6995010-1987_06_08.jpg
Digital In Arbeit

Endlagerung ungelöst

19451960198020002020

Überall laufen die Kernkraftwerke munter weiter. Sie erzeugen nicht nur Strom, sondern auch Atommüll. Wohin damit? Weltweit schiebt man das Problem vor sich her.

19451960198020002020

Überall laufen die Kernkraftwerke munter weiter. Sie erzeugen nicht nur Strom, sondern auch Atommüll. Wohin damit? Weltweit schiebt man das Problem vor sich her.

Werbung
Werbung
Werbung

FURCHE: Weltweit gibt es nun einmal große Mengen radioaktiven Materials. Was kann man beim derzeitigen Stand des Wissens damit machen?

ALEXANDER TOLLMANN: Es handelt sich vor allem um das Problem des hochradioaktiven Abfalls. Darüber hat man sich am Anfang zuwenig den Kopf zerbrochen. Man hat 'sich damit getröstet, das Problem sei noch nicht spruchreif. Damit ist man — worauf die Atomgegner immer hingewiesen haben - in ein Flugzeug gestiegen, das keinen Landeplatz hat.

Heute zeigt sich folgendes: Trotz intensiver Suche in den letzten zehn Jahren hat man keine geeigneten Endlagerstätten gefunden. Aus geologischer Sicht gibt es keinen Platz auf der Erde, der den Anforderungen gerecht wird. Meine Antwort muß daher sein: Ehrlich gesagt wissen wir nicht, was wir mit den Abfällen tun sollen.

FURCHE: Haben diese Forschungen also überhaupt zu nichts geführt?

TOLLMANN: Heute weiß man, wieviel Temperatur bestimmte Gesteine vertragen, welche Elemente ein Salzstock nicht aufweisen darf, um geeignet zu sein. Hier ist man mit dem Wissen weitergekommen. Aber eine geologische Position, bei der man sagen könnte, das Gestein sei hier so gesund, daß man die radioaktiven Abfälle auch tatsächlich unterbringen könne, die wurde bisher nicht entdeckt — und das trotz enormen Forschungsaufwandes.

FURCHE: Heißt das, daß es weltweit solche Lagerstätten

nicht gibt?

TOLLMANN: Ich will nicht sagen, daß man solche Orte nicht finden kann. Aber ich muß doch festhalten, daß das Problem derzeit weiter ungelöst ist.

Noch einmal: Wir wissen ziemlich viel über die Einflüsse des radioaktiven Materials auf Gesteine. Aber konkrete, nicht nur am Reißbrett gezeichnete Endlager haben wir nicht.

FURCHE: Kennt man also Materialien, die grundsätzlich als Lagerraum geeignet wären?

TOLLMANN: Wir wissen von dichten Graniten, Tonen und Salzstöcken, die sich in Idealkonstellation als Lagerstätte eignen würden. Wir können solche Formationen nicht in größeren Tiefen verwenden, weil da die Temperatur so stark ansteigt, daß mit der Eigenabgabe von Temperatur durch die Abfälle bald eine Grenze möglicher Tiefe erreicht wird.

FURCHE: Und weiter an der Oberfläche ist man nicht fündig geworden?

TOLLMANN: Den größten Flop hat die Schweiz erlebt. Dort war den Atomkraftwerksbetreibern gesetzlich bei Androhung der Schließung der Werke vorgeschrieben worden, bis 1985 sichere konkrete Endlagerplätze zu finden. Dafür wurden mehr als 2,5 Milliarden Schilling aufgewendet.

Und dennoch ist die Sache danebengegangen: Uberall, wo die günstigsten Voraussetzungen zu bestehen schienen, zeigten eingehendere Untersuchungen, daß die Gesteinsformationen doch ungenügend waren oder daß heißes aufsteigendes Wasser auftrat.

Auch die Schweizer, wohl die besten Geologen der Welt, sind an dieser Frage gescheitert.

FURCHE: Kann man sich weiter mit Zwischenlagerung des Atommülls behelfen, oder gibt es einen Zeitdruck, rechtzeitig Endlager zu entdecken?

TOLLMANN: Der Zeitdruck ist doppelt. Einmal ist er politisch, wie etwa die schweizerische Festlegung auf das Jahr 1985, die durch Volksabstimmung initiiert worden ist Jetzt hat man sich nicht daran gehalten. Aber der Druck bleibt aufrecht. Der zweite Druck rührt vom Anwachsen der Massen an radioaktiven Stoffen weltweit. Die vielen provisorischen Lager drohen ja überzugehen.

FURCHE:Besteht dann die Gefahr, daß man sich unter dem Druck der Umstände mit untauglichen Endlagern zufriedengeben könnte?

TOLLMANN: Genau das ist meine große Sorge. Nehmen Sie Gorleben: Die Gutachter haben zwar gesagt, sie seien grundsätzlich für Salzstöcke, aber nicht für den in Aussicht genommenen. Denn da gibt es Grundwasser, das bis zu. einer Tiefe von 100 Metern in den Salzstock eingebrochen ist. Dennoch tut man dort ungeniert weiter. Das Argument: Man werde die Sache schon hinkriegen.

Ähnliches in der Schweiz: Da überlegt man, ob man nicht Sandsteine verwenden werde, obwohl eigentlich klar ist, daß diese grundsätzlich ungeeignet sind. Dann kommt nämlich der Druck von Politikern und Managern dazu, und es entstehen unabsehbare Gefahren für Generationen.

FURCHE: Welche Gefahren sind das?

TOLLMANN: Daß radioaktive Materialien in unseren Lebensraum eindringen. Die wichtigste Sperre ist ja die geologische Formation. Und sie muß etwa eine Viertelmillion Jahre sicher sein (wenn man bedenkt, daß die Halbwertzeit des Plutoniums 24.400 Jahre beträgt). Solange müßte diese Formation dicht halten.

Bisher hat man aber immer wieder Klüfte entdeckt, durch die Grundwasser dringt. In der Schweiz hat man etwa Grundwasserströme entdeckt, die so rasch vordringen, daß sie von einem Grundlager von 1000 Meter Tiefe in 800 Jahren an die Oberfläche gelangen würden.

Die Versuchung, zu sagen: ,Ach was, machen wir es trotzdem“, ist groß, wirkt aber verheerend. Denn die Verpackung des Atommülls mit derzeitigen Methoden ist ebenfalls nicht befriedigend, etwa die Verglasung. Sie sorgt nur für Sicherheit während einiger weniger Jahrtausende.

FURCHE: Wie sicher sind dann die derzeitigen Endlager?

TOLLMANN: Ihre Sicherheit mag auf etwa 1000 bis 2000 Jahre geschätzt werden. Das ist aber für verantwortungsbewußte Menschen zu unsicher. Das ist ja das für den Laien oft Unbegreifliche, daß man mit so riesigen Zeiträumen rechnen muß — und für sie gibt es auch keine vernünftigen geologischen Vorhersagen.

Univ.-Prof. Alexander Tollmann ist Geologe an der Universität Wien. Mit ihm sprach Christof Gaspari.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung