6884210-1979_21_03.jpg
Digital In Arbeit

Empfiuignisverhiitung und Abtreibung

19451960198020002020

In der Stellungnahme zum Mediensonntag verweist der vatikanische Rat fur Massen-kommunikationsmittel auf die Gefahr, das „Jahr des Kindes“ konnte von manchen dazu mifibraucht werden, fiir Empfangnis-verhiitung und Abtreibung Propaganda zu treiben. Es ist nur schwer fafibar, wie ein romisches Dokument noch immer diese beiden Verhaltensweisen in einem Atemzug nennen und beide mit negativenVorzeichen versehen kann. Abtreibung ist Totung menschlichen Lebens und daher striktest abzulehnen. Empfangnisverhutung dient der Familienplanung, wie sie auch das Zweite Vatikanische Konzil voll gutgeheiften hat und wie sie jede auch katholische Famine, die mit intakter Natur ausgestattet ist, praktiziert: sonst hdtten ja alle 20 Kinder...

19451960198020002020

In der Stellungnahme zum Mediensonntag verweist der vatikanische Rat fur Massen-kommunikationsmittel auf die Gefahr, das „Jahr des Kindes“ konnte von manchen dazu mifibraucht werden, fiir Empfangnis-verhiitung und Abtreibung Propaganda zu treiben. Es ist nur schwer fafibar, wie ein romisches Dokument noch immer diese beiden Verhaltensweisen in einem Atemzug nennen und beide mit negativenVorzeichen versehen kann. Abtreibung ist Totung menschlichen Lebens und daher striktest abzulehnen. Empfangnisverhutung dient der Familienplanung, wie sie auch das Zweite Vatikanische Konzil voll gutgeheiften hat und wie sie jede auch katholische Famine, die mit intakter Natur ausgestattet ist, praktiziert: sonst hdtten ja alle 20 Kinder...

Werbung
Werbung
Werbung

Das muB man einmal in aller Deut-lichkeit gerade auch in einer katholi-schen Zeitung aussprechen, um sich nicht den Vorwurf zuzuziehen, die Kirche wisse nicht, wovon sie redet.

Sehr genau weiB dies das Institut fiir Ehe und Familie in Wien, dem P. Alois Jager SJ vorsteht und das sich seit seiner Griindung 1973 mit dieser Thematik systematisch und gewis-senhaft befafit hat. Im Mitteilungs-blatt des Instituts wurden in den Hef-ten 1 und 2/1979 die Ergebnisse zweier Umfragen zu diesen beiden Problemgebieten publiziert.

Wie Dr. Lois Pavlis in seiner Analyse feststellt, wird in Osterreich von rund der Halfte aller Frauen zwi-schen 15 und 44 Jahren eine emp-fangnisverhutende Methode praktiziert - hochgerechnet von der Re-prasentativumfrage waren dies etwa 760.000 Frauen. 43 Prozent der Frauen betreiben keine Kontrazep-tion, sieben Prozent verweigerten die Antwort.

Rund jede dritte der 1,530.000 Osterreicherinnen zwischen 15 und 44 verwendet die Pille (genau 31% oder hochgerechnet 470.000 Frauen). Die 680.000 Frauen, die keine Verhii-tungsmethode praktizieren, gaben (unbegreiflicherweise) zur Halfte keinen Grund dafur an, zu 6% Schwangerschaft, zu 8% den Wunsch nach einem Kind und zu 33% andere Griinde.

Die Untersuchung wurde im Auf-trag des Ludwig-Boltzmann-Instituts fur Geburtenregelung und Schwan-gerenbetreuung (Dozent Dr. Alfred Rockenschaub) im Sommer 1977 un-ter der Leitung von Dr. Lois Pavlis durchgefuhrt Die 40 befragten Ziel-personen stammten aus Oberoster-reich (weil dort am haufigsten ohne Begriindung keine Kontrazeption betrieben wird) und Wien (wo dies am seltensten geschieht).

Wie die Befragungen im einzelnen ergaben, wissen die meisten Frauen iiber die Pille viel und halten sie (mit Recht) fiir die sicherste Methode. Trotzdem haftet ihr laut Pavlis „ein starker Mythos des Unheimlichen“ an, was sich in gesundheitsorientier-ten Bedenken niederschlagt.

Pavlis empfiehlt daher „noch eine ganze Menge an glaubwiirdiger, ein-sichtiger Aufklarungsarbeit“ mit Hinweisen auf die individuelle Ver-traglichkeit und Unvertraglichkeit: „Dadurch konnten eventuelle Identi-fikationen mit Horrormeldungen, die man von anderen horte, abgebaut werden.“

P. Alois Jager begriiBt in einem Kommentar, „daB nach der Pille die naturlichen Wege der Empfangnisre-gelung (= Zeitwahl) mit 10% an zwei-ter Stelle stehen, nimmt man ,Knaus' reine Schatzungsmethode) und Temperaturmethode zusammen“.

Die Temperaturmethode war unter den befragten Frauen sehr bekannt, wird nur von einem Prozent praktiziert und von vielen als fragwurdig und „umstandlich“ bezeichnet. Laut Pater Jager sind manche Paare nach einiger Zeit dieser Methode iiber-drussig: „Bei entsprechender Moti-vierung ist es aber moglich, wie wir wiederum aus der Beratungspraxis wissen, dieses .Stimmungstief zu flberwinden.“ Es sei „ein anspruchs-voller Weg, wie eben auch die Liebe anspruchsvoll ist.

Trotzdem wurde eine Hypothese, daB etwa alle katholischen Paare nur natiirliche Verhutungsmethoden praktizierten, durch diese Statistik spektakular widerlegt.

Erstaunlich weit abgeschlagen rangierten in der Umfrage andere Verhutungsmethoden: Preservative und Coitus interruptus mit je vier Prozent, chemische Mittel und In-tra-Uterin-Pessare mit je zwei Prozent. Die Unterbrechung wird meist als Notlosung („Besser als nichts“) betrachtet, aber uberwiegend eher negativ bewertet („Auslieferung an den Partner“).

Kondome scheinen in Oberoster-reich popularer als in Wien zu sein. Sie werden vor allem bei Gelegen-heitsbegegnungen verwendet. Die Anhanger der Intra-Uterin-Pessare wissen vielfach nicht, daB es sich da-bei um sogenannte Nidationshem-mer handelt, die die Einnistung des schon befruchteten Eis verhindern, also streng logisch eine Abtreibung im Fruhstadium darstellen.

Es ist iiberhaupt keine Frage, daB die verdienstvollen Bemiihungen des Instituts fur Ehe und Familie sowie anderer kirchlicher Beratungsstellen noch langst nicht ausreichen, um in-teressierten Paaren Wege zu verant-worteter Elternschaft zu weisen. Ware es anders, konnte es nicht immer noch zu einer so erschutternd hohen Zahl unerwiinschter, also letztlich nicht verantworteter Schwangerschaften kommen, von denen laut Dozent Rockenschaub 100.000 bis 120.000 in Osterreich jahr-lich in Abtreibungen enden diirften.

Eine gleichfalls von der Ludwig-Boltzmann-Gesellschaft in Auftrag gegebene Untersuchung an 54 Pa-tientinnen der Wiener Semmel-weis-Klinik und der Ordination Dr. Schneider war im Friihjahr 1977 dem Ziel gewidmet, wiehr iiber die Motive zum Schwangerschaftsabbruch her-auszufinden.

Die alteste der befragten Frauen war 42, die jiingste 15 Jahre (Durch-schnittsalter 26). 39 Prozent waren Angestellte und Beamte, 22% Haus-frauen, 19% standen noch in der Aus-bildung 17% waren Arbeiterinnen, 2% Selbstandige. Mehr als drei Vier-tel der Berufstatigen arbeiteten ganz-tags, das Netto-Durchschnittsein-kommen ihrer Haushalte lag bei 8600 Schilling, die durchschnittliche WohnungsgroBe bei 77 Quadratme-tern. Jede zweite der befragten Frauen (52%) war seit durchschnitt-lich acht Jahren verheiratet, 56% hat-ten bereits Kinder.

Laut B. Wimmer-Puchinger und B. Moser ergab die Umfrage folgendes Bild:

60 Prozent befurchteten im Fall der Nichtabtreibung Nachteile der einen oder anderen Art im beruflichen Wei-terkommen. Hier liegt das Hauptmo-tiv der Abtreibung vor allem bei ledi-gen und kinderlosen Frauen. Von verheirateten Frauen und Frauen mit Kindern wird diese Uberlegung viel weniger angestellt. Bei ihnen zahlen starker die iibrigen Motive, die in dieser Reihenfolge zutage traten: „Ein-kommen reicht nicht“, „Wohnung wird zu klein“, „Schon zu alt zum Kinderkriegen“, „Schon genug Kinder in der Familie“ u. a.

Typische Antworten waren auch die folgenden: „Ich fiihle mich nicht reif genug fur die Verantwortung.“ -

„Ich mochte mich in meinem Alter mit einem Kind noch nicht fest bin-den.“ - „Ich furchte, daB ich dem Kind derzeit nicht die richtige Familie bieten kann.“ - „Es ist schwer genug, berufstatig und Hausfrau und Ehefrau zu sein, ich habe Angst, auch noch Mutter zu sein.“

Unverheiratete Frauen und Frauen ohne Kind befurchten oft die Reak-tion des Partners: „Er hatte kein In-teresse mehr an mir.“ - „Er ist nicht der richtige Partner furs Leben.“

Bemerkenswert ist immerhin, daB 93% der Frauen mit ihrem Partner iiber die ungewollte Schwangerschaft und 87% auch iiber die ge-plante Abtreibung gesprochen haben. In mehr als der Halfte der Falle wunschteri beide den Schwangerschaftsabbruch, bei je einem Viertel mehr der Mann oder mehr die Frau. Auch manche Manner sehen sich durch ein Kind in der Berufskarriere bedroht und haben finanzielle Ang-ste.

In 53% der Falle fuhrte eine „Pil-lenpause“ zur ungewollten Schwangerschaft. Schlufifolgerung der Er-hebungsexperten: „Dies ist nach wie vor auf noch zu ungeniigende Auf-klarung, vor allem der jungen Frauen, zuruckzufuhren.“ 34% hatten falschlich gemeint, „irgendwie auf-gepaBt“ zu haben.

Die meisten hatten vor der Abtreibung einigermaBen Angst - sehr groBe und iiberhaupt keine eher nicht. 78% wuBten, daB sie sich an eine Beratungsstelle wenden konnten, aber neun von zehn gingen zu einer solchen erst, nachdem ihre Ent-scheidung zur Abtreibung innerlich schon gefallen war.

Am haufigsten hatten sie (70%) iiber die Massenmedien von solchen Beratungsstellen erfahren; die Ein-stellung zu diesen ist uberwiegend positiv. Auch pflichtgemaBer Bera-tung stehen die Frauen zustimmend gegeniiber (offenbar ist der Wunsch nach Aussprache groB); aber etwa die Halfte der Frauen will letztlich doch nicht, daB „sich jemand in die Ent-scheidurrg einmischt“.

Das ist ein Grund mehr fur die Kirche, bei der Bildung eines (richtigen!) Gewissens beim einzelnen anzusetzen. DaB bei der Aufzahlung der Um-stande, die in die Entscheidung zur Abtreibung einbezogen wurden, sitt-liche Normen und Wertvorstellungen den letzten Rang einnahmen, gibt doch sehr zu denken. Wie vieles andere in diesen Erhebungen auch.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung