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Eltern werden in Schulen mehr mittun

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Immer wieder Ärger über die „blöde“ Schule - aber nur ja nichts sagen. Man weiß ja nicht... In Zukunft sollen Eltern mehr mitreden: Gut so, wie Erfahrungen zeigen.

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Immer wieder Ärger über die „blöde“ Schule - aber nur ja nichts sagen. Man weiß ja nicht... In Zukunft sollen Eltern mehr mitreden: Gut so, wie Erfahrungen zeigen.

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Kaisdorf bei Graz, an einem Abend noch vor Weihnachten: Die ungewöhnliche Szene erinnert mehr an eine Alternativschule als an die örtliche Volksschule: Kurz vor Mitternacht basteln Eltern der Schüler der 1A noch an Christbaumanhängern für einen Weihnachtsmarkt. Den Abend verbrachten sie, rund 20 Personen, mit zwei Klassenlehrern im Gespräch über die Arbeit der Schulklasse. Seit der Schulein-

Schreibung im April haben sich die Eltern bereits fünf mal getroffen.

Der Grund für das außergewöhnliche Engagement von Lehrern und Eltern ist der Umstand, daß die Kalsdorfer 1A eine Schul-versuchsklasse ist: Hier werden behinderte und nichtbehinderte Kinder gemeinsam von zwei Klassenlehrern unterrichtet. Dabei, so Schulleiterin Thomann, seien die Eltern keine speziell ausgewählte Gruppe. Berti Nobis, einer der beiden Klassenlehrer, berichtet, daß die Elternschaft zu den Abenden fast vollständig erscheine.

Bei soviel elterlichem Einsatz verwundert es auch nicht, daß bei einer Abwesenheit eines der beiden Lehrer auch einmal eine Mutter zur Hilfe im Klassenzimmer einspringt. Wie sich Elternabende sonst gestalten, demonstrierte die Parallelklasse: Um 21 Uhr war dort Schluß mit der ersten (und bisher einzigen) Elternversammlung des Schuljahres.

Der Kontrast innerhalb ein und derselben Schule wirft ein bezeichnendes Licht auf die Situation elterlicher Beteiligung an öffentlichen Schulen. Selten ist sie so engagiert wie an der beschriebenen Schulversuchsklasse (derzeit gibt es in Österreich drei solcher Versuche unter starker Beteiligung der Eltern).

Zufälle bestimmen weitgehend das Ausmaß des Elternengagements an der Schule ihrer Kinder, die laut gesetzlichen Auftrag die zweite Erziehungsinstanz neben den Eltern ist. Eine Lehrerin an einer Wiener AHS: „Daß ich mich als Klassenvorstand nach dem offiziellen Elternabend mit den Eltern noch ein zweites Mal in einem Beisel getroffen habe, hat viele Kollegen mit Staunen erfüllt.“

Unter dem Schlagwort der „Demokratisierung aller Lebensbereiche“ versuchte das Schulunterrichtsgesetz 1974 (SchUG) den äußeren Rahmen der Beteiligung von Eltern und Schüler in der Form der „Schulgemeinschafts-ausschüsse“ ab der 9. Schulstufe abzustecken. Jetzt liegt die vierte Novelle zum SchUG im parlamentarischen Unterausschuß zur Beratung auf. Wesentliche Weiterentwicklung: Elterliche Mitbestimmung soll ab der ersten Klasse an den Schulen stattfinden, und zwar in zwei Formen:

• An den Pflichtschulen (Volks-, Haupt- und Sonderschulen) als „Klassenforum“ und „Schulforum“, in denen Eltern und Lehrer gemeinsam beraten und entscheiden. Grundkonzept: Aus den Reihen der Eltern der jeweiligen Klasse sollen Elternvertreter gewählt werden, je ein Elternvertreter pro Klasse wird in das Schulforum entsandt.

• An den AHS hingegen soll der Schulgemeinschaftsausschuß bereits ab der fünften Schulstufe installiert werden: Hier werden drei Elternvertreter vom geweiligen Elternverein entsandt, drei Leh-

rer von der Lehrerschaft. Waren die Schulgemeinschaftsausschüs-se bisher nur beratend tätig, soll es für Ausschuß und Schulforum in Hinkunft auch verbindliche Entscheidungsbereiche geben, etwa bei der Durchführung von Schulveranstaltungen. Fragen der Unterrichtsgestaltung hingegen können weiterhin nur beratend erörtert werden: alles andere, so Ministerialrat Rettinger vom Unterrichtsministerium, „wäre ein Eingriff in die Methodenfreiheit des Lehrers“.

Einig über die grundsätzliche Ausdehnung der elterlichen Mitbestimmung sind sich die beiden wesentlichen Partner in dieser Frage, die Arbeitsgemeinschaft der Eltern- und Familienverbände einerseits, und die Sektion Pflichtschullehrer der Gewerk-

schaft öffentlicher Dienst andererseits. Dafür gibt es im Detail noch viele offene Fragen.

Die Elternverbände befürchten, daß durch die Schulforen große, stark bürokratisierte und daher entscheidungsunfähige Gremien geschaffen werden, deren Tätigkeit sich mit der der bestehenden Elternvereine überschneidet. Alfred Valentin von den österreichischen Kinderfreunden: „An einer Volksschule mit zehn Klassen würden im Schulforum 21 Personen sitzen.“ Die Elternverbände treten daher dafür ein, daß das erprobte Modell der Schulgemein-schaftsausschüsse auf die erste bis achte Schulstufe ausgedehnt wird. Den Schülern würde dabei — aufgrund des Alters — lediglich eine beobachtende Rolle an der Hauptschule bzw. der Unterstufe

der AHS zugebilligt.

Die Sektion der Pflichtschullehrer der Gewerkschaft öffentlicher Dienst hält hingegen an der Idee des Klassen- und Schulforums fest. Pflichtschullehrer-Obmann Fritz Neugebauer verweist darauf, daß es nur an der Hälfte aller Schulen Elternvereine gibt; eine Entsendung der Elternvertreter durch die Elternvereine wie im durchorganisierten AHS-Be-reich sei daher nicht möglich.

Im übrigen sehen die Gewerkschafter die bevorstehenden Änderungen stark unter dem Gesichtspunkt arbeitsrechtlicher Fragen: Im wesentlichen geht es ihnen dabei um die Abgeltung des Mehraufwands, der den Lehrern durch die Novelle bevorsteht. Waren Elternabende bisher freiwillig, so sollen sie in Hinkunft

teilweise verpflichtend sein. Bei der Gewerkschaft schätzt man die Kosten für diese Mehrdienstleistung auf rund 60 Millionen Schilling: das letzte Angebot des Unterrichtsministeriums liegt dagegen bei 30 Millionen.

Trotz aller Differenzen im Detail scheint eine Einigung bis zur Abschlußsitzung des parlamentarischen Unterausschusses Ende Februar möglich: Klassenforum und Schulforum werden von den Familienverbänden akzeptiert, aber das große Schulforum soll eine Art ständigen Ausschuß bilden, in dem je drei Eltern und Lehrer die laufenden Angelegenheiten entscheiden.

Im übrigen halten es die Elternverbände für ihre wichtigste Aufgabe, eine Klammer .zwischen dem jeweiligen Elternverein und dem formalen Gremium herzustellen: Wo es einen Elternverein gibt, soll dieser für die Organisation der Wahlen zuständig sein und möglicherweise einen Wahlvorschlag machen, an Schulen ohne Elternverein sollen am besten ein paar rührige Eltern die Organisation übernehmen.

Wenngleich die Novelle einen wichtigen formalen Schritt in der Verankerung elterlicher Mitbestimmung darstellen wird, so geht es in der Praxis in erster Linie darum, Eltern und Lehrer überhaupt zur „Schulpartnerschaft“ zu motivieren. Das weiß auch die Schulbehörde: In einer Gemeinschaftsaktion mit der WIR-Re-daktion stellte das Schulservice Beispiele der Zusammenarbeit von Eltern, Lehrer und Schüler vor. Die eingesandten Beiträge reichten von der Verbesserung der Elternabende über alternative Lernkonzepte bis hin zur Umgestaltung eines Schulparks.

Trotz vieler Bemühungen ist also Elternmitwirkung an der Schule immer noch Stückwerk; bis zu einer Schule wie in Kaisdorf liegt noch ein weiter Weg. Die vierte SchUG-Novelle könnte dabei ein wichtiger Meilenstein sein: der Weisheit letzter Schluß ist sie sicher nicht.

Der Autor ist freiberuflicher Sozialwissenschafter und Journalist, Mitarbeiter der „Lebenshilfe“.

Eltern, die sich in Richtung Schulpartnerschaft engagieren wollen, können Informationen über entsprechende Projekte beim ..Schulservice“, Tel. 0222/66 20 42 78, erhalten.

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