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Enkelgeneration mit Vorurteilen

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Seit Monaten wird nun in Öster- reich darüber diskutiert, ob und in welchem Ausmaß unsere Grenzen für Ausländer offen sein sollten. Während die einen verlangen, Österreich müßte jeden aufnehmen, der in unser Land kommen will, verlangen andere eine äußerst re- striktive Einreisepolitik, der Ruf nach einem allgemeinen Visums- zwang für Ost- und Mitteleuropäer wurde laut. Das Thema wurde be- reits emotionalisiert, das Geschäft mit der Angst blüht.

Was sind die Realitäten? Der Wegfall der Grenzen war überfäl- lig und Mobilität muß in einer hoch- technisierten Zeit für den Menschen selbstverständlich sein.

Zweites Faktum ist, daß ein Land in der Mitte Europas Ort der Be- gegnung sein kann und sein muß, wobei es besonders grotesk ist, wenn von jenen Vorurteile gegen Fremde geäußert werden, deren Eltern oder Großeltern erst nach Österreich gekommen sind. Bei dem großen Wohlstandsgefälle zwischen einzel- nen Staaten Mitteleuropas ist es aber kaum verwunderlich, daß ein „Tourismus" entsteht mit ähnlichen Erscheinungsformen wie bei uns in der Nachkriegszeit.

Es ist freilich weder sinnvoll noch möglich, einen historischen Prozeß, nämlich die Öffnung der Grenzen, wegen unerwünschter Begleiter- scheinungen rückgängig zu machen. Vielmehr muß es am Ende des 20. Jahrhunderts darum gehen, die internationale Zusammenarbeit auszubauen und Schwierigkeiten, wo sie entstehen, zu meistern.

Zeiten des Umbruchs sind gute Zeiten für Extremisten: falsche Hoffnungen werden geweckt, Äng- ste werden geschürt. So wird auf der einen Seite die Meinung ver- breitet, das ganze Elend Osteuro- pas könnte durch Auswanderung nach Österreich gelöst werden, auf der anderen Seite werden Ressenti- ments gegen Fremde geschürt, ja man tut so, als wäre jeder Fremde ein Verbrecher.

In dieser Situation muß es einmal darum gehen, prinzipiell festzuhal- ten, daß Österreich ein Land der Begegnung mit offenen Grenzen ist. Wenn Schwierigkeiten entstehen, etwa wenn Gesetze gebrochen werden, muß man trachten, im konkreten Fall dies zu ahnden, ohne das Prinzip der Freizügigkeit gene- rell zu beeinträchtigen. Wenn heu- te eine Unzahl von Ausländern jährlich als Touristen, als Arbeits- suchende, als Asylwerber zu uns kommen, von denen einige sich als Gesetzesbrecher herausstellen, dann muß man trachten, Regelun- gen zu finden, die der konkreten Situation gerecht werden.

Österreich muß weiterhin für alle politisch, rassisch oder religiös verfolgten Menschen ein Ort der Zuflucht sein. Wir brauchen aber auch Regelungen für Einwanderer.

Wenn es das Recht eines jeden Menschen sein muß, sein Land ver- lassen zu können, so ist es auch das Recht der Staaten, zu bestimmen, unter welchen Bedingungen Men- schen einwandern können, soweit es sich nicht um Flüchtlinge han- delt. Zahlreiche Österreicher mach- ten nach dem Zweiten Weltkrieg diese Erfahrung, die in die USA, nach Kanada oder Australien aus- gewandert sind.

Gerade hier zeigt sich, daß lang- fristig das Problem nur durch eine Verbesserung der Lebensbedingun- gen in Osteuropa geregelt werden kann. Für die unmittelbare Zukunft müßte es möglich sein, in einem großzügigeren Ausmaß als bisher Arbeitswilligen eine Aufenthalts- möglichkeit in Österreich zu geben.

Was die längerfristige Perspekti- ve betrifft, so könnte die Bevölke- rungsentwicklung der kommenden Jahrzehnte ein Maßstab dafür sein, in welchem Ausmaß die Einwande- rung nach Österreich ermöglicht wird. Schon jetzt werden jährlich 15.000 bis 20.000 Ausländer in Österreich naturalisiert. Wenn der vorausgesagte Geburtenrückgang in den nächsten Jahren tatsächlich eintritt, wird dies zu neuen Not- wendigkeiten führen. Schon jetzt muß es aber darum gehen, für jene Ausländer, die in Österreich blei- ben können, die Integrationsmög- lichkeiten zu verbessern (FURCHE 11/1990). Dies betrifft den Woh- nungsbereich genauso wie die Schu- le, die Arbeitsmöglichkeit ebenso wie die kulturelle Entfaltung.

Wenn es in den letzten Monaten zu einem Anstieg der Ausländer- kriminalität gekommen ist, so muß man prinzipiell festhalten: Es sind nicht die Flüchtlinge und Gastar- beiter, die diesen Anstieg verur- sacht haben. Jahrelang lag die Delinquenz bei Flüchtlingen und Gastarbeitern sogar unter dem europäischen Durchschnitt.

Heute gibt es einmal die interna- tional organisierte Großkriminali- tjft, etwa im Bereich des Drogen- handels oder des Kunstdiebstahls, die mit der Öffnung der Ostgrenzen wenig zu tun hat. Hier muß es dar- um gehen, die internationale Zu- sammenarbeit zur Verbrechensbe- kämpfung generell zu verbessern. Und was den „Kriminal-Touris- mus." aus dem Osten betrifft, so gäbe es viele Möglichkeiten, die Be- kämpfung effizienter zu gestalten.

Der Autor, Abgeordneter zum Nationalst, ist Sicherheitssprecher der ÖVP.

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