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„Entscheidend ist das Erfordernis der Stunde“

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ig keit Österreichs in der Koalitionsregierung Voraussetzung ge wesen. Der Motor dieses Prozesses freilich war Julius Raab Sein persönliches Verdienst sollte in den kommenden Wochen da Österreich seiner Unabhängigkeit in Jubiläen gedenkt, mi aller Deutlichkeit festgehalten werden. Auch dann, wenn man zur Auffassung gelangt, daß die groß Koalition nach Erreichung des Staatsvertrages eigentlich bereit: ihren Todeskeim in sich trug.

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ig keit Österreichs in der Koalitionsregierung Voraussetzung ge wesen. Der Motor dieses Prozesses freilich war Julius Raab Sein persönliches Verdienst sollte in den kommenden Wochen da Österreich seiner Unabhängigkeit in Jubiläen gedenkt, mi aller Deutlichkeit festgehalten werden. Auch dann, wenn man zur Auffassung gelangt, daß die groß Koalition nach Erreichung des Staatsvertrages eigentlich bereit: ihren Todeskeim in sich trug.

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Drei Eigenschaften waren es vor allem, die den Menschen den P0Ü7 tiker und den Staatsmann Julius Raab geprägt haben.

Er war zeit seines Lebens ein überzeugter und innerlich gefestigter Christ und Katholik. Gerade deshalb, weil dieser Glaube fest in ihm gegründet und verankert war, war er immer ein stiller und bescheidener Christ. Er hat sein Christsein niemals zu Markte getragen oder womöglich gar zur Schau gestellt.

Di zweite Eigenschaft Julius Raabs war sein unbedingtes und kompromißloses österreicherturn. Hier gab es für ihn keine Kompromisse. Es hat nie auch nur eine einzige Stunde in seinem ganzen Leben gegeben, in der er an Österreich nicht geglaubt und in der er womöglich an Österreich verzagt hätte, auch nicht in den düstersten1 Stunden des 11. März 1938, als so manche gemeint hatten, nun sei das Ende Österreichs gekommen.

Die dritte Eigenschaft: Er war ein überzeugter Demokrat. Als einer, der in der Monarchie geboren wurde, der sodann im Ersten Weltkrieg seine schwere Pflicht für Gott, Kaiser und Vaterland zu erfüllen hatte, der dann mitansehen mußte, daß an das, was von Österreich-Ungarn übriggeblieben war, niemand so richtig glauben wollte, stellte er sich schon in jungen Jahren für eine Betätigung im öffentlichen Leben und in der Politik zur Verfügung. Dabei blieb auch ihm, wie so vielen anderen in der Ersten Republik, ja ich möchte fast sagen allen, die sich im öffentlichen Leben betätigen, ein Lernprozeß nicht erspart.

Wo gibt es denn wirklich einen, der in seinen jungen Tagen womöglich schon jenen Grad von Toleranz aufweist, zu dem man sich normalerweise erst nach vielen, manchmal recht bitteren, aber immer lehrreichen Erfahrungen durchringt? Das blieb uns allen nicht erspart. Warum sollte dieser Prozeß ausgerechnet einem Vollblutpolitiker wie Julius Raab erspart bleiben? Auch er mußte diesen Weg gehen und dabei manche Erfahrungen sammeln. Auch er hatte seinen Tribut zu leisten.

Mich beschäftigt, nicht erst seit heute, als einen, der von Julius Raab mehr oder weniger in die Politik geholt wurde und der in ihm immer seinen politischen Vater und seil politisches Vorbild gesehen hat, eir anderer Gedanke, ein, wie mii scheint, gerade in unseren Tager sehr naheliegender Gedanke: wa: würde uns Julius Raab heute sagen wenn er die Entwicklung Österreichs, vor allem aber die Entwicklung der österreichischen Innenpolitik, seit er uns verlassen hat miterlebt hätte. Welche Ratschlagt würde er uns geben?

Als er am 8. Jänner 1964 starb, befand sich die große Koalition, die nicht zuletzt auch sein Werk war in einer keineswegs beneidenswerten Situation. Er hatte, zuerst als Klubobmann mit Bruno Pittermanr als Kollegen und Widerpart, danr später, nachdem er seinem Freunc Leopold Figl als Bundeskanzlei nachgefolgt war, mit Adolf Schärt als Vizekanzler und Oskar Helmei als Innenminister alle Höhen unc Tiefen der großen Koalition miterlebt. Es war nicht immer ein leichtes Leben in dieser großen Koalition, wie wir aus seinem Munde hörten und wie wir aus eigenen Erfahrungen wissen. Es ist gerade einem Julius Raab nicht immer leichtgefallen oder leichtgemacht worden, immer wieder nach einem Ausgleich der Meinungen zu suchen und ihn letzten Endes auch zustande zu bringen.

Im Verkehr mit dem Koalitionspartner war es ja nicht so wie ab und zu in Gremien der eigenen Partei, daß nach langen Diskussionen der Vorsitzende Julius Raab feststellen konnte, daß die Diskussion wohl etwas ganz anderes ergeben habe, als seiner eigenen Auffassung entspreche; er betrachtete trotzdem die Angelegenheit als in seinem Sinne erledigt und entschieden — womit die causa finita war. Dazu gehörte ohne Zweifel eine starke Persönlichkeit und sehr viel Autorität — über die Julius Raab in der damaligen Zeit —■ keineswegs zum Schaden seiner Partei — fürwahr und Gott sei Dank verfügte.

Im Verhältnis der beiden Koalitionsparteien zueinander spielte selbstverständlich das Ansehen und d wAutorlie,^ieB ''ftegieruBgschefs eine beachtliche Rolle. Letzten Endes entschied jedoch nicht die Autorität eines Julius Raab, sondern ganz nüchtern und eigentlich selbstverständlich das Stärkeverhältnis der beiden Partner, wie es vom Wähler festgelegt worden war. Gerade in den Zeiten, da Julius Raab einer Koalitionsregierung vorstand, erwies sich jedoch etwas anderes als ein sehr beachtliches Faktum, daß nämlich nicht irgendwelche, noch so raffiniert ausgeklügelte Pakte und Vereinbarungen ein gutes und erfolgreiches Zusammenarbeiten garantieren, sondern in weitaus stärkerem Maße, wenn nicht ausschließlich, die persönlichen Beziehungen zwischen den führenden Männern an der Spitze der Regierung, somit zwischen dem Bundeskanzler und dem Vizekanzler. Ohne diese unumgängliche Voraussetzung ist eine erfolgreiche Zusammenarbeit zweier Parteien mit grundverschiedenen Auffassungen auf die Dauer nicht möglich. Das war in der Vergangenheit so das wird auch in künftigen Tagen nicht anders sein.

Ich weiß es aus so manchem Gespräch mit Julius Raab — unser letztes fand wenige Tage vor Weihnachten 1963 anläßlich eines Mittagessens im Hotel Sacher statt —, daß ihm die Entwicklung der Koalition nach Abschluß des Staatsvertrages bis in den Beginn der sechziger Jahre manche Sorge bereitete. Es konnte ihm als einem der Väter der großen Koalition nicht gleichgültig sein, als er feststellen und dann später miterleben mußte, wie die große Koalition mehr und mehr ihrer ureigensten Aufgabe, ein integrierender Faktor zu sein, verlustig ging, daß sie dieser Aufgabe untreu wurde und daß sie ihr infolge der Entwicklung der Zeit wahrscheinlich auch untreu werden mußte; dies nicht zuletzt deshalb, weil sie und nachdem sie die große Aufgabe, die ihr 1945 bis 1955 gestellt war, erfüllt hatte. An der Größe dieser Aufgabe wurde sie gemessen. Diese Aufgabe hatte vor allem darin, bestanden, .die' beiden großen politischen Lager Österreichs, die sich im Jahr 1934 mit der Waffe in der Hand bekämpft hatten, zu versöhnen, sie zusammenzuführen und sie einander näherzubringen, um sodann den Wiederaufbau gemeinsam in Angriff zu nehmen und Österreich die endgültige Freiheit und Unabhängigkeit zu bringen.

Julius Raab war ein viel zu kluger und erfahrener Politiker, als daß er nicht erkannt und gewußt hätte, daß damit die große Aufgabe der großen Koalition erfüllt war.

Nur dann ist das Wirken von Menschen und Institutionen sinnvoll und nur dann wird es auch von Erfolg begleitet sein, wenn sie echte Aufgaben vor sich haben, denen sie sich mit ganzer Kraft und aus voller innerer Überzeugung widmen können.

Vielleicht ist es heute müßig, darüber zu reden, ob es für die große Koalition nach Erfüllung ihrer großen Aufgabe eine neue faszinierende Aufgabe hätte geben können, ob dies vielleicht die Fortentwicklung der parlamentarischen Demokratie unter Berücksichtigung der Erkenntnisse, die wir mittlerweile gewonnen haben, hätte sein können und welche Rolle dabei etwa der koalitionsfreie Raum hätte spielen können.

Wir haben den Gang der Entwicklung seit dem Tode von Julius Raab nicht nur miterlebt, wir haben ihn weitgehend mitbestimmt.

Ich für meine Person bin zutiefst davon überzeugt, daß der Weg, den Österreichs Innenpolitik seit 1964 gegangen ist, eine durchaus logische und notwendige, ja geradezu eine zwangsläufige Fortentwicklung der parlamentarischen Demokratie in Österreich war.

Wie bereits gesagt — die große Koalition hatte ihre Aufgabe erfüllt. , Mit der Alleinregierung der ÖVP wurde bewiesen, daß das Demokratieverständnis der Österreicher in den Jahren der großen Koalition von 1945 bis 1966 beachtlich gewachsen war. Es brauchte niemand mehr Angst zu haben, es könnte je wieder einen Rückfall in die dreißiger Jahre geben. Damals und genauso dann im Jahr 1970, als der ÖVP-Alleinregierung die sozialistische Minderheitsregierung folgte, wurde unter Beweis gestellt, daß die friedliche und ohne jeden Widerspruch erfolgende Machtübergabe zu den größten Vorzügen der parlamentarischen Demokratie gehört. Im Jahr 1970 kam noch ein weiterer Umstand hinzu, dem gar nicht genug Bedeutung beigemessen werden kann. Ich erachte es als staatspolitisch ungemein bedeutungsvoll, daß mit der SPÖ-Alleinregierung die endgültige Integration der sozialistischen Arbeiterschaft in diesen Staat vollzogen wurde.

Wenn durch die Alleinregierung der ÖVP nichts anderes erreicht worden wäre als der Beweis, daß es in Österreich niemals wieder ein Jahr 1934 geben werde und wenn auch die SPÖ-Alleinregierung nichts anderes als die uneingeschränkte Identifizierung der sozialistischen Arbeiterschaft mit ihrem Vaterland Österreich gebracht hätte, dann wären allein schon dieser Fakten und Folgewirkungen wegen die Experimente der beiden Alleinregierungen voll und ganz gerechtfertigt.

Natürlich sind alle Fragen, was Julius Raab zur Entwicklung nach 1964 gesagt und wie er sie zu beeinflussen versucht hätte, rein hypothetisch.

Als einer, der glaubt, ihn und seine Auffassungen über die Fortentwicklung der parlamentarischen Demokratie in Österreich gut gekannt zu haben, meine ich, mit gutem Gewissen und aus ehrlicher Überzeugung sagen zu können, daß er, der begreiflicherweise an der großen Koalition aus voller Überzeugung gehangen ist, alles versucht hätte, sie so lange wie möglich am Leben zu erhalten. Letzten Endes hätte aber auch er sich einer Entwicklung, die zwangsläufig und nicht aufzuhalten war, nicht nur nicht entgegengestellt, sondern, er hätte als Pragmatiker mit Grundsätzen, der er immer gewesen ist, versucht, diese Entwicklung in die richtigen Bahnen zu leiten.

Julius Raab hat nicht zuletzt auf Grund der Erfahrungen, die er in vielen Jahrzehnten politischer Betätigung in der Ersten und in der Zweiten Republik sammeln konnte, vor allem alber auch auf Grund von Überlegungen, die er in der Zeit anstellen konnte, da ihm eine politische Betätigung versagt war, nie den Standpunkt vertreten, nur die und keine andere Regierungsform käme für Österreich in Frage.

Gerade weil uns allen an diesem Staat und an der parlamentarischen Demokratie so ungemein viel gelegen Ist und weil wir aus voller Überzeugung an Österreich, an die pluralistische Gesellschaftsordnung und an die parlamentarische Demokratie glauben — dies nicht zuletzt deshalb, weil wir alles schon einmal verloren hatten und weil uns das Glück zuteil geworden ist, daß wir das eine und das andere wieder besitzen dürfen — müßten wir alles tun, jeweils jene Regierunigsform zu haben, die der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung am meisten entspricht, die den wohlverstandenen Interessen des ganzen Volkes weitestgehend Rechnung trägt und die der Festigung und der Fortentwicklung der parlamentarischen Demokratie in Österreich auch wirklich dient. Entscheidend ist das Erfordernis der Stunde.

In absehbarer Zelt werden die verantwortlichen Politiker auf alle diese Fragen eine Antwort zu geben haben.

Wir hsiben keine Möglichkeit, uns bei Julius Raab, Leopold Figl und Adolf Schärf, die uns vorangegangen sind, einen Rat zu holen. Sehr wohl aber können wir, wenn es um entscheidende Fragen für die Zukunft Österreichs geht, versuchen, Lösungen in ihrem Geiste zu finden. Ich karm mir sehr wohl vorstellen, daß Julius Raab auf die Frage, was zu tun sei, folgendermaßen antworten könnte: Natürlich habt Ihr auch an eure eigene Partei zu denken, in erster Linie aber denkt bei allem, was Ihr tut, an Österreich.

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