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Elend der Wirklichkeit

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Die ÖVP neigt dazu, Glück und Unglück, Erfolge und Mißerfolge, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten ihrer Entwicklung an Personen zu knüpfen. Deshalb kostet sie die Stunden des Erfolges intensiver als andere Parteien aus, deshalb weiß sie Mißerfolge so besonders schwer zu tragen.

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Die ÖVP neigt dazu, Glück und Unglück, Erfolge und Mißerfolge, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten ihrer Entwicklung an Personen zu knüpfen. Deshalb kostet sie die Stunden des Erfolges intensiver als andere Parteien aus, deshalb weiß sie Mißerfolge so besonders schwer zu tragen.

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In der Bundeshauptstadt Wien ist die ÖVP die Last der Mißerfolge gewöhnt. Hier läuft sia gegen eine Herrschaft an, die schier durch nichts zu erschüttern ist: gegen die Wiener SPÖ, die Wien so verwaltet, als gelte es, ein unmündiges Kind ins Altersheim einzuliefern. Die Wähler dieser Stadt akzeptieren dieses Verdikt mit großer Mehrheit, weil sie angeblich keine Alternative haben. Österreichs morbide Hauptstadt klappt freilich, ähnlich wie Brücken über die Donau, zusammen. Wien und die Wiener, so heißt es, waren dem Tod immer näher als dem Leben. Die hier geübte Kommunalpolitik bestätigt diese Auffassung durch ihre Maßnahmen,

Körner, Jonas, Marek, Slavik wa-

ren in Wien die Repräsentanten einschlägiger Kommunalpolitik — die Wegbereiter des „Roten Wien“, Leopold Gratz ist der Vollstrecker. An Kornrminaipolitik sichtlich wenig interessiert, zelebriert er ihr Disaster. Von der ÖVP — sie vereint hier ein Drittel der Stimmen hinter sich — wird er dabei nicht weiter gestört. Das trug noch allen ihren Landes-parteiobmännern heftige Kritik der Bundespartei und der Medien ein. Zuletzt mußte Franz Bauer dafür büßen. In einem äußerst komplizierten und langwierigen Verfahren wurde er ausgebootet und durch den jungen Erhard Busek vorerst als Ge-schäftsführender Landesparteiob-mann ersetzt. Sein Nationalratsmandat wird Franz Bauer behalten.

Franz Bauer führte die Wiener Volkspartei rund sieben Jahre lang. Er wurde von den „Reformern“ an die Spitze getragen, versuchte, der Wiener Volkspartei neues Profil zu geben und scheiterte zuletzt an der hohen Erwartungslage seiner Parteifreunde. Für Spitzenkandidaten bei Kommunalwahlen wollte er immer nur den organisatorischen Hintergrund bilden, erst für den VP-Ge-sundheitssprecher Günther Wiesinger, dann für den Kommunal-Haudegen Fritz Hahn. Mit dem einen kam Franz Bauer nicht durch, der andere kam selber nicht durch. Diese Niederlagen nagten an Bauers Position, zuletzt besiegelten sie seine Abdankung, Viel rascher, als Franz Bauer es wollte, aber noch lange nicht so rasch, wie sich das die Bundesparteiführung vorstellen konnte.

Erhard Busek, Jahrgang 1941, heißt der neue VP-Spitzenmann in Wien. Er soll der Wiener ÖVP ein neues Profil geben. Zuerst gelangte er in die Funktion eines Geschäftsführenden VP-Wien-Obmainines, um alsbald auch als kontrollierender Stadtrat in den Stadtsenat einzuziehen.

Er soll Glück, Erfolge und Möglichkeiten der ÖVP in Wien ausschöpfen und weiß als guter Beobachter der politischen Verhältnisse in der Bundeshauptstadt, wie kompliziert das alles ist Nirgendwo sind die politischen Beckmesser stärker vertreten, nirgendwo ist der Erwartungshorizont höher. Die Wiener ÖVP besteht zu 90 Prozent aus Politikern und zu zehn Prozent aus Mitarbeitern. In der Wiener ÖVP weiß so ziemlich jeder, wie man zum politischen Erfolg über einen waidwund

gehetzten Gegner gelangt, nur — es mißlang immer wieder. In der Wiener ÖVP sind sich alle dessen sicher, daß die SPÖ und das von ihr verwaltete Rathaus den Einsturz der Reichsbrücke nicht überleben werde, nur — man denkt dabei eher an die übernächste Wahl.

In und mit dieser Wiener ÖVP erfolgreiche und wählerwirksame Kommunalpolitik zu machen, ist denkbar schwierig. Busek, der tatsächlich höchst ungern sein politisches Metier wechselt, weiß das nur zu genau. Er wild es trotzdem versuchen — mit neuen Männern im Stadtsenat und mit neuen Männern in der Parteiadministration. Jeder Wechsel hat seine Schwierigkeiten, der gegenwärtige beruht sogar darauf. Erhard Busek, der weiterhin Kultursprecher der Bundes-ÖVP

bleiben wird, dürfte sich da einiges vorgenommen haben. Bei keineswegs einfachen Maßnahmen erhofft er sich Unterstützung von jener großen Gruppe in Wien, die sich grundsätzlich zu bürgerlichen Werten bekennt, im speziellen aber meint, bislang von der Wiener ÖVP nicht berücksichtigt worden zu sein. Diese Gruppe ist den Launen der Mode, auch der politischen Mode, unterworfen, wird demnach in den . nächsten Wochen und Monaten viel von sich reden machen. Was sie tatsächlich wert ist, wird sich erst daran zeigen, wie sie spannungsfreiere Winter und Frühlinge zu verbringen imstande ist.

Gelingt es Erbarid Busek, die vielzitierte Wiener „Partei der NichtWähler“ (250.000 Stimmen) zu reaktivieren, so ist für ihn und die Wiener ÖVP die halbe Schlacht gewonnen. Gar so leicht ist das freilich nicht, das haben vor ihm noch alle Wiener ÖVP-Obmänner erfahren müssen. Da Erhard Busek kein Produkt der Wiener ÖVP-Organdsation. ist, knüpft man an ihn die Hoffnung, er werde dem Nicht-Wähler-Potential gefallen.

Buseks Wechsel in die Kommunalpolitik kommt nicht überraschend, er wurde von langer Hand vorbereitet, wiewohl das den Medien, die sich als Königmacher empfinden, verborgen blieb. Erhard Busek, der so gerne nach Stephan Koren Klubobmann der ÖVP-Parlamentsfraktioin werden wollte, der sich auch als Generalsekretär der Bundes-VP recht wohl fühlte, beurteilt seine Chancen in Wien eher skeptisch. Die Rolle eines Langzeit-Vizebürigermeisters in Wien behagt ihm nicht, auch wenn er weiß, daß allein das Erreichen dieser Funktion bei den nächsten Gemeinderatswahlen im Jahre 1978 bereits einen großen Erfolg für ihn und die von ihm geführte Landesparteiorganisation bedeuten würde.

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