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Entföhrungs-GmbH läßt grüßen!

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Allein in Peru gab es im vergangenen Jahr 243 offiziell registrierte Entführungen. Wer steckt dahinter? Die Polizei beschuldigt linke Guerillas, aber auch Söhne aus „gutem Haus“.

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Allein in Peru gab es im vergangenen Jahr 243 offiziell registrierte Entführungen. Wer steckt dahinter? Die Polizei beschuldigt linke Guerillas, aber auch Söhne aus „gutem Haus“.

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Was Anfang April des Jahres die Öffentlichkeit in der mittelamerikanischen Republik El Salvador noch aufschreckte, regt besonders in Ländern wie Kolumbien und Peru kaum noch jemanden auf. Gemeint ist die zunehmende Anzahl von Entführungen, die sowohl von rein kriminellen Kräften durchgeführt werden als auch von jenen, die meinen, ihr politisches Anliegen rechtfertige derartige Aktionen. Sowohl die kriminellen Entführer als auch die politisch motivierten Kidnapper verlangen für die Freilassung ihrer Opfer hohe Summen, wobei die linken Guerillagruppen ihren Forderungen immer noch eine „politische“ Komponente hinzuzufügen verstehen.

Zurück zu El Salvador. Dort hatte Staatspräsident Jose Napo-

leon Duarte vor der Wahl der Bevölkerung versprochen, die Regierung werde untersuchen, wer hinter der zunehmenden Zahl von Entführungen stehe. Da die Kidnapper häufig Fotos ihrer Opfer vor einer roten Fahne oder einer Parole aus dem Sprachbereich der marxistischen Guerilla an die Angehörigen der Entführten schickten, vermuteten die Sicherheitsorgane lange Zeit, daß in der Tat linke Kreise hinter den Aktionen stünden. Groß war deshalb die Überraschung, als sich herausstellte, daß Kriminelle aus dem rechten politischen Lager für einen Großteil der Entführungen verantwortlich waren. Ein ehemaliger Leutnant der Armee, Isidor Lopez Sibriän, der engste Verbindungen zur rechtsradikalen ARENA-Partei unterhält, entpuppte sich als zentrale Figur der „Entführungsindustrie“.

Was aber die Öffentlichkeit in diesem mittelamerikanischen Staat besonders beschäftigt, ist die Tatsache, daß Lopez Sibriän und seine Freunde lediglich aus Geldgier Schindluder mit der Angst der Menschen getrieben haben.

Die Opfer wurden häufig monatelang in kleinen Verstecken unter unmenschlichen Bedingungen gehalten. Ab und zu wurde dann ein Foto vor dem bekannten Hintergrund geknipst, das man dann den Angehörigen mit entsprechenden Geldforderungen zuschickte. Auf diese Art haben der Leutnant und seine Freunde in den letzten drei Jahren nach Aussage der Polizei runde fünf Millionen Dollar erpreßt. Die Polizei weiß zu berichten, daß seit 1971 in El Salvador etwa 20 Millionen Dollar an Lösegeldern von Kidnappern kassiert worden sind. In dieses Geschäft seien durchaus Angehörige der Sicherheitsorgane verwickelt gewesen, die unter früheren diktatorischen Regierungen ihr Unwesen ungestraft treiben konnten. Daß sich dies geändert hat, bestätigte unlängst der stellvertretende Minister für Sicherheitsfragen, Oberst Rey-naldo Lopez Nuila, als er darauf hinwies, daß die christdemokratische Regierung Duarte 3500 Mitglieder der Sicherheitsorgane wegen moralischer Einwände entlassen und 900 davon sogar in Untersuchungshaft genommen habe. Ihre mögliche Verwicklung in kriminelle Taten solle geklärt werden.

Schlimmer, als sich die Lage in El Salvador darstellt, ist sie vor allem in Kolumbien und Peru. Die

peruanische Presse stellte Ende April fest, daß die „Entführungsindustrie“ inzwischen fast so lohnend wie der Rauschgifthandel geworden sei. Peruanische Kidnapper, unter denen sich ebenfalls ehemalige und gar noch aktive Polizisten befinden sollen, haben sich auf die Entführung von Kindern wohlhabender Eltern spezialisiert. Sie lassen ihre Opfer wieder frei, wenn die Eltern zwischen 200 und 700 US-Dollar zahlen, was selbst für eine wohlhabende peruanische Familie sehr viel Geld ist. Das Berufsrisiko der Gangster ist recht gering: sie entführen ihre drei- bis siebenjährigen Opfer auf dem Weg in die Schule oder in den Kindergarten. Peruanische Zeitungen haben gemeldet, daß im vergangenen Jahr offiziell 243 Entführungen stattgefunden haben — wie viele Fälle nicht der Öffentlichkeit bekannt wurden, kann nur vermutet wer-

den.

Welche Blüten das Unwesen treibt, zeigt sich daran, daß potentiell entführungsverdächtige Familien eine „Schutzgebühr“ zahlen, um Unheil abzuwenden. Die Methode ist von der italienischen Mafia abgeschaut worden, die ebenfalls eine „Schutzgebühr“ kassiert. Das geht dann wie folgt vor sich. Ein zu erpressendes Opfer wird von seinen potentiellen Entführern aufgesucht und über

die Chancen, gekidnappt zu werden, aufgeklärt. Fast jedes potentielle Opfer entschließt sich so leicht, sich mit Geldzahlungen Ärger vom Halse zu halten. Die peruanische Polizei glaubt, daß nur rund 20 professionelle Kidnapper am Werk sind, weiß aber

auch nicht allzuviel über die wirkliche Zahl.

Ganz besonders brutal geht es in Kolumbien zu. Dort wird das ganze Geschehen durch die engen Verbindungen zwischen kleinen und größeren Ganoven einerseits und der Rauschgiftmafia in Verbindung mit der marxistischen Guerilla andererseits völlig undurchsichtig. Die Sicherheitsbehörden des Landes hatten lange Zeit kaum Durchblick - erst seit neuestem gelingen der Polizei Gegenschläge. Die Sicherheitsorgane haben sich dazu entschlossen, nicht mehr lange zu fackeln. Bei diversen Befreiungsaktionen sind zwischen Mitte März und Mitte April dieses Jahres mindestens zehn Kidnapper erschossen worden; fünf Entführungsopfer konnten ihren Familien lebend übergeben werden. Inzwischen haben in Kolumbien dubiose Gestalten die Aufmerksamkeit er-

regt, die als „Vermittler“ zwischen den Familien entführter Menschen und Kidnappern auftreten — und zwar auf Provisionsbasis! Viele Familien, aus deren Mitte ein Mitglied entführt wurde, meiden die Polizei, weil sie der Ansicht sind, daß diese die Freilassung ihrer Lieben eher behindern könnte.

Kolumbianische Sicherheitsexperten wissen zu berichten, daß sich besonders Mitglieder diverser Guerillaorganisationen mittels Entführungen bereichern. Oberst Miguel Maza, Chef einer Abteilung des Departamento Administrativ de Seguridad (DAS), meinte unlängst, die „Entführungsindustrie“ werde von den marxistischen Guerillagruppen ELN (Ejercito Liberaciön Nacional) und M-19 kontrolliert. In Kolumbien ist bekannt, daß diese Terroristen Lösegelder in Millionenhöhe kassieren - unter anderem auch von ausländischen Großfirmen, die in Kolumbien tätig sind und die für die Freilassung ihrer entführten Mitarbeiter horrende Summen zahlen. Inzwischen sind einige Firmen derart verunsichert, daß sie an den Abbruch ihres Engagements in Kolumbien denken. Die Guerüla kann sich dann eines besonderen Erfolges rühmen, denn ihr geht es unter anderem darum, technischen Fortschritt zu verhindern, weil sie glaubt, daß eine verarmende Gesellschaft leichter umzukrempeln ist als eine, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft hat.

Kopfzerbrechen bereitet den kolumbianischen Sicherheitsexperten die Tatsache, wonach zunehmend Söhne und Töchter aus sogenanntem „guten Hause“ sich an der ..Entführungsindustrie“ beteiligen. Offenbar reizt das „schnelle und leichte“ Geld. Die Kidnapper fordern meist Dollar als Lösegeld. Die zu zahlende Summe ist anfangs immer besonders hoch, wird aber dann im Verlauf der „Verhandlungen“ mit den Familien der Opfer entgegenkommenderweise verringert. Psychologen stellen fest, daß die Familien sogar ein Dankesgefühl gegenüber den Entführern entwickeln, wenn diese sich herunterhandeln lassen.

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