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Endlich Abschied vom Habsburg-Kannibalismus

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Vor wenigen Tagen war im österreichischen Fernsehen eine alte Frau zu sehen, im schwarzen Kleid mit dünnen Haaren. Mit klarer Stimme erzählte eine Neunzigjährige, daß sie froh sei, wieder in ihrer Heimat zu sein, die sie vor 60 Jahren verlassen mußte.

Die frühere Kaiserin Zita hat zum Unterschied von ihren Kindern, vor allem vom ältesten Sohn Otto, niemals den in der österreichischen Verfassung verlangten „Thronverzicht" geleistet und konnte daher nicht nach Österreich einreisen. Eine durch ein Verwaltungsgerichtshofurteil möglich gewordene neue Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen hat es nun dieser alten Frau ermöglicht, Kinder, Enkel-und Urenkel in der österreichischen Heimat zu sehen.

Ist es erst wenige Jahre her, daß eine Diskussion über die Einreise von Habsburgernachkommen für innerpolitische Aufregung sorgte? „Habsburgerkannibalismus" nannte dies damals der Sozialist Günther Nenning. Nichts mehr heute davon. Es wäre auch zu lächerlich, die Republik in Gefahr zu sehen, weil eine Urgroßmutter ihre Urgroßenkel in die Arme nehmen will.

Eine alte Frau ist nach Österreich heimgekehrt. Sie hat jenseits aller gesetzlichen Bestimmungen ein Recht auf diese Heimkehr. Sie hat auch ein Recht, einstmals in der Kapuzinergruft ihre letzte Ruhestätte zu finden, so wie ihr Mann, der noch heute in

fremder Erde ruht. Karl war der letzte Kaiser und Zita die letzte Kaiserin von Österreich. Sie sollen bei ihren Ahnen ruhen. Damit würde ein Kapitel österreichischer Geschichte seinen würdigen Abschluß finden.

Die Republik hat heute die Kraft zu dieser Geste nationaler Würde. Das republikanische Bewußtsein der Österreicher ist heute so selbstverständlich wie ihr nationales Bewußtsein. Republi-

kaner-Sein heißt nicht AntiHabsburger-Sein, so wie Österreich-Sein nicht heißt Anti-deutsch-Sein.

Die Österreicher waren immer groß im Kampf gegen sich selber, aber auch in den bittersten Zeiten haben sie sich einen letzten Rest von nationaler Identität erhalten. Wir mußten zum Unterschied z.B. von den Deutschen niemals bei einer Stunde Null anfangen. Wir konnten immer wieder an die Vergangenheit anknüpfen, auch wenn diese Vergangenheit manchmal die Vorvergangenheit war. Man hat uns oft als Rückwärtsschauer belächelt und bekrittelt. Aber wie vieles haben wir uns dadurch erspart.

Österreich hat nicht 1945 begonnen, nicht 1918, nicht mit den Habsburgern, nicht mit den Babenbergern, und nicht mit der bairischen Landnahme. Osterreich ist älter. Wir haben in die-

sem Jahr des heiligen Severins gedacht. Auch er war ein Ahnherr Österreichs.

Daß unsere Flüsse und Orte vielfach slawische Namen tragen, daß bei Weinviertier Bauern gelegentlich breite Backenknochen und Augen mit Lidfalten auftauchen, weil vor tausend Jahren Awaren dort in den Winterquartieren lagen, Haß Wien einmal die größte tschechische Stadt war — das alles gehört zu Österreich. Das alles gehört zu Dir, und Du gehörst zu dem allen, sagt schon der Steinklopfer Hans. Es kann Dir nix gschehn! Es ist uns vieles geschehen. Und wenn wir oft der Geschichte hinterhergehinkt sind, so deswegen, weil wir viel zu schleppen hatten.

Heimkehr nach Österreich! Der Sozialist Karl Renner hat den entscheidenden Schritt getan, da er als Bundespräsident in die Hofburg zog. Nur wer in der Hofburg sitzt, ist für die Österreicher der Kaiser, der Präsident oder wie sonst der heißt, der an der Spitze steht.

Es ist eine sozialistische Regierung, die einer alten Frau die Heimkehr nach Österreich ermöglicht. Und es wird eine österreichische Regierung, ganz gleich welcher Farbe, sein, die die Tore der Kapuzinergruft zum letztenmal aufmachen wird, um den letzten Kaiser und die letzte Kaiserin aufzunehmen.

Österreich war vor den Habsburgern und ist nach ihnen. Aber sie gehören auch dazu.

Reaktion der AZ

Am 27. Juli schrieb die sozialdemokratische „Arbei-ter-Zeitung":

„Verlangen Sie nichts vom Parlament und von der Regierung, das den Opfern und den Schuldigen an den Unglückstagen gegenüber milde scheint."

Also sprach Seipel, der Bundeskanzler ist und ein katholischer Priester! Keine Milde gegenüber den Schuldigen an den Unglückstagen, die natürlich nur unter den Demonstranten zu suchen sind, aber auch keine Milde gegenüber den Opfern!

Die „Schuldigen" in den Kerker, die Hinterbliebenen, dem Hungertod: Das ist die „Bitte", die Seipel „noch am heutigen Tage hatte". Fünfundachtzig Menschen hat die Polizei des Herrn Seipel an einem Tage getötet. Wieviel Frauen weinen um ihren Gatten, wie viele Kinder um ihren Vater, wie viele Eltern t um ihren Sohn! Und wie viele Ernährer sind dahingerafft, wieviel Not ist da ausgesät worden! Den Hinterbliebenen Hilfe bringen? Unangebrachte Milde: das wäre „grausam" für die Republik!

Es fällt auf, daß tags zuvor im Parlament an der bis zum heutigen Tag zusammenhanglos (und oft falsch) zitierten Stelle, die Seipel den Ruf eines .Kanzlers ohne Milde" eintrug, keinerlei Zwischenrufe vermerkt wurden, obwohl es solche an anderen Stellen häufig gab. Unbestritten sollte sein, daß diese Vorfälle ein Lehrstück für die Demokraten aller politischen Lager zu sein haben.

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