6821654-1973_40_10.jpg
Digital In Arbeit

Emanzipierte Miß Arabien

19451960198020002020

Wer Arabien kennt, der kennt arabische Frauen in der Öffentlichkeit vorwiegend nur als von den Augen bis zu den Zehenspitzen in wallende weiße oder schwarze Gewänder gehüllte, geschlechtslos scheinende Wesen. Ausnahmen bilden nur der Libanon, Ägypten und — erstaunlicherweise —; Palästina.

19451960198020002020

Wer Arabien kennt, der kennt arabische Frauen in der Öffentlichkeit vorwiegend nur als von den Augen bis zu den Zehenspitzen in wallende weiße oder schwarze Gewänder gehüllte, geschlechtslos scheinende Wesen. Ausnahmen bilden nur der Libanon, Ägypten und — erstaunlicherweise —; Palästina.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Ägypterinnen standen bereits in den zwanziger Jahren an der Spitze der arabischen Frauenemanzipationsbewegung. Präsident Gamal Abdel Nasser, der seine eigene Gattin allerdings möglichst aus dem öffentlichen Leben fernhielt, machte eine Frau zur Gesundheitsministerin. Die Gemahlin seines Nachfolgers Mohammed Anwar es-Sadat zählt trotz mehrerer Kinder und relativ fortgeschrittenen Alters zu den schönsten Frauen des an weiblichen Reizen reichen Nillandes. Die Palästinenserinnen sind ebenfalls ein Sonderfall. Bei ihnen kennt man nicht einmal in entlegenen Dörfern den schamhaften Gesichtsschleier. Sie zeigen ihr Antlitz unverhüllt und tragen ihre knöchellangen Gewänder, die mit phantasievollen, bunten Stickereien verziert sind und zu den ältesten Zeugnissen vorderorientalischer Volkskunst gehören, mit natürlicher Würde auch in der Öffentlichkeit.

Die Zurückhaltung, mit der sich die Frauen in den meisten arabischen Ländern noch immer bewegen oder bewegen müssen, ist allerdings kein Beweis für ihren minderen Status. Die Araber sind nicht so frauenfeindlich und die Araberinnen nicht so unemanzipiert, wie es manchmal scheint. Die Männer bestimmen nur in der Öffentlichkeit, in der Moschee, am Arbeitsplatz, im Kaffeehaus, beim Trick-Track-Spiel und beim politischen Palaver. Zu Hause, in der Familie, regiert die Frau. In der noch immer vorherrsehenden patriarchalischen — par-don: matriarchalischen — Großfamilie ist das meistens die Älteste des Clans. Dem arabischen Mann fällt es noch schwerer, als vor ihm dem europäischen, einzusehen, daß seine Frau jetzt die Schwelle dieses ihres Herrschaftsbezirkes überschreiten will. Fast jeder Araber hält sich für einen geborenen Verführer. Er ist davon überzeugt, jede Frau bekommen zu können, erwartet aber von der, die er heiraten möchte, sexuelle Unberüh.rtheit.

Frau Hikmet Abu Seid, die frühere ägyptische Gesundheitsministerin, durfte in ihrer Privatwohnung nicht einmal ein Interview geben. Ein kleines, graues Männchen wies die Journalisten zornig von der Tür: ihr Ehe„herr“. Die Araberinnen fanden in den verflossenen 25 Jahren dennoch einen eigenen Weg zur Emanzipation. Sie beschritten nicht, wie manche ihrer europäischen Schwestern, den schlüpfrigen Pfad sexueller Zügellosigkeit. Sie wählten die Politik. Berühmtestes Beispiel dafür ist die ägyptische Sängerin Umm („Mutter“) Kalsum. Ihre wunderbare Stimme gilt als Symbol des Arabertums vom Atlantik bis zum Persergolf und bis weit hinüber nach dem Iran, nach Afghanistan, Vorderindien, Indonesien und den Philippinen. In Europa kennt man sie fast nicht; und doch ist sie, zählt man ihren Erfolg an der Zahl ihrer Fans, eine der berühmtesten Künstlerinnen unserer Zeit. Und was ihren Erfolg so erstaunlich macht, die heute etwa siebzigjährige „Grande Dame“ des arabischen Chansons singt vorwiegend politische Lieder. Die Palästinenserin Leila Chalid war für ihre Landsleute vielleicht viel weniger, als wir glaubten, die zu allem entschlossene weibliche Guerillera. Sie war, in erster Linie, ein Symbol für die unaufhaltsame Emanzipation der Araberin.

Nicht nur in Palästina, auch in Algerien standen junge Frauen in den vordersten Linien des nationalen und sozialen Befreiungskampfes. In Nordafrika hat man es ihnen allerdings nicht gedankt. Algeriens Staatschef Houari Boumedienne verbot, ebenso wie sein sudanesischer Kollege Dscha'afar en-Numeiri, Minirock, Stöckelschuhe und gefärbte Haare. Libyens exzentrischer Militärdiktator Mo'ammer el-Gaddafl will die Mädchen (aber auch die Männer) seines Wüstenreiches in eine eigens entworfene nationale Einheitskleidung puritanischen Zuschnittes pressen. In allen drei Ländern spielen Frauen so gut wie keine öffentliche Rolle.

Nur in Ägypten ist es mit diesem vorsintflutlichen Primat der Männer in der Politik längst vorbei. Mädchen stellen nicht nur fast die Hälfte der studentischen Jugend des Nillandes. Mädchen stehen auch bei den dortigen Studentenrebellionen ihren „Mann“. lim Privatleben ist die Familie mit drei Kindern, denen man eine menschenwürdige Zukunft gewährleisten kann, für sie das Ideal.

Das „Emanzipationswunder“ der Araberin geschah jedoch, was die Außenwelt bislang kaum zur Kenntnis genommen hat, gerade auf der als besonders „rückständig“ geltenden Arabischen Halbinsel. Hier, wo die religiöse Tradition des Islam noch besonders stark ist, errang die arabische Frau trotzdem die meisten Pluspunkte bei ihrem Kampf um die Gleichberechtigung.

Beispielhaft dafür ist die Entwicklung im Fürstentum Kuwait. Das nur 13.000 Quadratmeilen große

Ländchen zählt mit ganzen 733.000 Einwohnern, darunter 316.000 Frauen, zu den kleinsten Araberstaaten. Erdölreichtum und das aufgeklärte Regiment der Regentenfamilie es-Sabach machten daraus ein Musterland. Der Sprung vom Mittelalter der Sklavenhändler, Perlenfischer und Falkenjäger in die Moderne der längst selbstverständlichen Koedukation ist selbst für unsere Begriffe märchenhaft. In Kuwait gibt es allein 50 Kindergärten für Mädchen. Beduinenscheichs, die lebendigen Hüter des alten Arabien ohne Frauen, gründen hier Mädchenschulen!

In Saudi-Arabien mußte Militär die Imame zwingen, Mädchenschulen zuzulassen. Doch die Entwicklung war nicht aufzuhalten. Im Mutterland der dritten der drei großen Weltreligionen, wo der Prophet Mohammed ohne die Liebe und die Hilfe seiner Ehefrau Chadidscha verloren gewesen wäre, besitzt die Frau längst ihren Eigenwert als Geschöpf Gottes. Der Tag ist abzusehen, an dem in Mekka die Frauen beten können wie die Männer. Denn die Universität von el-Ashar in Kairo, der traditionsreiche „Vatikan des Islam“, ließ jüngst schon Frauen als Beterinnen zu.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung