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Enderwartungen

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Die ersten Christengemeinden erwarteten, daß eine endzeitliche Wiederkunft Christi mit apokalyptischen Erscheinungen noch zu Lebzeiten der Apostel stattfinden würde. Die Apostel Petrus und Paulus mußten sie eindringlich belehren, sich wegen des Ausbleibens dieser Erwartungen nicht aus der Fassung bringen zu lassen. Bei Gott sei ein Tag wie tausend Jahre, und tausend Jahre seien wie ein Tag.

Je näher aber das Jahr 1000 kam, umso mehr steigerte sich bei vielen Menschen die Erwartung vom Ende. Teilweise kam es zu richtigen „Untergangsneurosen“. Als im Jahr 992 der Karfreitag auf den Tag der Verkündigung fiel, wurde dies als besonders böses Omen angesehen. Ebenso boten eine Sonnenfinsternis, eine Pestepidemie und ein Ausbruch des Vesuvs knapp vor der Jahrtausendwende Anlaß für Spekulationen über das Ende der Welt.

Als das neue Jahrtausend jedoch ohne den erwarteten Untergang anbrach, war das Phänomen der chiliastisch-apokalyptischen Erwartungen deswegen nicht beendet.

So wird berichtet, daß in der Ende des 11. Jahrhunderts beginnenden Kreuzzugszeit viele glaubten, Karl der Große sei aus dem Grabe auferstanden und führe die Kreuzfahrer an. Ein Kaiser, der wiederaufersteht, müsse wohl der „Endkaiser“ sein. Das Rolandslied bemerkt etwa, daß Caesar, Augustus und Karl der Große wiederauferstehen und den Weltkreis erneuern würden.

Manche Autoren weisen auch darauf hin, daß der große Pilgerzug nach Jerusalem von 1064/65 durch die Erwartung des Weltuntergangs mitveranlaßt gewesen sei.

1179 verkündete wiederum Johannes von Toledo eine Katastrophe für 1186, weil sich dann alle Planeten im Zeichen der Waage versammeln würden. In vielen Ländern wurden daraufhin Schutzräume angelegt.

Joachim von Fiore berechnete den Beginn des Tausendjährigen Friedensreiches der Heiligen für das Jahr 1260. Im November dieses Jahres zogen, Berichten zufolge. Tausende von Leuten durch viele italienische Städte singend, betend, sich geißelnd und Gott um Barmherzigkeit und Frieden anflehend.

Sogar die verfeindeten Ghibe-linnen und Guelfen sollen sich für kurze Zeit ausgesöhnt und Gefangene freigelassen haben.

Auch die Hussitenbewegung im 15. Jahrhundert in Böhmen war wie viele andere vom Chiliasmus geprägt. Die Prediger im Anschluß an Hus verkündeten vielfach, daß das Jüngste Gericht bevorstehe und die Sünder ausgetilgt würden.

Nur diejenigen Getreuen, die auf den Bergen oder in den fünf „gotterwählten“ Städten (eine davon war Pilsen) Zuflucht suchten, könnten von der Strafe Gottes errettet werden. Im Frühjahr 1419 versammelten sich Menschen aller Stände auf einem Berg namens Tabor mit der Absicht, die apostolische Urgemeinde neu zu begründen. 1421 wurden sie von dort vertrieben.

Ähnliche Erscheinungen gab es Jahrhunderte später in den USA. William Miller verkündete aufgrund eingehenden Bibelstudiums, die Welt werde zwischen dem 21. März 1843 und dem 21. März 1844 untergehen. Viele Menschen glaubten ihm. Die Zahl der Adventisten, wie sie sich nannten, betrug damals mehrere Hunderttausend.

Viele stellten damals jegliche weltliche Aktivität ein. Felder blieben ungeerntet, Geschäfte wurden geschlossen, und so mancher verschenkte seinen Besitz…

Eine unübersehbare Fülle solcher Bewegungen begleitete auch die Missionstätigkeit in Asien und Afrika. So berichtet Hans Marguli („Aufbruch zur Zukunft“, 1962) beispielsweise von einer Bewegung im Kongo: „Es ist Simon Kimbangu, der kommt. Er wird den Gottesdienst halten, und Yoa-ne Mvubi wird taufen. Sie werden zusammen den Staat ersetzen, die Katholiken und die Protestanten… Während des Heiligen Krieges, der kurz bevorsteht, werden die Weißen gerichtet werden, die Tore der Gefängnisse geöffnet, und Christi Apostel werden entlassen werden…“

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