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,Elementare Denk- und Rechenfehler’

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Die Verhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP über die Neugestaltung (sprich: Erhöhung) der Wiener Straßenbahntarife sind geplatzt. Mußten platzen, da, wie man hört, bei Verhandlungsbeginn die neuen Fahrscheine bereits gedruckt wurden. Gedeckt durch innerparteilichen Beschluß der SPÖ- Rathausmajorität.

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Die Verhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP über die Neugestaltung (sprich: Erhöhung) der Wiener Straßenbahntarife sind geplatzt. Mußten platzen, da, wie man hört, bei Verhandlungsbeginn die neuen Fahrscheine bereits gedruckt wurden. Gedeckt durch innerparteilichen Beschluß der SPÖ- Rathausmajorität.

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So werden die Wiener eben 6 Schilling für eine einfache Fahrt zahlen, das Defizit wird kaum geringer, dafür wird das Mißverhältnis zwischen Massenverkehrsmittel und Privatfahrzeug potenziert. Zwischen coupierten Fußgängerzonen und Benzindampf können aufmüpfige Besserwisser weiter von Verkehrskonzepten und Nulltarif träumen.

FURCHE: Der zuständige Wiener Stadtrat hat einen Antrag auf höhere Straßenbahntarife gestellt. Er begründete dies durch das vorhandene Defizit. Die ÖVP lehnt diese Erhöhung ab. Warum?

SCHAUMAYER: Die österreichische Volkspartei hat die Meinung vertreten, daß eine Tariferhöhung, wie sie von der SPÖ zum gegenwärtigen Zeitpunkt und im vorliegenden Ausmaß geplant ist, nicht zumutbar ist. Aus mehreren Gründen: Wenn man dem Zug zum Individualverkehr steuern will, dann darf man nicht im gleichen Atemzug die öffentlichen Verkehrsmittel weniger attraktiv machen; und jede Tariferhöhung macht natürlich das Massenverkehrsmittel weniger attraktiv. Ein weiterer Grund unserer Ablehnung liegt darin, daß im gegenwärtigen Zeitpunkt, wo das städtische Baugeschehen einen Höhepunkt erreicht, die innerstädtischen Autobuslinien sinnvoll überhaupt von einer eigenen Tarifbelastung zu befreien und in den Einheitstarif einzubeziehen wären. Der dritte Grund, warum meine Fraktion der von der SPÖ vorgeschlagenen Tariferhöhung negativ gegenübersteht, ist unser Standpunkt, daß die Leistungen des Eigentümers zu den Anforderungen, die der Verkehrsbetrieb an seine Fahrgäste stellt, in einer Relation stehen müssen. Hier glauben wir auf ein sehr krasses Mißverhältnis gestoßen zu sein, denn im kommenden Jahr sollen den Stadtwerken 800 Millionen Schilling neue Schulden zugemutet werden; die Hilfen, die sie vom

Noch bedenklicher wirkt sich freilich der kostenverteuernde Faktor aus, der mit den Vorteilen kaum in Einklang zu bringen ist.

Bautenminister Moser motiviert das von ihm begehrte Finanzierungssystem nämlich damit, daß mit der unbestritten dringlichen Strecke erst im Jahre 1980 begonnen werden könnte, wenn man das Vorhaben aus Mitteln der Bundesmineralölsteuer finanziert. Da das Projekt eine Bauzeit von sechs Jahren erfordert, wäre es also 1986 fertig.

Eigentümer, also der Stadt Wien und ihrer Finanzverwaltung, bekommen, sind weit unter jenem Betrag, der auch nur nötig wäre, um im Zinsendienst der Verkehrsbetriebe eine Entlastung herbeizuführen.

FURCHE: Können die Tarife von Verkehrsunternehmen überhaupt kostendeckend sein? Für die Wiener Straßenbahn bedeutete eine kostendeckende Tarifgestaltung ja einen Fahrscheinpreis von 14 Schilling …

SCHAUMAYER: Bei dieser Diskussion wird allzuoft die Tatsache, daß nicht nur die Einnahmen, sondern auch die Kosten eine veränderliche Größe sind, übersehen. Vorhandene Kosten sind nicht einfach als gottgewollte Gegebenheit anzusehen. Wenn man den Dingen an die Wurzel gehen will, dann muß man jede einzelne Kostenposition unter die Lupe nehmen. Daher unser Vorschlag, eine sehr gründliche betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen- Analyse über die Voraussetzungen und Gegebenheiten eines all- fälligen Nulltarifes anzustellen. Darüber hinaus muß vor allem der sogenannte Zähltarif in die wissenschaftlichen Überlegungen einbezogen werden. Ein derartiger Zähltarif könnte von den Grenzkosten ausgehen und würde nach dem Verursachungsprinzip nicht generell alle Wiener Haushalte belasten — wie der Nulltarif —, sondern tatsächlich nur jenen Personenkreis, der die öffentlichen Verkehrsmittel in Anspruch nimmt. Für die Jugend oder auch Bevölkerungsschichten, deren Einkommensverhältnisse eine solche Berücksichtigung verlangen, könnte man sehr wohl Ausnahmen schaffen. Bei richtigem Ansatz im Tarif könnte er alle Vorteile des Nulltarifs mit sich bringen: nämlich Wegfall erheblicher Personalkosten durch weitgehende Einsparung von Schaffnern und Kontrollorganen und außerdem würde das Hauptargument gegen den Nulltarif, daß willkürlich das Geld von allen aufgewandt wird, entkräftet werden.

FURCHE: Aber ein gewichtiges Argument gegen den Nulltarif sind die hohen Kosten. Stadtrat Nekula bezifferte die Kostensteigerung mit ungefähr 20 Prozent …

Nimmt man an, daß nun 1972 begonnen wird (was allerdings deshalb fraglich erscheint, weil voraussichtlich die Planung nicht abgeschlossen ist), dann ergibt sich im günstigsten Fall ein Zeitgewinn von acht Jahren.

Der aber muß teuer bezahlt werden: Normal finanziert würde das Projekt 2,8 Milliarden Schilling kosten, das entspricht einem Kilometerpreis von 88 Millionen Schilling. Dieser hohe Preis erklärt sich aus dem langen Tunnel in der Strecke. Durch die Kreditfinanzierung — es sind Darlehen mit einer Laufzeit von 30 Jahren vorgesehen — schnellt der Preis aber auf die gigantische Summe von 6,6 Milliarden Schilling hinauf. Das ergibt einen atemberaubenden Kilometerpreis von 206 Millionen Schilling.

Diese gigantischen Summen müssen Österreichs Kraftfahrer aufbringen. Denn der Finanzminister hat sich die Sache leicht gemacht: Während bei der Tauernautobahn die Bundeshaftung noch aus allgemeinen Steuermitteln erfolgt 1st, haftet Androsch diesmal mit der Bundesmineralölsteuer. Wird also der Bund aus der Haftung zur Zahlung verhalten, dann zahlt letztlich wieder der Kraftfahrer an der Zapfsäule. Das bedeutet, daß dieses Projekt in absehbarer Zeit den allgemeinen Straßenbau fühlbar belasten wird. Dazu kommt, daß die Kraftfahrer bei der Benützung dieser Strecke in den nächsten 30 Jahren etwa 3,6 Milliarden an Maut zahlen werden.

Um Fortschritte vortäuschen zu können, macht man offenbar eine Schuldenpolitik auf dem Rücken der Kraftfahrer, die im Endeffekt nicht zu einer Forcierung des Straßenbaues, sondern zu dessen Lähmung führen kann.

Wissenschaftliche Erkenntnisse dienen anscheinend nur den Sonntagsreden.

SCH AUMA YER: Stadtrat Nekula wurde von der ÖVP in der Stadtsenatsitzung sehr deutlich gefragt, wie er zu jenen Aussagen über den Nulltarif und dessen Kosten kommt. Er hat uns bis heute keine Antwort auf diese Frage gegeben, aber im Wirtschaftsplan für das Jahr 1972 die Behauptung aufgestellt, daß der Nulltarif höhere Kosten als die gegenwärtige Situation verursachen würde. Ich bezweifle diese Behauptung, weil offenkundig bei dieser Berechnung von den bestehenden Kosten, konkret von der Betriebsabrechnung 1971, ausgegangen wurde. Und das ist schon ein elementarer Denk- und Rechenfehler, denn will man den Nulltarif ernst nehmen, dann muß man die betriebswirtschaftlichen Ersparnisse, Schaffnerpersonal, Kontrollen und gewisse Teile der Administration wie etwa Fahrscheinverkauf und -Verrechnung in Rechnung stellen. Zu diesen konkreten betriebswirtschaftlichen Faktoren kommen noch die volkswirtschaftlichen, die man zwar schätzen, aber nicht konkret festlegen kann, denn die Ersparnisse für nicht gebaute Straßen oder andere Aufwendungen für die Infrastruktur, die infolge des Nulltarifes überflüssig werden, sind derzeit keine Rechengröße. Man muß also den Dingen einmal wissenschaftlich und mit aller Gründlichkeit an die Wurzel gehen, ehe man ein abschließendes Urteil zu fällen vermag. Wir halten es aber politisch, verkehrspolitisch und wirtschaftlich für verfehlt, statt einer grundsätzlichen Strukturreform jetzt eine Tariferhöhung durchzuführen.

Mit Frau Stadtrat Dr. Sch.au- mayer sprach Dr. Franz Wolf.

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