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Ende der Theaterkritik?

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Es liegt auf der Hand: je wichtiger das Theater im Leben der Allgemeinheit ist, um so wichtiger, ja, notwendiger muß die Theaterkritik sein. Und doch haben die meisten der heutigen Theaterkritiker das nicht begriffen. Denn sie tun alles, um das Theater zu zerschlagen, und merken nicht, daß sie ihren eigenen Beruf zerschlagen.

Der Beruf des Theaterkritikers war zumindest noch in die zwanziger Jahre hinein — ich spreche hier vom deutschsprachigen Gebiet — etwas Wichtiges. Weil eben das Theater etwas Wichtiges war. Der Theaterkritiker stand in hohem Ansehen. Was er schrieb, wurde von den Lesern geglaubt.

Er schrieb nicht, wie seine Nachfolger heute, etwa darüber, wer Theaterdirektor werden, wer nicht Regie führen dürfe, und vieles andere, was den Durchschnittsleser nicht interessiert. Er schrieb über die Aufführungen.

Wenn sich später herausstellte, daß er recht hatte — in der Beurteilung des Autors, vielleicht bei der Entdeckung eines Dichters, in der Einschätzung der Regie oder eines Darstellers —, so hatte die Leserschaft um so mehr das Gefühl, sich auf ihn verlassen zu können. Natürlich irrte er auch manchmal. Wenn er sich ständig irrte, kamen die Zeitungsleser auf die naheliegende Idee, er verstehe nichts von seinem Beruf. Er verlor an Einfluß, und er verlor schließlich seinen Job.

Ein typisches Beispiel der zwanziger Jahre, die nicht rein zufällig hier herangezogen werden, denn damals war Berlin noch die Theaterhauptstadt der Welt: Alfred Kerr. Man ging ins Theater, wenn er durch eine positive Kritik dazu riet, man ging nicht-ins Theater, wenn , er durch eine negative Kritik davon abriet. Und man bereute die Gefolgschaft selten. Im tausendjährigen Reich war es verboten, Kritik zu üben, und als es zu Ende war, mußte von vorn angefangen werden. Ich glaube — aber das ist Ansichtssache —, daß die Entwicklung, auf deren „Höhe” wir heute stehen, sich damals anbahnte. Die jungen Kritiker, denen man in den Jahren zuvor den Mund verboten hatte, begriffen, daß sich Gleiches nur wiederholen konnte, wenn man sich nicht rechtzeitig wehrte und richtig wehrte, das heißt politisch. Es kann wohl kein Zufall sein, daß sie alle — von einigen Ausnahmen abgesehen — sich links orientierten und im Verlaufe der Jahre immer linkser wurden. Man möchte sagen: je jünger, desto linkser. In den letzten Jahren kann man kaum noch eine Theaterkritik aufschlagen, in der nicht ein Klassenkampf propagiert, das Theater als Instrument der Revolution gepriesen und verteidigt wird, respektive, wenn es sich nicht als solches Instrument erweist oder angesehen werden will, heruntergemacht wird. Ja, es ist so weit gekommen, daß das Publikum, weil es etwa Stücke oder Aufführungen mochte, die in diesem Sinne nicht einzugliedem waren, von Kritikern beschimpft wurde. Vor kurzem las ich in der Kritik einer großen deutschen Zeitung, es sei ein Skandal, daß es bei Stück und Aufführung nicht zu einem Theaterskandal gekommen sei…

In man darf wohl sagen allen Fällen stehen diese „revolutionären” Theaterkritiken im Gegensatz zu der allgemeinen Haltung der Zeitungen, in denen sie erscheinen. — Es gibt im deutschsprachigen Raum kaum kommunistische Zeitungen von irgendwelcher Bedeutung, und nur wenige,

die sich ganz auf die sozialistische Linie ausgerichtet haben. Es gibt also kaum eine Presse, die so links ist wie der Theaterkritiker von heute, der etwas auf sich hält. Diese Theaterkritiker schreiben also für die bürgerlichen Blätter — vielleicht nicht zuletzt, weil sie dort gut bezahlt werden. Warum sie dort überhaupt bezahlt, das heißt angestellt werden, ist mir ein Rätsel.

Worauf es hier ankommt: diese „linken” Theaterkritiker schreiben also im luftleeren Raum. Sie kommen nicht an das Publikum heran, das sie vielleicht verstehen oder gar ihre Ansichten teilen würde. Sie ha ben für das Theaterleben oder für diejenigen, die noch am Theater interessiert sind, nicht im entferntesten die Bedeutung, die sie nach Auflage der Blätter haben müßten, in denen sie schreiben. — Natürlich ist ihre Idee, mittels des Theaters Revolution zu machen, schon dadurch zum Tode verurteilt. Sie ist ohnehin nicht durchführbar, denn dazu gibt es, nicht zuletzt dank ihrem Wirken, zuwenig Theaterbesucher.

Aber sie haben auch keinen Einfluß auf das geschrumpfte Theaterleben. Man könnte das durch Dutzende von Beispielen aus der letzten Zeit belegen. In Stuttgart macht ein sehr linksgerichteter, übrigens fähiger Mann, Peter Palitzsch, Theater und die Kritik überschlägt sich seinetwegen; das Haus bleibt leer. In Hamburg wurde von der Kritik, die das natürlich nichts anging, stürmisch das Engagement des zum Theaterdirektor nun einmal nicht geeigneten hochbegabten Egon Monk gefordert — das Theater stand schon nach ein paar Wochen vor der Schließung. Ähnlich ging es in Zürich, wo ebenfalls eine Clique von sehr linksgerichteten Theaterkritikem in keineswegs linksgerichteten Zeitungen das Engagement eines linksgerichteten Kandidaten namens Löffler verlangte. Er ruinierte das Theater in weniger als drei Monaten.

Den meisten Theaterkritikem von heute passiert, was eigentlich niemandem passieren sollte, der für Zeitungen schreibt; sie werden nicht mehr gelesen. Man spricht nicht mehr über sie. Und leider hat das auch zur Folge, daß man weniger und weniger vom Theater spricht. Und infolgedessen weniger und weniger ins Theater geht.

Hinzu kommt der akute Mangel an Theaterdirektoren. Es gäbe einige und es wachsen einige heran, die entsprechende Fähigkeiten aufweisen, aber sie kommen nicht zųm Zuge infolge der Kurzsichtigkeit der politischen Parteien.

Diese politischen Parteien sind nämlich groteskerweise der Überzeugung, die Wahl des Leiters einer Städtischen Bühne sei Angelegenheit der Politik. Aber das wird sich geben.

Anders steht es mit dem Mangel an fähigen oder ehrlichen Theaterkritikem. Wenn diejenigen, die heute am Zuge sind, sich noch lange austoben, wird es bald weder sie noch ein Theater geben.

Aber vielleicht ist es noth nicht zu spät.

• Der Maler Max Ernst, einer der Väter des Surrealismus, wurde 80 Jahre alt. Dadamax, wie er sich gern selber nannte, war aber auch in vielen Techniken der modernen Malerei ein Vorläufer, der viele mindere Nachahmer hatte…

• August Everding, Intendant der Münchner Kammerspiele und ab 1973 Intendant der Hamburgischen Staatsoper, wird im Oktober an der Met „Tristan und Isolde” und 1972 an der Mailänder Scala Wagners „Ring des Nibelungen” inszenieren.

• Die Musiksammlung der österreichischen Nationalbibliothek zeigt eine Ausstellung „österreichische Musik des 20. Jahrhunderts”, und zwar 81 Autographen von Schönberg, Berg und Webern bis zur Gegenwart.

• Anläßlich der 90. Wiederkehr des Geburtstages von Ferdinand Maierhofer wurde in der Galerie des Burgtheaters ein von Carry Hauser geschaffenes Gemälde enthüllt. Es wurde auf Anregung der Raimund- Gesellschaft vom Unterrichtsministerium gestiftet.

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