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Ende des Gleichgewichts

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Wie ein Phönix aus der Asche seiner vordergründigen Vorjahresdebakel stieg am Abend des 6. Mai Bruno Kreisky. Die Vorverlegung der Wahl hat sich gelohnt. Und auch die stets wahlentscheidende Vorformulierung der Wahlentscheidung: Kreisky oder das angebliche Chaos durch Taus-Götz?

Uber den rot-weiß-roten Teppich des „österreichischen Weges“, unter den alles gekehrt wurde, was nicht gut war oder teuer zu werden drohte, schritt Kreisky seinem bisher größten Triumph entgegen.

Die Volkspartei streute ihm zwar keine Blumen, sondern verteilte nur welche. Sie konnte aus ihren neuen Wegen für Österreich - 16 nach wie vor lesenswerte Alternativkonzepte -werblich keinen so einzigartigen und den Kanzlerbonus kompensierenden Weg konstruieren. Sie wollte den Österreichern die Zusammenarbeit wieder sympathisch machen, aber die Frage mit wem, mußte sie offen lassen.

Zwischendurch kam sie durch die letzte SPÖ-Initiative der Arbeiterabfertigung und in der Frage der Fristenlösung durch eigene Äußerungen außer Tritt und konnte auch durch die Privilegienabbau-Initiative von Taus und dessen gutes Abschneiden in der Fernsehdiskussion mit Kreisky nicht mehr den nötigen Schwung gewinnen. .

Analysieren ist freilich leichter als führen. Wer in schwierigen und deshalb wenig experimentierfreudigen Zeiten einen so erfahrenen Staatsmann wie Kreisky hat, braucht die Wähler gar nicht in erster Linie zu faszinieren oder zu schockieren; es genügt, wenn er ihre Bequemlichkeit anspricht. Der „Alte“ soll es uns weiter richten, scheinen die bisherigen und ein paar zehntausend neu hinzugekommene Kreisky-Wähler gedacht zu haben.

Das Wahlergebnis vom 6. Mai brachte nicht das Ende der pluralistischen Demokratie, wohl aber das Ende des Gleichgewichtsdenkens vergangener Jahrzehnte, das schon von kleinen und automatischen Pendelschlägen eine Änderung der politischen Landschaft Österreichs erwarten durfte. Der bisherige Maximalabstand der beiden Großparteien von zehn Mandaten zugunsten der Volkspartei (1949 bei insgesamt 165 Mandaten bei nur relativer Mehrheit) hat sich von drei (1970 bei 165 Mandaten) auf voraussichtlich 20 zugunsten der seit 1971 mit absoluter Mehrheit regierenden Sozialistischen Partei vergrößert.

Natürlich ist die Volkspartei noch immer eine ganz große Partei mit siebenmal so vielen Mandaten wie die Freiheitliche Partei und mehr als zwei von fünf österreichischen Wählern hinter sich. Dennoch sollte sie sich nicht damit trösten, daß die große Chance der SPÖ namens Kreisky eines Tages zum großen Problem der SPÖ in Form der Nachfolgefrage werden wird.

Nach 13 Jahren Kreisky wird die SPÖ in einem nie dagewesenen Maß mit dem Staat identifiziert werden, vor allem, wenn Kreisky, wie in der Wahlnacht versprochen, das Augenmaß behält. Ob die SPÖ das Wasser der österreichischen Tradition von Franz Joseph bis Julius Raab auch über die Mühlen eines Machers wie Androsch leiten und von Arbeitslosigkeit und Inflation in vielen westlichen Demokratien weiterhin den gleichen respektgebietenden Abstand halten können wird, wird erst die Zukunft erweisen.

Die Volkspartei aber sollte sich jetzt nicht ihrer Lieblingsbeschäftigung des Krankjammerns ihrer Spitze hingeben, sondern, befreit von dem Ballast der Frage, mit wem sie wie regiert hätte, sich mit den für sie wesentlichen Fragen auseinander-• setzen: Wie kann die Regierung in Zukunft noch wirksamer kontrolliert und der Wähler für diese Kontrollaufgabe interessiert werden?

Wie kann die Partei bei den anderen, die ihre einzige Chance sind, auf lange Sicht wieder an Boden gewinnen? Und wie benennt sie nach der Epochenschwelle, die wir in der ganzen westlichen Welt in diesen Jahren mit Gewißheit überschreiten, eine

„Die Volkspartei aber sollte sich jetzt nicht ihrer Lieblingsbeschäftigung des Krankjammerns ihrer Spitze hingeben“

österreichischen Zukunft, die mehr ist als weniger Sozialismus?

Das sollte ohne Hast geschehen, aber planmäßig, durch wenig Herumreden und sehr viel Nachdenken. Der österreichischen Demokratie wird die Volkspartei in Zukunft den besseren Dienst erweisen können, wenn sie nicht - was aus zeittypologi-schen Gründen ohnehin vergeblich ist - nach einem schwarzen Kreisky sucht, sondern die Bürger auf wirklich neuen Wegen zu mehr Beteiligung an künftigen politischen Entscheidungen motiviert.

Das ist sicher eine schwierigere Aufgabe als die Reduzierung der Politik auf eine Ersatzkaiser-Wahl. Aber die Politisierung einer an den Rand der Volksbelustigung gedrängten „Politik“ ist wesentlich dringlicher und weniger abschreckend als die Verpolitisierung des gesamten Lebens.

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