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Emigration nach innen: Nein, danke!

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Schon einige Zeit vor der ersten Volksabstimmung waren die Embleme „Atomkraft - Nein, danke“ und „Nein zu Zwentendorf' beinahe zur Eintrittskarte für Universität und Mittelschule geworden. Die Opposition dominierte, Pro-Argumentierer trauten sich ihren Mund nur in kleinen Zirkeln abseits vom Hochschulboden aufzumachen. Die vielen jungen Menschen, die gegen Zwentendorf agitierten, wurden - im Gegensatz zu den Dauerdemonstrie-rern gegen Schah, CIA, Ausbeutung und Neokolonialismus - ernst genommen, da sie sich aus verschiedenen Lagern rekrutierten: bis tief in etablierte Parteien, auch in „bürgerliche Bereiche“. Die rot lachende Sonne auf gelbem Grund war sogar in Sonntagsmessen aufgegangen.

Der Grundtenor im Hintergrund der ganzen Bewegung stellte den Wunsch nach einfacherem Leben dar. „Wir werden auch mit weniger Energie auskommen!“ war ein oft gehörtes Argument der jungen Leute. Jene, denen es „Hand aufs Herz doch besser als je zuvor“ geht, wollen zurück zur Natur, weg aus den Städten, „alternative Lebensformen“ ausprobieren.

Jenen, die durch mehr Energie, größeres Wirtschaftswachstum und ständig steigenden Wohlstand groß geworden sind, Scheint das alles zuwenig zum Leben. Sie suchen nach Mehr und würden für dieses unklare Mehr auch auf Energie verzichten. Werden sie aber wirklich die Tiefkühltruhe, den Farbfernsehapparat und die Stereo-Anlage abdrehen?

Viele Jugendliche fühlen sich in der heutigen Gesellschaft nicht mehr zu Hause. Die Abwendung von den traditionell erstrebten Werten manifestierte sich in der Anti-Kernkraft-Kampagne deutlich. Viele Junge wollen einfach weg, heraus aus dem Vorgegebenen; sie leben in Wohngemeinschaften, opfern den neuen Modereligionen Geld und Zeit.

Stellt all das nur die aktuelle Form des jahrtausendealten Generationskonfliktes, die Lust, die Welt zu erobern, dar? Ich glaube nicht. Die Heimatlosigkeit eines Großteils der Jugend in unserer heutigen Gesellschaft, das Aufstellen eines neuen, eigenen Wertsystems bedeuten viel mehr, als daß man diese Erscheinung mit dem rund 3000 Jahre alten babylonischen Spruch, der die „heutige Jugend“ als „von Grund auf böse, verdorben, gottlos und faul“ bezeichnet, abtun könnte.

Ist unsere Gesellschaft noch heil, wenn sich ihre jungen Mitglieder nicht mehr in sie einordnen wollen? Durch den Verlust der Jugend verliert eine Gesellschaft auch deren Ideale, die von Humanität getragen sind und die dem Menschen, der Liebe und meist auch einem (starken) überidischen Wesen einen wichtigen Platz einräumen.

Dieser Weg der Jugend vollzieht

sich auch auf der Ebene gesellschaftlicher, weltanschaulicher und politischer Gruppierungen. Viele junge Menschen, die mit enormem Elan und einem Unmaß neuer und zum Teil auch guter Ideen ins politische Leben traten, sind enttäuscht. Enttäuscht von den leeren Phrasen der Politiker, die je nach Zuhörerkreis die entsprechende Variante ihrer Aussagen anzubieten haben, enttäuscht über die verblüffende Ähnlichkeit der Nicht-Aussagen und über das Spielchen Regierung - Opposition, das unabhängig von den jeweiligen Trägern auch mit der Zeit zu einer Routinesache wird.

Deshalb haben sich jene jungen Menschen, die gegen Zwentendorf auftreten wollten, nicht bei bestehenden politischen Gruppierungen zur Mitarbeit gemeldet, sondern eigene Initiativen ergriffen, selbst organisiert und gehandelt.

Die jungen Menschen bilden heute vielfach Gruppen, die außerhalb eingefahrener weltanschaulicher Gleise, außerhalb alter Institutionen liegen. Die Anti-Atomkraft-Bewegung - unter den Erstwählern sollen die Nein-Stimmen über 70 Prozent betragen haben - mit ihren vielen überschaubaren Kleingruppen war für viele Politiker ein Alarmzeichen.

Durch den Erfolg ihrer Zwenten-dorf-Aktivitäten wurde die Jugend zu ähnlichen Aktionen auf anderen Gebieten ermutigt. Wahrscheinlich nur zu Anti-Kampagnen. Denn ProBewegungen würden zu große Unterschiede zu Tage treten lassen, worauf viele Jugendliche sich verunsichert wieder in ihr Schneckenhaus zurückziehen würden. Aber die Jugend ist eben immer eher gegen etwas als für etwas.

Eine politische Weisheit des 20. Jahrhunderts sagt: „Wer die Jugend hat, dem gehört auch die Zukunft“. Die Grundeinstellung der Jugend, die sich in der Zwenten-dorf-Frage lediglich aus aktuellem Anlaß manifestiert hat, sollte den Parteien einen Hinweis geben. Der Staat als alleiniger Machtträger ist nicht mehr gefragt. Es gilt, den Staat dort abzubauen, wo einzelne und kleine überschaubare Einheiten in eigener Verantwortung und auch auf eigenes Risiko die Probleme besser und kostengünstiger lösen können als der Staat.

Vor allem sollte man mit den Jugendlichen wieder über Werte sprechen, die ihnen in der Familie vermittelt werden müßten. Man müßte ihre Werte akzeptieren und ihnen gleichzeitig sagen, daß sinnerfülltes Leben auch in der Gesellschaft möglich ist. Denn innere Emigration allein kann keinen Beitrag zur Verbesserung der Gesellschaft leisten.

Mandatar des Zentralausschusses der österreichischen Hochschülerschaft (JES-Studenteninitiative)

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