7035001-1989_45_11.jpg
Digital In Arbeit

Ende der Apartheid oder Bluff?

19451960198020002020

Reformieren will Südafrikas neuer Staatspräsident Frederik de Klerk den Apartheid-Staat. Gibert Ciss aus Senegal, Helmut Niederle, Ethnologe aus Wien, Walter Sauer von der Anti-Apartheidbewegung und Erhard M. Hutter aus London untersuchen die Chancen für Änderungen in Südafrika.

19451960198020002020

Reformieren will Südafrikas neuer Staatspräsident Frederik de Klerk den Apartheid-Staat. Gibert Ciss aus Senegal, Helmut Niederle, Ethnologe aus Wien, Walter Sauer von der Anti-Apartheidbewegung und Erhard M. Hutter aus London untersuchen die Chancen für Änderungen in Südafrika.

Werbung
Werbung
Werbung

Ich plädiere heute für einen neuen Geist, eine neue Annäherung. .. Reicht her eure Hände, macht einen kleinen Schritt vorwärts -gemeinsam bauen wir ein neues und gerechtes Südafrika.“ Das waren die Worte Frederik de Klerks anläßlich seiner Inauguration als neuer Staatspräsident Südafrikas (zu den Wahlen siehe FURCHE 36 und 37/1989, Seite 3). De Klerk wandte sich an das Volk und an die Politiker, damit sie ihm bei seiner Arbeit helfen (zum Programm der südafrikanischen Parteien siehe Seite 13) Schwere Aufgaben sind zu lösen - und die Anti-Apartheidbewegungen sind skeptisch, ob das

gelingen wird; sie zweifeln an der Ehrlichkeit der Äußerungen des neuen Präsidenten.Die Kirchenführer meinen, daß die Anti-Apartheidbewegungen weiterkämpfen werden, um die Ehrlichkeit der Regierung in bezug auf ihre Toleranz gegenüber der Opposition zu testen. Diese hat seit der Amtsübernahme durch de Klerk ihre pazifistischen Demonstrationen in Pretoria, Johannesburg und Kapstadt - wo der Präsident persönlich die Demonstration am 13. September genehmigt hatte - verstärkt.

Auf diesen von der SACC - South African Church Council - organisierten Demonstrationen konnten erstmals wieder die verbotenen Flaggen des ANC (African National Congress, siehe Kasten Seite 12) und der KP gehißt werden, ohne daß die Polizei einschritt. Der weiße Bürgermeister von Kapstadt, Gordon Oliver, schloß sich den Demonstranten sogar an.

Ja, es ist wirklich an der Zeit, eine gemeinsame Grundlage zur gegenseitigen Verständigung zu finden. Sogar die beiden miteinander rivalisierenden Gewerkschaften, die COSATU und die NAKTU, haben am 2. September zu einem zweiwöchigen Boykott aller weißen Geschäfte in Südafrika aufgerufen.

Aber auch die neofaschistischen Afrika ans sind in den Kreis der Demonstranten eingetreten - allerdings mit anderen Zielsetzungen: Am 23. September versammelten sich die AWB (Af rikaaner Werstand Beveging) und die BVB (Blanka Vreiheit Beveging) auf dem „geheiligten Platz“ der Buren, vor dem Paul Krüger-Denkmal in Pretoria, und beschimpften de Klerk und die Führer der Anti-Apartheidbewegungen. Nach ihrem groben verbalen Auftreten provozierten sie Prügeleien auf dem Church Square. Ein für denselben Tag angesagter Marsch der „Frauen gegen Repressionen“ zum Unionbuilding, dem

Stabquartier der Regierung, wurde verboten.

Wenn die Regierung auch immer wieder geheime Kontakte zum ANC dementiert, so heißt das nicht, daß es diese nicht gibt. Ende September traf der Bruder des Staatspräsidenten, Wimpie de Klerk, an der Spitze einer Gruppe von Afrikaans mit Vertretern des ANC unter der Führung von Thabo Mbeki (zuständig für internationale Beziehungen des African National Congress) in London zusammen.

Das Treffen Frederik de Klerks mit drei Kirchenvertretern - Des-mond Tutu, Allan Boesak und Frank Chikane - hat gezeigt, welchen Spielraum de Klerk hat, um mit Anti-Apartheidvertretern zu verhandeln. Die drei Kirchenmänner überreichten dem Staatspräsidenten ein Memorandum folgenden Inhalts: Sechs Vorschläge zur „sofortigen Verwirklichung“, um anschließend echte Verhandlungen beginnen zu können:

• Aufhebung des Ausnahmezustandes in Südafrika,

• Streichung aller Restriktionen,

• Freilassung aller ohne Prozeß Inhaftierten,

• Legalisierung aller verbotenen Organisationen,

• Befreiung aller politischen Häftlinge und

• Begnadigung aller zum Tod Verurteilten.

Weiters wird in diesem Memorandum die ersatzlose Streichung der letzten vier Säulen der rassistischen Gesetzgebung - Klassifika-

tion nach Rassen, separate Häuser, getrennte öffentliche Plätze sowie das Gesetz, das 86 Prozent des Landes den Weißen zuspricht - gefordert. Desgleichen werden auch die Rückkehr aller im Exil Lebenden, die Freiheit der politischen Betätigung und Verhandlungen mit allen „Befreiungsorganisationen“, einschließlich des ANC, gefordert.

Zum besseren Verständnis: Die Regierung hat bisher Gespräche mit lokalen Führern unter Ausschaltung des ANC bevorzugt und gemeint, diese Lokalautoritäten seien die echten Vertreter der schwar-

zen Bevölkerung Südafrikas. Im kommenden Monat wird es übrigens eine Begegnung zwischen de Klerk und der verbotenen Soweto Civic Association geben.

Wird de Klerk, der seinen Willen zum Dialog und seine Bereitschaft zur Aufhebung der Apartheid zeigt, auf diese Punkte des Memorandums eingehen? Einen Schritt hat er in der Zwischenzeit gesetzt: Mitte Oktober ließ er sieben der acht weltbekannten politischen Häftlinge („Acht von Rivonia“) - einschließlich des ANC-Generalsekre-tärs Walter Sisulu - frei.

Aber die Befreiung der Mitkämpfer von Nelson Mandela ist noch kein Beweis dafür, daß de Klerk die Apartheid wirklich aufheben will. Man wirft ihm vor, leere Versprechungen zu machen, um Zeit zu gewinnen. Nach der Befragung der weißen Bevölkerung hat der Gemeinderat von Johannesburg unter der Führung der Nationalen Partei (Partei de Klerks) am 26. September einen Teil der Diskriminierungen gestrichen: Schwimmbäder, Vergnügungsparks und Autobusse sind für alle Rassen offen. Die Apartheid zerbröckelt, ist abernoch weit davon entfernt, ganz zu verschwinden.Schulen und Wohnhäuser unterstehen noch immer den Prinzipien der Rassendiskriminierung. Abgesehen von den Krankenhäusern, die der Provinzverwaltung unterstehen, werden alle diese Einrichtungen von der Regierung verwaltet, die versprach, Rassendiskriminierungen zu beseitigen.

Aber wie wird sie dieses Versprechen halten, wenn ihr Oberhaupt, de Klerk, für die Beibehaltung der Trennung in Wohnvierteln, Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen ist? Er verteidigt diese Trennung, wenn ermeint, man dürfe die Angelegenheiten jeder Rassengruppe nicht mit den allgemeinen Angelegenheiten der südafrikanischen Bevölkerung verwechseln. Diese Differenzierung habe nichts mit Apartheid zu tun.

Obwohl der neue Staatspräsident für eine neue Verfassung und für die Aufteilung der Macht ist, bleibt es fraglich, ob ein Mann dieser Denkart imstande ist, das Land aus dem Dilemma zu führen. Möglicherweise wird es während seines fünfjährigen Mandats einige sterile Manöver geben. Abgesehen von der Befreiung der sieben wird er noch andere Gesten setzen müssen, um seine Ehrlichkeit unter Beweis zu stellen.

Südafrika befindet sich in einer sehr wichtigen Periode seiner Entwicklung. Von der Geschwindigkeit und vom politischen Willen Pretorias, von den Versprechungen zu deren Verwirklichung zu schreiten, wird die Zukunft Südafrikas abhängen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung