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Entheroisiert - nicht demontiert

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Daß die Bibel eine schier unerschöpfliche Quelle für dramatische Geschichten, konfliktgeladene Themen und psychologisch reizvolle Figuren ist, haben auch schon früher Maler, Dichter und Dramatiker dankbar zu nutzen gewußt. Nun lud das Bochumer Schauspielhaus zur Uraufführung eines Stük- kes, das schlicht „Die Bibel“ heißt und statt eines Verfassernamens lediglich den Hinweis „Gruppenprojekt“ trägt. Die Bochumer durften also von vornherein mit einem gesteigerten, wenn auch etwas skeptischen Interesse beim Publikum und bei der Kritik rechnen. Denn war nicht schon ein Max Reinhardt bei seinem Versuch gescheitert, die Bücher Moses“ zu einem monumentalen Broadway-Bühnenspektakel aufzubereiten, obwohl ihm doch damals Mitarbeiter wie Kurt Weill und Franz Werfel zur Seite standen?

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Daß die Bibel eine schier unerschöpfliche Quelle für dramatische Geschichten, konfliktgeladene Themen und psychologisch reizvolle Figuren ist, haben auch schon früher Maler, Dichter und Dramatiker dankbar zu nutzen gewußt. Nun lud das Bochumer Schauspielhaus zur Uraufführung eines Stük- kes, das schlicht „Die Bibel“ heißt und statt eines Verfassernamens lediglich den Hinweis „Gruppenprojekt“ trägt. Die Bochumer durften also von vornherein mit einem gesteigerten, wenn auch etwas skeptischen Interesse beim Publikum und bei der Kritik rechnen. Denn war nicht schon ein Max Reinhardt bei seinem Versuch gescheitert, die Bücher Moses“ zu einem monumentalen Broadway-Bühnenspektakel aufzubereiten, obwohl ihm doch damals Mitarbeiter wie Kurt Weill und Franz Werfel zur Seite standen?

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Um es vorwegzunehmen: man erlebte in Bochum eine ebenso verwirrende wie faszinierende Bilder- und Szenenfolge, in der die Erzählungen des Alten Testaments mit ständig wechselnden stilistischen Ausdrucksmitteln dargestellt und kontrastreich aneinandergereiht waren.

Franz Marijnen, der junge Regisseur aus Rotterdam, besitzt ohne Zweifel eine ausgesprochen visuelle Begabung. Und seine Neigung zum Grotesken und Expressiven verrät den Einfluß von Jerzy Grotowski, bei dem er einige Lehrjahre in Breslau verbrachte. Für ihn war die biblische Vorlage zunächst einmal das ergiebige Rohmaterial für effektvolle theatralische Wirkungen. Und um diese zu erreichen, bediente er sich in komödiantischer Unbekümmertheit aller denkbaren Stilmittel: vom Rezitativ bis zur tänzerisch akzentuierten Chorkantate, vom leisen Monolog vor dem Vorhang bis zum Schlachtgetümmel, von der suggestiven Gruppenpantomime bis zur Operettenparodie.

Wahrscheinlich hinterließen deshalb auch bei anderen Zuschauern gerade jene Episoden den stärksten Eindruck, die Marijnen ganz einfach nur in schöne Büder und rasante Bewegungsabläufe umgesetzt hätte. ‘Dabei gelangen ihm und Bühnenbildner Jean-Marie Fievez - und zwar mit den einfachsten technischen Mitteln! - optische Wirkungen von grandioser Schönheit: Bilder, die das Publikum jedesmal zu Begeisterungsstürmen hinrissen. Riesige weiße Stoffbahnen, die über die leere, dunkle Bühne flattern, suggerieren dem Zuschauer die Wüste Sinai, durch die die zerlumpten, verhungerten Israeliten im Sandsturm gen Ägypten ziehen. Als eine unüberwindbare Wasserwand stellt sich ihnen dann bei ihrer Rückkehr das Rote Meer in den Weg - dank einer über die ganze Bühnenbreite gelegten Wasserorgel, deren sprudelnde Fontänen Stammvater Moses natürlich mit lässigster Gebärde auf- und niedersteigen lassen kann. Und einfachste Treppenelemente genügen, um den Turmbau von Babel als ein Abbild des Wahnwitzes und sinnloser Hektik zu inszenieren.

Zwiespältiger wird es für den Kritiker allerdings, wo es dem Regisseur mehr um eine „zeitgemäße Interpretation“ als um die bloße Illustrierung seiner Vorlagen ging. Gemäß der Vorstellung, daß eine Figur wie Hamlet für uns heute schon dadurch vertrauter und verständlicher wird, daß man sie in Jeans auf die Bühne schickt, betreibt auch Marijnen mit seinen Bibelhelden allerlei fragwürdigen Mummenschanz. Etwa, wenn er Salome - übrigens die einzige Figur aus dem Neuen Testament, die sich in diesen Abend verirrt hat! - zur männerfressenden Hollywood-Diva „umfunktioniert“, oder in Judith eine rasende Nymphomanin sieht, die ihren Holofernes keineswegs aus Patriotismus, sondern aus Wut über seine Impotenz enthauptet.

In einem völlig neuen Licht sollen wir nun wohl auch den Propheten He- sekiel sehen: als einen exzentrischen, neurotischen Dandy, der seine wüsten Prophezeiungen einer Sekretärin diktiert, um seine aufgestauten sadomasochistischen Neigungen wenigstens verbal abreagieren zu können. Das Duell zwischen David und Goliath wiederum erleben wir als Fernsehübertragung eines Boxkampfes, mit aufpeitschendem Reporterkommentar und köstlichen, perfekt gespielten Playbacks. Natürlich kann David den überlegenen Schwergewichtler Goliath nur durch einen unfairen Trick besiegen: Erjagt ihm einfach ein Stilett in den Bauch.

Marijnen, der ursprünglich Priester werden wollte, bevor er sich endgültig für das Theater entschied, sucht die alttestamentarischen Helden nur in ihrer historischen Rolle und in ihrer sittengeschichtlichen Bedeutung zu entheroisieren, demontiert sie aber nicht. Man kann vielleicht die Nase darüber rümpfen, daß einige seiner Späße gelegentlich in die Nähe von bü- ligem Klamauk geraten, aber wirkliche Glaubensinhalte werden mit dieser Art von „Entmythologisierung“ noch keineswegs in Frage gestellt. Betroffener mochten sich einige Zuschauer dagegen durch die pessimistische Grundstimmung der ganzen Aufführung fühlen, die in einigen Figuren und Bildern geradezu schon Beckett- sche Züge trägt. Etwa in der Figur des armen Hiob, den er als einen an seinen Rollstuhl gefesselten Krüppel immer wieder auf die Bühne schieben läßt. Schweigend und apathisch läßt dieser die hohlen, zu leeren Redensarten heruntergekommenen „frommen Sprüche“ seiner bigotten Frau über sich ergehen, mit denen sie ihn auch gar nicht trösten,- sondern nur verhöhnen und quälen will. Erst am Schluß bekennt Hiob mit fast tonloser Stimme, daß er schon seit langem jede Hoffnung aufgegeben - also auch jeden Glauben verloren hat. Und damit ist natürlich in erster Linie sein Glaube an Gott Jahwe gemeint.

Anders als in der biblischen Vorlage tritt Gottvater hier in Bochum niemals selbst in Erscheinung oder in Aktion, um selbst in die Geschicke seiner auserwählten Kinder einzugreifen. Auch der alte König Salomon muß sich mit einem Taschenspielertrick behelfen, wenn er aus Einsamkeit wieder einmal das Verlangen hat, mit „seinem“ Gott Zwiesprache zu halten: er steckt sich eine Kasperlpuppe als Gesprächspartnerersatz auf die Hand und gibt sich - mit Bauchrednerstimme - selber die erwünschten Antworten. Die pessimistische Tendenz dieses Büdes wird in der Schlußszene noch gesteigert, zu einem Bild der absoluten Sinnlosigkeit, und nicht zufällig stammen die wenigen Dialogsätze dieser Szene nicht aus der Bibel, sondern aus Bek- kett-Stücken.

Müde und teilnahmslos beginnen die Schauspieler ziellos auf der Bühne umherzuirren. Welcher Weg zu dem Land führt, „wo Milch und Honig fließen“, das weiß keiner von ihnen. Sie wissen nur das eine: „Hier können wir nicht bleiben.“ Erst nach längerem Umherirren gelangen sie zu einem dunklen Tor im Hintergrund der Bühne, vor dem sie sich apathisch in einer langen Schlange aufstellen, um dann, wiederum nach langem Warten, wie auf einen geheimen Befehl hin, ihre letzten Habseligkeiten abzustellen, ihre Kleider abzulegen und in dem dunklen Tor zu verschwinden, hinter dem sicherlich auch sie schon längst nicht mehr das Paradies erwarten. Es gab wohl keinen, der bei diesem deprimierenden Bild nicht automatisch an die Gaskammern von Auschwitz und an die geduldig davor wartenden nackten Opfer dachte.

Erst lange, nachdem der Vorhang gefallen war, setzte ein zaghafter Beifall ein, der aber schnell wieder von der allgemeinen Betroffenheit erstickt wurde. Und das Schweigen, mit dem die Zuschauer den Saal verließen, war sicherlich auch die beste Art, sich bei den Beteiligten für diese alles in allem doch sehr eindrucksvolle Aufführung zu bedanken.

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