7075142-1993_15_13.jpg
Digital In Arbeit

ENSOLEILLE, DIE SONNE MUSS SCHEINEN

19451960198020002020

Wie kaum in einem anderen Lebensbereich kommt es im Urlaub zu einer Mixtur unterschiedlicher Lebensweisen: Die Deutschen gewinnen den Kampf um die Liegestühle, die Österreicher besetzen das Restaurant, die Dänen die Bar, und die Franzosen lassen sich rund um die Uhr unterhalten - frei nach einem Reisebericht: „Die Drinks mixen die Spanier. Um drei Uhr werden die letzten Dänen ins Freie getragen..."

19451960198020002020

Wie kaum in einem anderen Lebensbereich kommt es im Urlaub zu einer Mixtur unterschiedlicher Lebensweisen: Die Deutschen gewinnen den Kampf um die Liegestühle, die Österreicher besetzen das Restaurant, die Dänen die Bar, und die Franzosen lassen sich rund um die Uhr unterhalten - frei nach einem Reisebericht: „Die Drinks mixen die Spanier. Um drei Uhr werden die letzten Dänen ins Freie getragen..."

Werbung
Werbung
Werbung

Aus der Konsumforschung ist bekannt: Joghurt bleibt Joghurt-nur die Deutschen mögen das Milchprodukt gerne mit Erdbeergeschmack, die Italiener favorisieren den Orangengeschmack und die Franzosen sind vom Apfelgeschmack angetan. Unterschiedliche historische, soziale, kulturelle, geographische und klimatische Rahmenbedingungen sorgen auch im Urlaub für unterschiedliches Qualitätserleben und lassen den „Euro-Tourismus" trügerisch erscheinen. Andererseits setzt sich europaweit der Begriff „Qualitätstourismus" - in deutlicher Distanz zum Massentourismus - also „Klasse statt Masse" beziehungsweise „Qualität vor Quantität" durch.

Zehntausend Europäern aus sechs Ländern wurden in einer Untersuchung zwanzig unterschiedliche Merkmale für Qualitätsurlaub zur Auswahl und Entscheidung vorgelegt. Was zum Beispiel für jeden achten deutschen Urlauber am wichtigsten ist (Fahrradwege am Urlaubsort, zwölf Prozent), hat für die übrigen Europäer die geringste Bedeutung (sechs Prozent). Im statistischen Durchschnitt der sechs befragten Länder (A/D/DK/ F/GB/NL) ragen zehn Hauptmerkmale für Qualitätstourismus hervor:n

1. „Movieomgeving": Die Landschaft muß schön sein.

Was die Atmosphäre für das Gemüt, ist das Ambiente für das Auge des Urlaubers: Der Urlaub wird durch eine „schöne Landschaft" erst schön, sagen vor allem Deutsche (64 Prozent), Österreicher (53 Prozent) oder Holländer (50 Prozent). Die Sinne konsumieren mit. Urlaubserleben ist auch ästhetisches Erleben. Die „beau-tiful scenery", die schöne Kulisse, macht den Alltag vergessen und den Urlaub zum Erfolg.

2. „Behagelig atmosfaere": Die Atmosphäre muß gemütlich sein.

Die Europäer wollen ihren Urlaub in aller Gemütlichkeit genießen: Gemächlich und behaglich muß es sein. Die Atmosphäre muß einfach stimmen. „Bonne atmosphere" ist die zweitwichtigste Anforderung, die Europäer heute an ein Reiseziel stellen. Deutlich mehr als die Deutschen (49 Prozent) haben die Dänen Gemütlichkeit im Urlaub gepachtet: Für drei Viertel der Dänen (77 Prozent) fängt Urlaubsqualität erst einmal mit „behagelig atmosfaere" an. Vor allem für die jungen Dänen bis 34 Jahre ist die atmosphärische Ausstrahlung des Ferienortes und der Ferienunterkunft fast doppelt so wichtig (84 Prozent) wie vielfältige Sportmöglichkeiten (45 Prozent) oder ausgebaute Wanderwege (49 Prozent). Zum Urlaub gehört die ansprechende, die anheimelnde, die stimmungs- und anregungsreiche Atmosphäre.

3. „Where it is clean": Sauberkeit ist selbstverständlich.

Auch im Urlaub herrscht Ordnung und Sauberkeit: Was Europäer im einzelnen auch unter „proprete" (F) oder „goede hygiene" (NL) verstehen mögen, die Sauberkeit des Ferienorts und der Ferienunterkunft gehört fast zur ersten Urlaubspflicht. Österreicher (59 Prozent) und Deutsche (58 Prozent) stellen in dieser Beziehung die höchsten, Holländer (22 Prozent)

die geringsten Ansprüche. Was sich allerdings qualitativ hinter diesen Ansprüchen verbirgt, unterliegt weitgehend der ebenso länderspezifischen wie subjektiven Bewertung. 4. „Ensoleille": Die Sonne muß scheinen.

Europäer erwarten im Urlaub „Sonnengarantie". Aus der Sehnsucht nach Sonne machen sie einen Anspruch auf Sonne. Schlechtes Wetter wird von ihnen nicht mehr schicksalhaft hingenommen. Als größte Sonnenanbeter erweisen sich die Franzosen (62 Prozent), am wenigsten Wert legen die Dänen (neun Prozent) darauf.

Diese Einstellung beeinflußt auch die Auswahl der Reiseziele. Für die Dänen sind Norwegen, Finnland und Schweden attraktiver als Italien oder Portugal, für die Franzosen kommen im Urlaub fast nur Sonnenziele - vom eigenen Land bis zur Karibik und den USA - in Frage.

5. „Climat sain": Das Klima muß gesund sein.

Nicht überall kann die Sonne scheinen, von den gesundheitlichen Folgeerscheinungen starker Sonnenbestrahlung ganz abgesehen. Sonnenbräune wird ihren Wert als Statussymbol so schnell nicht verlieren, aber zunehmend setzt sich in Europa die Erkenntnis durch, daß intensives Sonnenbaden zum Gesundheitsrisiko wird. Ein gesundes Klima kann im Urlaub genauso wichtig sein wie Sonnenschein den ganzen Tag.

Deutsche (51 Prozent) und Österreicher (44 Prozent) sind Vorreiter des neuen Gesundheitsbewußtseins. Beide schätzen mittlerweile den Urlaubswert eines guten Klimas sogar höher ein als die tägliche Sonnengarantie am Ferienort. 6. „Lekker eten": Die gute Küche gehört dazu.

Die Erholung geht durch den Magen. Gut essen können ist jedem zweiten Österreicher (52 Prozent) im Urlaub wichtiger als Baden, Shopping, Wandern oder Sporttreiben.

Auch für die Deutschen (48 Prozent) gehört das Kulinarische zu einem gelungenen Urlaub. Für die übrigen Europäer ist gutes Essen im Urlaub sicher wichtig, kann aber die heimische Küche nicht ersetzen. Für sie gilt eher der Grundsatz: Exotischer Genuß statt alltägliche Sättigung. Im Urlaub und auf Reisen möchte man „anders" essen und trinken als zu Hause. Einfachheit ist genauso gefragt wie Exklusivität.

7. „Silence - peu de tra-fic": Viel Ruhe und wenig Verkehr.

Der Europäer will im Urlaub auf Verkehrsmittel wie Auto und Flugzeug nicht verzichten, aber von Verkehrslärm möglichst verschont bleiben: Problemlosreisen, viele Ruhe, wenig Verkehr - vor allem Deutsche (44 Prozent) und Österreicher (40 Prozent) stellen diese Forderung auf. Vielleicht ein erstes Signal für autofreie Feriengebiete der Zukunft?

8. „Environnement typi-que": Die Umgebung muß landestypisch sein.

Ausflüge, „Sightseeing" und die Erkundung der Umgebung gehören zum Ritual vieler Urlaubsreisender. Doch die Besichtigung muß sich auch lohnen: Engländer erwarten „a lot of sightseeing" (29 Prozent) und die Niederländer eine „typische omgeving" (23 Prozent). Besonders stark sind die Franzosen und Deutschen an einer landestypischen Umgebung interessiert (jeweils 35 Prozent). Ein Urlaubsort muß viele lokale Attraktivitäten bieten, um Urlaubsgäste halten oder neue gewinnen zu können.

9. „The possibility of bathing in the sea or lake": Man muß im Meer oder See baden können.

Ein Swimmingpool oder Schwimmbad kann das Baden im offenen Meer oder See nur bedingt ersetzen: Es fehlt das Gefühl der räumlichen Weite und freien Sicht. Zum Urlaub gehört dieses Erleben von Freiheit, damit man „aus sich herausgehen" kann. Österreicher (45 Prozent) und Deutsche

(40 Prozent) legen auf die Bademöglichkeit im Meer oder See deutlich mehr Wert als andere Europäer. 10. „Restauranter, cafer, puber": Es muß attraktive Orte zum Ausgehen geben.

Auch der Urlaubstag hat seinen Feierabend. Doch mehr als im Alltag zu Hause sind im Urlaub Restaurant-, Cafe- und Kneipenbesucne gefragt.

Es gibt kaum einen Bereich, der im europäischen Verhalten so große Unterschiede zeigt, wie das Ausgehverhalten im Urlaub. Während sich Franzosen (zwölf Prozent) und Niederländer (zehn Prozent) in dieser Beziehung äußerst zurückhalten, wollen die Dänen von Kneipenbesuchen einen fast exzessiven Gebrauch (66 Prozent) machen. Wenn die Europäer auch nur annähernd das verwirklichen, was sie als Erwartung an den Urlaub formulieren, dann böte sich, ins Bild gesetzt, folgende Urlaubsszenerie: Einem Franzosen und einem Holländer, zwei Engländern, zwei Deutschen und zwei Österreichern würden in einer Kneipe sechs Dänen gegenüberstehen...

Diese zehn Hauptmerkmale kennzeichnen den Qualitätstourismus im neuen Europa: Eine Mischung von Atmosphärischem und Ästhetischem, Wärme und Weite, Attraktivem und Kulinarischem. Dabei weisen erwartungsgemäß Deutsche und Österreicher große Übereinstimmungen in ihren Anschauungen auf. Die Holländer geben sich in ihren Ansprüchen an den Urlaub relativ bescheiden, während die Dänen im europäischen Vergleich eine fast exponierte Stellung einnehmen: In ihrer Einstellung entsprechen sie am wenigsten dem „statistischen Durchschnitts-Europäer".

Die Befragung förderte auch drei überraschende Ergebnisse zutage:

1. Europäer im Urlaub kennen kaum Sprachprobleme. Für 83 Prozent der befragten Europäer ist es nicht wichtig, ob auch die eigene Sprache im Urlaubsland verstanden wird.

2. Sie kennen kaum Umweltprobleme. Rund 80 Prozent aller befragten Europäer halten die Umweltfreundlichkeit eines Ferienortes nicht gerade für wichtig. Lediglich für jeden dritten Deutschen (33 Prozent) sind umweltfreundliche Bedingungen „persönlich entscheidend" bei der Auswahl des Urlaubszieles; die umweltbewußte Anhängerschar bei den Holländern (14 Prozent) oder Dänen (vier Prozent) ist deutlich geringer.

Die Tourismusentwicklung im neuen Europa kann als politischer Fortschritt gefeiert werden, im Hinblick auf die Umweltdiskussion könnte sie aber auch Rückschritt bedeuten: Die wirtschaftliche Wettbewerbssituation könnte die Umweltproblematik in den Hintergrund drängen. Und die im europäischen Vergleich hohe deutsche Umweltmoral würde dann in der touristischen Entwicklung der nächsten Jahre eher dem alten biblischen Spruch gleichen: „Wasser predigen - und Wein trinken".

3. Sie kennen kaum Geldprobleme. Über drei Viertel der befragten Europäer legen auf eine preiswerte Unterkunft leeinen besonderen Wert. Auch in Rezessionszeiten gilt offenbar: Am Urlaub wird zu allerletzt gespart; lieber auf eine Reise verzichten, als sich im Urlaub spürbar einschränken müssen. Lediglich die Deutschen und Österreicher weichen davon ab: 43 Prozent der Österreicher und 47 Prozent der Deutschen wollen billig in die Ferien fahren und halten eine „preiswerte Unterkunft" für unverzichtbar. Sinkende Realeinkommen zwingen dazu, im Urlaub den Gürtel enger zu schnallen.

Der Autor ist Leiter des B.A.T Freizeitforschungsinstitutes in Hamburg. "Die Ergebnisse der Repräsentativbefragung wurden kürzlich bei der,.Reisen "-Ausstellung in Hamburg präsentiert.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung