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Englands Himmelspläne

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Es ist kein Geheimnis, daß die europäischen Bemühungen auf dem Gebiet der Weltraumforschung bis jetzt nicht gerade gut organisiert waren.

Die bisherige Entwicklung ließ eine Zusammenarbeit zwischen den Ländern, die an Weltraumprojekten interessiert sind, in ziemlich deprimierendem Maße vermissen, wobei sie jedoch ihre eigenen nationalen Programme stets weiterverfolgten. Tatsächlich wurde 1972 mehr als doppelt soviel Geld für nationale Programme ausgegeben wie für die beiden europäischen Behörden ELDO und ESRO. Vor diesem Hintergrund muß man die jüngst beendete Europäische Weltraumkonferenz in Brüssel sehen, an der sich elf europäische Länder beteiligten. Als Ergebnis stellte der britische Luftfahrtminister Michael Heseltine fest, daß Europa „in Reichweite einer seiner bislang, bedeutsamsten industriellen Entwicklungen“ gekommen sei und daß in der Folge schon etwas von dem so wichtigen Zusammenschluß der europäischen Weltraumforschung sichtbar werden würde. Bis jetzt war der Abstand zwischen den einzelnen Teilnehmern an den europäischen Weltraumbemühungen zu groß.

Zunächst einmal haben die langen und gelegentlich recht vorsichtigen Brüsseler Verhandlungen die Bemühungen um eine Europäische Weltraumbehörde rationalisiert. Offiziell soll die ESA (European Space Agen-cy) 1974 gebildet werden, aber tatsächlich wird sie schon lange vor diesem Zeitpunkt arbeiten. In der Zwischenzeit soll die ESRO in ihrem Namen zeichnen.

In dieser Zwischenzeit wird auch wahrscheinlich mindestens ein wichtiges Abkommen unterzeichnet werden. Es sieht die Zusammenarbeit mit dem nationalen Nach-Apollo-Programm der NASA vor. Dabei geht es unter anderem um ein „Spacelab“ genanntes Projekt, um das ESA-Äquivalent des amerikanischen „Skylab“.

Das „Spacelab“-Projekt ist nicht neu. Zwei Jahre lang war es ein bevorzugtes Studienobjekt der ESRO, an dem sich zu verschiedenen

Zeiten verschiedene europäische Länder, darunter auch Großbritannien, beteiligten. Nach der grundsätzlichen Brüsseler Entscheidung, eine Europäische Weltraumbehörde zu schaffen, war die Entscheidung über die Fortführung des „Space-lab“-Projekts vielleicht die wichtigste, die getroffen werden mußte. Die NASA bestand auf einem endgültigen Beschluß bis zum 15. August 1973. Schließlich wurde der Termin um einen Monat verlängert, da einige Länder sich aus verschiedenen Gründen noch nicht in der Lage sahen, bindende Zusagen über einen finanziellen Beitrag zu machen. Aber es besteht kein Grund, mit einer Ablehnung zu rechnen — die allgemeine Stimmung ließ eher das Gegenteil erhoffen.

Das zweite. Projekt, auf das man sich einigte, ist die europäische Trägerrakete L 3 S. Diese Rakete, die 750 Kilogramm Nutzlast in eine geo-stationäre Umlaufbahn, oder die doppelte Last in eine Parkumlaufbahn befördern kann (eine niedrigere Bahn, auf der sich der Satellit von Horizont zu Horizont bewegt), ist ein französisches Lieblingsprojekt.

Bislang hatte Großbritannien den Standpunkt vertreten, daß das Risiko, die USA könnten den Abschuß europäischer Satelliten verweigern, nur sehr gering und somit die Entwicklung einer eigenen Trägerrakete nicht gerechtfertigt sei. Anderseits ist es vom britischen Standpunkt aus nicht sinnvoll, eine starre Haltung an den Tag zu legen, und schließlich erklärte 'sich Großbritannien bereit, vier Millionen Pfund in das L-3-S-Programm zu investieren.

Luftfahrtminister Heseltine hatte schon vorher erklärt, er erwarte nicht, daß jedes in der Europäischen Weltraumbehörde vertretene Land gleichermaßen Interesse an sämtlichen gemeinsamen Programmpunkten haben werde. Es besteht auch kein Grund, weshalb es nicht ein integriertes europäisches Raumprogramm geben sollte, in dem sich die Interessen der einzelnen Mitgliedsländer in den Geldbeträgen widerspiegeln, mit denen sie sich zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Entwicklungen beteiligen. Eine Europäische Weltraumtoehörde sollte imstande sein, mit solchen unterschiedlichen Gewichtsverteilungen ohne viel Aufhebens fertig zu werden.

Dieser Punkt tritt ganz deutlich in dem dritten Abkommen über ein Großprojekt zutage, einen maritimen Satelliten mit dem „Marots“ (Abkürzung für „Maritimer OTS“). Es liegt auf der Hand, daß dieses Projekt den Briten besonders am Herzen liegt. Auch heute noch sind die Verbindungen von Schiff au Land nicht so gut, wie sie sein sollten, und ein speziell für Nachrichtenverbindungen über die Ozeane konstruierter Satellit, der auch Navigationsdaten übermittelt, könnte viel verbessern.

Obwohl Großbritannien ein eigenes nationales Projekt für einen solchen Satelliten verfolgte, hat es zugesagt, sich auf die Anpassung eines ESRO-Satelliten, der ursprünglich für das Fernmeldewesen entwickelt worden war, an eine maritime Rolle einzustellen und den größeren Teil der Kosten, 56 Prozent, zu tragen.

Aber nicht nur Großbritannien zeigt sich auf der Brüsseler Konferenz anpassungswillig. Die allgemeine Situation — französische Begeisterung für eine eigene Trägerrakete, westdeutsche für das „Spacelab“ und britische für einen maritimen Satelliten — hätte früher leicht zum Scheitern des Ganzen führen können. Die Gründung einer Europäischen Weltraumbehörde mit einem klaren Programm, das auch die verbliebenen ESRO-Projekte umfaßt, bedeutet dagegen, daß jetzt ein fester Rahmen besteht, innerhalb dessen verschiedene Interessen ohne die Gefahr eines Zusammenbruchs verfolgt werden können.

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