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Entmy thologisier ung ?

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Der Verlag Otto Müller hat im Juni dieses Jahres das Werk Karl Prümms „Gnosis an der, Wurzel des Christentums, Grundlagenkritik der Entmythologisierung“ (Verlag Otto Müller, Salzburg, 1972, S. 720) herausgebracht. Karl Prümm ist wahrscheinlich der bedeutendste katholische Religionswissenschaftler der Gegenwart und ebenso anerkannter Bibelwissenschaftler. Sein ganzes Lebenswerk bewegte sich um die Grundlagen des Christentums und um die Erforschung der heidnischen Umwelt in den ersten christlichen Jahrhunderten sowie ihres Einflusses auf das Christentum.

„Entmythologisierung“ ist eines der häufigsten Schlagworte im religiösen und kirchlichen Raum geworden. Der nächstliegende Grund dafür ist in dem Lebenswerk Rudolf Bultmanns, des bedeutendsten evangelischen Bilbelwissenschaftlers der letzten Jahrzehnte, zu suchen. Der Einfluß Bultmanns hat nicht bloß die gesamte protestantische Theologie, sondern auch die katholische Theologie ungemein stark in Bewegung gebracht. Karl Prümm führt nun in dem genannten Werk als Gelehrter gleichen Ranges ein Gespräch mit Rudolf Bultmann, in dem der „Entmythologisierung“ bis auf die letzten Wurzeln nachgegangen und die Tragfähigkeit der Thesen Rudolf Bultmanns kritisch beleuchtet wird.

Worin liegt das Problem der Ent-mythologisierungsthese? Zwei Fragenkreise greifen bei ihr ineinander: 1. Wie sind die Schriften des Neuen Testamentes entstanden? Inwieweit haben außerjüdische Einflüsse auf sie eingewirkt? Das ist die Frage der Bibelkritik, die heute ihren Schwerpunkt in der Redaktionsgeschichte und in der formgeschichtlichen Methode, die biblischen Texte zu erklären, hat.

2. Welche Einflüsse haben auf die Entstehung des Urchristentums in seiner uns in den Quellen vorliegenden Form eingewirkt? Diese zwei Fragenkreise greifen natürlich eng ineinander.

Prümm sucht nun das Werk Rudolf Bultmanns im Gesamtzusammenhang und aus den Wurzeln seiner Entstehung zu erklären. Er begegnet dabei seinem evangelischen Kollegen mit voller Objektivität und mit Respekt. Er anerkennt die Bemühungen und Leistungen, was Rudolf Bultmann seinerseits wieder damit erwidert, daß er, obwohl schon erblindet, sich das Werk Pümms Abschnitt für Abschnitt vorlesen läßt, wie Rudolf Bultmann Karl Pümm in einem Brief mitgeteilt hat.

Karl Prümm läßt auf vielen Seiten seines Werkes darüber keinen Zweifel, daß er an die Prüfung der Thesen Rudolf Bultmanns mit dem katholischen Verständnis von Offenbarung und Tradition herangeht. Der Titel seines Werkes und noch deutlicher der Untertitel geben genau das Ziel des ganzen Werkes an. Nach Karl Prümm ist Rudolf Bultmann als evangelischer Theologe außerordentlich stark von der religionswissenschaftlichen Schule, die von Anfang an rationalistisch und offenbarungsfeindlich eingestellt war, beeinflußt. Nach den Aussagen dieser Schule wurde das Christentum schon in seinen Grunddokumenten, das heißt in den Schriften des Neuen Testamentes, durch heidnische Einflüsse verschiedenster Art überformt. Von da her kommt die Bultmannsche Unterscheidung zwischen Geschichte und dem Kerygma, das heißt zwischen dem, was im Auftreten Jesu wirklich geschehen ist, und dem, was darüber verkündigt wurde. Der Verkündigung über Jesus, d. i. das Kerygma, die Verkündigung, wie wir sie in den Schriften des Neuen Testamentes vorliegen haben, ist demnach schon eine Deutung des historischen Jesus und der Ereignisse, wie sie in den Evangelien geschildert werden. Bultmann geht nun den Wurzeln dieser Deutung nach und kommt zum Schluß, daß mythologisches Gedankengut in die urchristliche Verkündigung bereits Eingang gefunden hat und daß daher die Bibelkritik streng zu scheiden habe zwischen dem, was geschichtlich über Jesus ausgesagt werden kann, und dem, was im christlichen Kerygma tatsächlich ausgesagt wird. Er glaubt, sehr viele Uberkleidungen feststellen zu können. Bultmann will nun, da er den Glauben zu retten sucht, eine Scheidung zwischen dem, was aus den Quellen als wirklich historische Aussage über Jesus und von Jesus selbst, und dem, was mythologische Einkleidung ist, vollziehen. Die Erwiderung Karl Prümms führt nun nicht durch die Fülle von religionswissenschaftlichen Forschungsergebnissen, die von ihm kritisch beleuchtet werden, sondern zeigt vor allem auch auf, daß die Begriffe „Gnosis“, „Mythos“ nicht genügend geklärt sind und daß die These Rudolf Bultmanns von einer vorchristlichen Gnosis und deren Einfluß auf das Christentum nicht bewiesen werden kann.

Während die bisherigen katholischen Auseinandersetzungen mit der These Rudolf Bultmanns nur von Einzelfragen, zum Beispiel Auferstehung, Kindheitsgeschichte, Wunder, ausgegangen sind, geht Karl Prümm von der kritischen Untersuchung der Grundthese Rudolf Bultmanns aus, zeigt die Vielschichtigkeit des Problems und die Schwäche der Beweisführung auf. Deshalb ist die Lektüre dieses Werkes für den Theologen von größtem Interesse, weil er erst dadurch einen klaren Einblick in die Grundbegriffe Rudolf Bultmanns und seiner Beweisführung erhält. Das Forschungsergebnis, das Karl Prümm in seinem, Werk uns vorlegt, zeigt nun, daß auch bei Anwendung der modernen bibelkritischen Methode, wie Redaktionsgeschichte und formgeschichtliche Methode, kein Grund bestehe, die These Rudolf Bultmanns von einem frühgnostischen Einfluß auf das Christentum anzunehmen, ja, daß darin die große Gefahr liegt, die glaubensverbindliche Tradition in der kirchlichen Lehrverkündigung einfachhin zu vergessen.

So wird dem katholischen Theologen auch der Weg gewiesen, neuere exegetische Arbeiten besser beurteilen und verstehen zu können. Deshalb füllt das Werk Karl Prümms eine empfindliche Lücke in der katholischen Bibelwissenschaft aus. Es sei hier ganz besonders auch hingewiesen auf die ausgezeichneten Hilfen zur Lektüre dieses Werkes in der genauen Inhaltsangabe (Seiten 6 bis 10), im Personalregister (Seiten 673 bis 679) und im Sachverzeichnis (Seiten 680 bis 719).

Da das Entmythologisierungspro-blem nicht nur die neutestamentliche Wissenschaft, sondern auch die Verkündigung in Katechese und Predigt bereits tief beeinflußt hat, kommt dem Werk Karl Prümms auch trotz seiner strengen Wissenschaftlichkeit praktische Bedeutung zu. Es kann allen, die sich in Katechese und Verkündigung mit der Idee der Entmythologisierung auseinanderzusetzen haben, die Notwendigkeit größter Vorsicht vor Augen stellen. Interessant ist, was ein Autor, der eine traditionsgeschichtliche Untersuchung zu Mc 2, 1—12, anstellt, zu seinem Versuch sagt: „Es steht außer Frage, daß die Theologen des christlichen Altertums und Mittelalters eine Erzählung wie die hier zur Diskussion stehende als historische Einheit ansahen und sie auf ein in allen Einzelheiten so geschehenes Ereignis zurückführten. Dieser Standpunkt wurde von den Exegeten bis in die Zeit der Evangelienkritik hinein vertreten, und da sich diese Exegeten „in possessione“ befanden, auch nicht eigens begründet. Die Beweislast für das Gegenteil trägt faktisch auch heute noch der Bestreiter der Einheitlichkeit“ (Ingrid Maisch, Die Heilung des Gelähmten, Stuttgarter Bibelstudien Nr. 52, S. 21). Dasselbe gilt wohl auch für alle neueren Erklärungen einzelner Evangelienperikopen im Sinne der Entmythologisierungs-These Bultmanns. Sie sind erst dann annehmbar, wenn sichere Beweise erbracht werden. Es ist keineswegs die Absicht dieses Beitrages, eine Besprechung des fundamentalen Werkes Karl Prümms zu geben. Das müssen wir Berufeneren überlassen. Hat man sich aber die Mühe genommen, dieses Werk zu lesen, so kann man sich nicht dem Eindruck entziehen, daß das Werk Karl Prümms sehr viel dazu beitragen kann, die schon viele Christen bedrängende Unsicherheit über die historische Glaubwürdigkeit der Evangelien zu bannen, und daß man deshalb nur wünschen kann, daß dieses Werk in breiten Kreisen interessierter und vor allem mit der Verkündigung beauftragter Katholiken Beachtung finde.

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