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Elegie auf den Hausruck

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Nun wird die schreckliche Innkreisautobahn Wirklichkeit. Mitten im Land um Wels, in der Heide und im angrenzenden Hügelland stehen bereits Brücken, bald werden sie die entsprechenden Straßen nachziehen. Damit ist der Punkt ohne Wiederkehr erreicht. Für Bürgerinitiativen ist es längst zu spät. Jetzt ist die Zeit der Trauer. Tempus adest, es ist Zeit, Elegien zu singen und Abschiedslieder anzustimmen.

Es war vom gesamteuropäischen Verkehrskonzept, das diese Autobahn erfordert und erzwingt, die Rede, und die Argumente ehrgeiziger Politiker schienen vielen so schwerwiegend wie die großen Baumaschinen, die nun den Ton angeben. Auch von der Erschließung war die Rede und der Entwicklung der Infrastruktur. Doch sollte der Mensch nicht besser seine eigene seelische Infrastruktur entwickeln? Vielleicht sollte er ganz einfach das Bahnfahren oder das Daheimbleiben wieder lernen. Vorwärts, wir müssen zurück.

Solche Katastrophen wie Autobahnen treffen sozusagen naturnotwendig immer das Land und dünnbesiedelte Gebiete, über das Land hinweg werden Städte miteinander verbunden. Es ist heute in der Großstadt schwerer geworden, einen einzelnen Allee- oder Parkbaum umzuschneiden als hier einen ganzen Wald.

Ich habe mich darum seinerzeit, als die Frage der Lagerung des Atommülls diskutiert wurde und neben dem nieder-österreichischen Waldviertel bereits auch das oberösterreichische Mühlviertel ins Gespräch kam, wie das Waldviertel auch eine Grenzgegend, wo man geologisch und politisch am leichtesten durchzukommen hoffte, zu Wort gemeldet und die Gegenmeinung kundgegeben, daß ich mir als Zwischen- oder Endlager des atomaren Abfalls nur Wien vorstellen könne.

Ich halte diesen Vorschlag nach wie vor für politisch plausibel, wie ja auch die Kraftwerke ökonomischerweise in der Nachbarschaft der Hauptverbraucher errichtet werden sollten. Ich äußerte mich damals in einem Leserbrief in einer kleinen Zeitung in der Provinz. Geradeso (kümmerlich) empfinde ich auch meine politischen Möglichkeiten: Einen Leserbrief an eine kleine Zeitung schicken und im Kummerkasten veröffentlichen ...

Irgendwo habe ich einmal gelesen, daß alles das, was die Menschen der Erde und der Natur antun, in Erfüllung des Schöpfungsauftrages geschehe: Macht euch die Erde Untertan. Das hat, auf das Viatische angewendet, seinerzeit wohl auch einen Sinn gehabt, als sich die Menschen durch die undurchdringlichen Wälder der Vorzeit einen Weg bahnten. Wenn sie aber nun quer durch den Schießling und das Linnet, zwei kleinere Bauernwälder vor Wels eine Schneise schlagen und abholzen, daß links und rechts der Autobahn grad noch einige schütter und verloren wirkende Bäume bleiben, die sich der Wind bald holen wird, so empfinde ich dies als die Perversion des biblischen Gebots.

Jahrelang bin ich mit dem Postautobus auf dem Weg zur Schule durch diese Wälder gefahren, sie hatten ihre Tiefe, ihre Dunkelheit und ihr Geheimnis. Nun stehen sie wie entzaubert und verspottet. Heute müßte es lauten: Macht euch der Erde Untertan. Wenn mar nach alter Vorstellung die Natur als die Widersacherin des Menschen ansieht, die Tiere bloß als Wild oder überhaupt als Ungeziefer und den Wald als Rohstoff für die Möbelindustrie betrachtet, dann müßte man wohl auch erkennen, daß wir diesen Gegner inzwischen weitgehend reduziert und amputiert haben.

Wir leiden an Uberhege und sollten das bißchen natürlicher Unwirtlichkeit, das in unseren Breiten verblieben ist, pfleglich behandeln und kultivieren, das heißt belassen und schonen. Die Ökologie ist die neue und wahre Philo-. sophie. Es ist zu befürchten, daß auch

sie nur redet und die Welt bespricht, statt sie zu verändern, das heißt, die hemmungslosen Veränderungen zu beenden.

Als ich vor Jahren in Deutschland während der Energiekrise die autofreien Tage erlebte, bin ich im Anschluß daran über die Berichte erschrocken, wer aller von den Notmaßnahmen in seiner wirtschaftlichen Existenz betroffen und gefährdet war. Die Lage ist wohl die, daß man sich schlecht vorkommen muß, wenn man sich nicht am Konsum beteiligt. Wer etwa daheim bleibt, gefährdet damit Arbeitsplätze. Wer aber zum Beispiel raucht, tut wohl sich selbst keinen Gefallen, erweist aber damit vielen etwas Gutes. Lungenkrebs für die Dritte Welt.

Hier wird denn der Mangel unserer Wirtschaft theologisch: O felix culpa! O glückliche Schuld!

In allen Reden der Zuständigen (am Autobahnbau Schuldigen) ist denn auch von den „Opfern" die Rede, die gebracht werden müssen. Opfer an Land und Natur, Ruhe und Luft. Es führt angeblich kein Weg an der Autobahn vorbei, Gott verzeihe uns die Sünde. Die Autobahn wird inzwischen von den Menschen hier auch als unabwendbares Schicksal ertragen. Schließlich gibt es Entschädigungen. Das Opfer aber, das mancher bringt, hat durchaus die Größe und das Ausmaß einer schweren schicksalhaften Heimsuchung, wenn einem etwa so wie dem Wirt in Oberthan die Fahrbahn in halber Höhe unmittelbar am Haus vorbeigeführt wird...

Wer schließlich an den Steigungsstrecken siedelt, kann in diesen Lärmhöllen später viele Sünden abbüßen. Mein Heimatort Geisenheim-Aichmühl etwa wird genau in den Winkel zwischen Autobahn, dem Zubringer nach Bad Schallerbach und die alte Bundesstraße eingeklemmt, so entsteht eine Insel der Unseligen. Wer die Fluren, die Wiesen und Felder, die Tratten, die vielen Sträucher und Bäume, wer

den alten Widder oder Stoßheber hinter dem Huttererbauern, wer die vielen Quellen und Gräben gesehen und gehört hat und nun erleben muß, wie Schubraupen und Bagger alles niedermachen, wegbaggern und planieren, dem wird die Heimat nun freilich sehr fremd vorkommen.

Ein Teil dieser Heimat wird hinkünftig überhaupt unter Beton begraben liegen, die Autobahn wird die Landschaft zerschneiden und zum Nichtmehrwie-dererkennen verändern. Dort wo wir früher im Mai in Bittprozessionen zum Waldgattern hinausgezogen sind, wird ein hoher Wall trassiert, man wird dort nicht nur nicht mehr pilgern können, sondern von jenseits der Trasse auch die Kirche gar nicht mehr sehen.

Ich besitze eine alte Photographie vom Anfang der zwanziger Jahre. Sie zeigt meine Mutter und meine Tante beim Wäscheschwemmen am sogenannten Buchmairteich. Ein Welser Photograph, erzählte die Mutter, kam des Weges und hat die beiden abgelichtet. Dieser kleine Teich im kühlen Grund des Linnetwaides nahe dem Haus meines Großvaters in Oberham ist inzwischen gründlich verschwunden und zugeschüttet. Meterhoch führt die Straße darüber.

Nicht nur die Autobahn ist zu beklagen. Der Talgrund des Innbaches wurde drainagiert und bei dieser Gelegenheit hat man alles Mögliche „bereinigt", „begradigt" und „zusammengelegt". Im Ergebnis und schlußendlich bedeutet dies: Statt vieler Büsche, kleiner Wiesen mit Bäumen und Sträuchern an den Rainen, Mulden, Senken und Kaulen, statt der Vielfalt und Diversifikation der Formation und Vegetation eine langweilige Gleichförmigkeit von ununterbrochenen Maisfeldern.

Nun habe ich also einmal statt eines Leserbriefes eine Elegie verfaßt. Was hilft's. Die Hunde bellen, die Autobahn zieht weiter.

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