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Empfindlichkeit oder Gängelungs versuch ?

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Theodor Kery, Landeshauptmann des Burgenlandes und einer der tonangebenden Köpfe in der SPÖ, hat eine äußerst schlechte Meinung über die österreichischen Journalisten, und wie der' Landesparteitag der Wiener SPÖ zeigte, denken etliche seiner Parteifreunde mindestens ebenso unfreundlich über jenen Berufsstand, dessen Vertreter ihnen manchmal das Leben so sauer machen. Natürlich ist es ihr gutes Recht, frei zu sagen, was sie denken. Im gegenständlichen Fall muß man ihnen sogar dafür dankbar sein, daß sie es getan haben. Denn was der burgenländische Landeshauptmann sagte, war derart, daß man leichter zur Tagesordnung übergehen könnte, wenn er die österreichischen Journalisten allesamt Idioten genannt hätte, ebenso, wie man den Ausdruck „Journaille“, der ebenfalls von einem der Sprecher gebraucht wurde, ruhig vergessen kann, weil er nur das schlechte Benehmen des Redners dokumentiert. Theodor Kery aber hat mehr gesagt, und sich unverhüllt gegen die Pressefreiheit in Österreich erklärt. Eine solche Erklärung ist schwerwiegend.

Die Vorwürfe des burgenländischen Landeshauptmannes waren in einem ungewöhnlichen Ausmaß verallgemeinernd und undifferenziert. So sagte er etwa, „nahezu jede Sendung, nahezu jede Meldung“ werde bereits „manipuliert“, was immer der Landeshauptmann darunter verstehen mag. Es ist seine Meinung, und laut ausgesprochen ist diese Meinung fast beim Bezirksgericht einklagbar, daß alle Journalisten manipulieren, auch die sogenannten Unabhängigen. Unabhängig seien sie „höchstens von ihrem Gewissen, vom Verantwortungsbewußtsein“. Es würde uns außerordentlich interessieren, welche Reaktion vom burgenländischen Landeshauptmann, aber auch vom Kanzler selbst, der den Ausbruch der Emotionen gegen die österreichische Presse zu bremsen versuchte, zu gewärtigen wäre, würde eine der unabhängigen Zeitungen Österreichs, etwa diese, Österreichs Politiker oder Parlamentarier bescheinigen, unabhängig „höchstens von ihrem Gewissen, vom Verantwortungsbewußtsein“ zu sein? Die Folge wäre ein Skandal, der sich gewaschen hätte. In einem Staatswesen, in dem die Worte eines Politikers noch halbwegs ernst genommen werden, müssen auch Kerys Äußerungen Konsequenzen haben.

Denn immerhin, er sagte ferner: „Wenn über das Gemeinwohl nicht mehr in den Parlaments- und Gemeindestuben, sondern in den Redaktionsstuben entschieden wird, dann muß damit Schluß gemacht werden. Da muß die ganze Macht eingesetzt werden.“

Zwei solche Sätze haben Gewicht. Denn wie immer man sie nachher auch verharmlosen mag, so, wie sie gesagt wurden, sind sie ein Ruf nach Diktaturmaßnahmen gegen eine unabhängige Presse aus dem Mund keines radikalen Hinterbänklers, sondern eines Spitzenpolitikers. Wenn Kery der Meinung ist, deshalb, weil die Massenmedien kritisch in „Parlaments- und Gemeindestuben“ (entlarvende Stubenromantik!) hineinleuchten, werde die Politik bereits von ihnen gemacht, dann zeigt er damit ein totales — und für sein Land gefährliches — Unverständnis für das Zusammenspiel zwischen politischen Entscheidungsvorgängen

und öffentlicher Kontrolle, dann hat er einfach nicht verstanden, daß Freiheit nur dort besteht, wo sie auch mißbraucht werden kann, daß die Pressefreiheit dort nicht mehr existiert, wo das verhindert wird, was jene, die sich von der Pressefreiheit bedroht fühlen, unter einem „Mißbrauch der Pressefreiheit“ verstehen.

Die FURCHE hat Österreichs Journalismus, wie er heute ist, oft kritisch analysiert, aber so wie er ist, ist er unter anderem auch ein Produkt, und viel mehr ein Produkt als ein Agens unserer Politik. So, wie Österreichs Presse bei aller Kritikwürdigkeit ist, ist sie tausendmal besser als jede geknebelte Presse.

Kerys Äußerungen sind darum so ernst, weil die Pressefreiheit heute auf der ganzen Welt so gefährdet und in allen Lagern angefochten ist. Die so vielschichtige Watergate-Affäre ist unter anderem auch durch das Aufbegehren einer Presse entstanden, die ihre Freiheit durch Nixons Zensurtendenzen unmittelbar gefährdet sah. Presseunterdrücker sind heute im konservativen Lager so wohlgelitten wie in der Sozialistischen Internationale, der ja bekanntlich auch Singapurs Premier Lee Quan Yew angehört, der nur Hofberichterstattung duldet und Kritiker von links wie von rechts ins Gefängnis wirft.

Solche Beispiele machen nur allzuleicht Schule. Wer die österreichische Innenpolitik realistisch betrachtet, wird den pressefeindlichen Tendenzen in der SPÖ verhältnismäßig geringe Chancen geben, solange ein Bruno Kreisky die Partei in der Hand hat (und daß er sie, auch in Wien, fest in der Hand hat, zeigte zuletzt die Entscheidung über die Slavik-Nachfolge). Was aber in der SPÖ nach Kreisky “kommt, wird zumindest für Österreichs politisch wache Wechselwähler, diese an Bedeutung immer mehr gewinnende Schicht, nur dann in Frage kommen, wenn sich diese Partei stärker gegen jedes Liebäugeln mit Zensur-und Gängelungsmaßnahmen in der Pressepolitik immunisiert.

Die letzten Monate haben gezeigt, daß hier Sorge am Platz ist. In jener Partei, die einst so glaubwürdig für die Presse- und Meinungsfreiheit eintrat, solange sich jede Zensur nur gegen sie selbst richten konnte, und die mit der Emanzipation der Unterdrückten ihre eigene betrieb, zeigt sich heute eine mimosenhafte Uberempfindlichkeit gegen Kritik. Breite Schichten in den sozialistischen Funk-tionärskadem verstehen einfach nicht, wie logisch und im Sinne der demokratischen Spielregeln gesund es ist, wenn die unabhängige Presse heute jene Rolle einer demokratischen Opposition übernimmt, die eine offenbar noch immer nicht erholte ÖVP einstweilen nicht einlernen konnte.

Es mag schon stimmen, daß die Berichterstattung der unabhängigen Massenmedien derzeit eine Tendenz, die SPÖ besonders kritisch zu sehen, hat. Kery möge sich fragen, wer gegenüber einer absoluten Regierungsmehrheit sonst diese Aufgabe übernehmen könnte. Mit Hofberichterstattung ist niemandem gedient. Heute kritisieren selbst Journalisten, welche die SPÖ gewählt haben, freiwillig deren Politik — was ein Kery sich offenbar nicht vorstellen kann. Es spricht gegen ihn.

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