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Entdämonisierung des Todfeindes

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In Washington wurde an diesem Montag das Gaza-Jericho-Abkommen zwischen Israel und der PLO unterzeichnet und durch Handschlag zwischen Premier Rabin und Jassir Arafat bekräftigt. Damit erfährt die Geschichte kein Ende, sondern nimmt das „Drama der Geschichte" (Bill Clinton) einen neuen Anfang.

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In Washington wurde an diesem Montag das Gaza-Jericho-Abkommen zwischen Israel und der PLO unterzeichnet und durch Handschlag zwischen Premier Rabin und Jassir Arafat bekräftigt. Damit erfährt die Geschichte kein Ende, sondern nimmt das „Drama der Geschichte" (Bill Clinton) einen neuen Anfang.

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Eigentlich drehte sich der ganze Jahrhundertkonflikt in Israel/Palästina um die Beziehungen zwischen beiden Völkern. Die zionistischen Bemühungen zur Lösung der , jüdischen Frage" durch Einwanderung, Besiedlung und Staatsgründung waren mit den Interessen der einheimischen arabischen Bevölkerung unvereinbar; sie mußten daher gegen deren Willen und unter Umgehung ihrer politischen Führung durchgesetzt werden. Gegenseitige Anerkennung war so lange ausgeschlossen, als israelischerseits eine Infragestellung der eigenen Existenz und Identität sowie palästinensischerseits die Legitimierung der fortgesetzten Entwurzelung befürchtet werden mußte. Im Bewußtsein wurden die Bedrohungsbilder dogmatisiert und der jeweilige Gegner dämonisiert.

Die PLO wurde Mitte der sechziger Jahre gegründet, sie war ein Kind nicht des 1967er, sondern des 1948er Krieges. Sie versuchte ursprünglich die Folgen der israelischen Staatsgründung (hauptsächlich die Diaspora-Existenz der Flüchtlinge) und nicht nur die Besetzung von Westbank und Gaza rückgängig zu machen. Nach 1967 entwickelte sich dann eine Konfrontation mit dem real existierenden Zionismus, mit der neuen israelischen Realität. Daraus ergaben sich Konzeptionen, die diese Realität entsprechend dem Kräfteverhältnis in Kauf nahmen. Ab Mitte der siebziger Jahre schwebte der PLO eine Zwei-Staaten-Konstruktion vor, wenn nicht als .Lösung", so doch als erstrebenswertes Etappenziel. Für die israelische Seite beinhaltete die Gewährung von Souveränitätsrechten an Palästinenser sowohl eine ideologische Un-

möglichkeit, als auch eine praktische Gefahr. Der Preis dieses circulus vitiosus war die Fortdauer des Konflikts.

1987 begann die Intifada. Sie war weniger praktisch als symbolisch erfolgreich. Die Existenz und Opferbereitschaft eines palästinensischen Volkes - unabhängig vom Monster PLO - wurde Bestandteil des israelischen Bewußtseins. Die Intifada machte die Zwei-Völker-Dimension des Konflikts deutlich. Bisherige Antworten erwiesen sich als unzureichend. Im Juni 1992 wurde Schamir abgewählt und eine Koalition unter Rabin kam in Jerusalem an die Macht. Einerseits mußte die neue Regierung der rechten Opposition gegenüber ihren .Patriotismus" nachweisen (Ausweisung der Hamas-Aktivisten, Abriege-lung der Gebiete und anderes), andererseits erforderte die enge Koordination mit den USA größere Flexibilität im Friedensprozeß, der auf amerikanische Initiative in Madrid (Oktober 1991) „begonnen" hatte.

Palästinensische Hoffnungen in die Regierung Rabin wurden zunächst enttäuscht. Da es zu keiner realen Verbesserung der Lebensverhältnisse in den besetzten Gebieten kam (im Gegenteil!) erlitt die von der PLO getragene Verhandlungsdelegation nach zehn erfolglosen Runden einen fatalen Popularitätsverlust. Im Bewußtsein, daß auf die Regierung Rabin nichts Besseres folgen könne, hielt die PLO jedoch an ihrer Strategie fest. Der israelischen Seite wurde nun bewußt, daß auch auf Arafat nichts Besseres folgen würde. Die Notwendigkeiten der Fortsetzung des Friedensprozesses brachten vor allem Außenminister Peres dazu, explizit anzuerkennen, was implizit sowieso schon klar war Israel verhandelt mit der PLO. Dieser Anerkennungsprozeß war von großer symbolischer Bedeutung - ging es doch um nichts weniger als die Entdämonisierung des traditionellen Todfeindes. Die gemeinsame Grundsatzerklärung über Selbstverwaltung zeichnet sich weniger durch ihre Substanz als durch ihren „Geist" aus. Erstmals waren die offiziellen Vertreter Is-

raels und der Palästinenser bereit, ihre „beiderseitigen legitimen und politischen Rechte anzuerkennen und danach zu streben, in friedlicher Koexistenz und wechselseitiger Achtung und Sicherheit zu leben".

Obwohl das Abkommen mit Israel durch wichtige Gremien der PLO genehmigt wurde, stehen doch große innere Auseinandersetzungen bevor. Fatah - die größte und von Arafat geführte Teilorganisation, 1959 in Kuweit gegründet - spielt noch immer die Hauptrolle in der Bewegung. Sie zeichnet sich durch einen langen Kampf um die Unabhängigkeit -auch von arabischen Staaten - aus.

Die Gegner kann man in zwei Lager teilen: Nationalisten und Islamisten. Diese gibt es wiederum innerhalb und außerhalb der PLO. Die direkt von arabischen Regimen (besonders Syrien) abhängigen Gruppierungen können nur mit beschränkter Popularität und Anziehungskraft rechnen. Die traditionellen Links-Fraktionen Volksfront und Demokratische Volksfront verfügen jedoch über einen substantiellen Anhang in den besetzten Gebieten, besonders unter Intellektuellen. Ihnen ist jedoch auch eine „konstruktive" Opposition zuzutrauen, obwohl sie oft einem moralisierenden und manichäischen Weltbild anhängen, das wenig Vertrauen in die Dynamik von Prozessen und wenig Bereitschaft zum Eingehen von Risikos erlaubt.

In einer anderen Welt leben die Islamisten von der Hamas-Bewegung, die auch mit einem palästinensischen Nationalismus wenig zu tun haben wollen. Sie sehen sich als Stoßtrupp gegen einen westlichen Kreuzzug und lehnen jegliche Vorstellung einer Koexistenz mit Israel ab. Wie sich schon gezeigt hat, werden diese Kräfte versuchen, durch Attentate sowohl Israelis als auch Palästinenser gegen den laufenden Friedensprozeß aufzubringen. Ihr Spielraum wird jedoch davon abhängen, inwieweit die palästinensische Autonomie zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen führt, beziehungsweise inwieweit die neuen palästinensischen Polizeikräfte in der Lage sein werden, diesem Treiben entgegenzuwirken.

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