreffen wird.

Das soU nicht heißen, daß eine andere Art Verkehrsplanung nicht denkbar wäre. Sie ist auch mach-und finanzierbar, bringt auch gesamtgesellschaftlich und volkswirtschaftlich Gewiim. Eine solche Verkehrspolitik müßte auf folgendes hinauslaufen:

- Keine neuen Straßen zu bauen und den Straßenverkehr zu verteuern, ihn zumindest den Großteil der verursachten Kosten auch selbst tragen zu lassen und

- den öffentlichen Verkehr fördern, was große Modemisierungs-investitionen erfordern würde.

Auszug asia einer gleichnamigen Publikation der ‘GeseUschaft für VerkehrspoUtik’

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