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Entscheidend ist der „Common Sense“

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Der kommende Wahlkampf dürfte noch interessant werden. Was professionelle Auguren schon als ..ausgemachte Sache“ (nämlich als „kleine Koalition“) in die Welt posaunten, hat neue Dimensionen erhalten. Nun, seit VP-Obmann Karl Schleinzer das Wort von der Konzentrationsregierung zum richtigen Zeitpunkt und am richtigen Ort — nämlich im Parlament — placierte, hat eine neue Wahlkampfthematik jede andere verdrängt: jetzt geht es nicht darum, ob Bruno Kreisky und sein Team gut oder schlecht regiert haben; jetzt geht es darum, ob die wirtschaftliche Lage so ernst ist, daß man sich Streiterei zwischen Regierung und Opposition nicht leisten kann — und ob die 45 Prozent der Bevölkerung, die in einer „kleinen Koalition“ von SPÖ und FPÖ nicht ihre Interessen gewahrt sehen, zur wirtschaftlichen Mithilfe bereit sind.

Natürlich: der Schachzug der Volkspartei hat einen taktischen, sehr handfesten wahltaktischen Hintergrund. Aber darf er das nicht?

Die emotionell aufgeladenen Attacken Bruno Kreiskys sind verständlich. Er muß um sein Wahlkampfthema bangen. Statt sich den Bonus einer guten Kanzlerschaft abzuholen, werden die Leute jetzt von den Formen künftiger Kooperation reden — und davon, wie schlecht es Österreich wirklich geht. Und immer mehr entgleitet damit das Wahlziel der SPÖ aus den Augen: die absolute Mehrheit zu halten.

Denn das war ja schon 1970 das Dilemma von Josef Klaus. Trotz verlorener Landtagswahlen und schlechter Meinungsforschungen mußte er die Wiedergewinnung der absoluten Mehrheit zum Kampfziel erklären — während damals Bruno Kreisky von der Zusammenarbeit — der notwendigen Zusammenarbeit — sprach.

Heute mobilisiert Bruno Kreisky gegen die Idee der (keinesfalls brandneuen) Konzentration Argumente staatspolitischer Natur. Das ist berechtigt. Denn über das „Schweizer Modell“ kreist seit Jahren unter Politologen und Verfassungsrechtlern ein zäher Streit. Man kam sich dabei nicht näher.

Als Landeshauptmann Niederl — quasi in Testamentsvollstreckung für Josef Krainer — die Konzentrationsregierung („die sich in den Bundesländern bewährt hat“) forderte, stieß es selbst in ÖVP-Kreisen auf Ablehnung. Aber es gibt da einen ganz wesentlichen Unterschied zwischen Niederl vor einigen Monaten — und Schleinzer heute. Niederl will eine Verfassungsänderung — Schleinzer eine auf Zeit bestehende Kooperation ohne jeden vorgezogenen Verfassungsumbau.

Das ist deshalb realistisch, weil derzeit ja von der SPÖ ja auch keinerlei Bereitschaft zu einer Verfassungsreform vorhanden ist — abgesehen davon, daß sie unser landläufiges und sowieso fragiles österreichisches Parlamentarismusverständnis stören würde (ja als „Totaländerung“ sogar einer Volksabstimmung zu unterziehen wäre). Anderseits spricht nichts in unserer Verfassungsordnung gegen eine Aliparteienregierung — wie auch 1970 nichts gegen eine Minderheitsregierung gesprochen hat.

Freilich steht außer Frage, daß eine Allparteienregierung nur dann funktioniert, wenn der Wille zur Zusammenarbeit der beiden großen Partner vorhanden ist. Denn fehlt dieser Konsens von SPÖ und ÖVP, dann würde — in oder außerhalb der Regierung — die FPÖ weit über ihre Stärke den alles entscheidenden Einfluß auf das politische Geschehen erhalten.

Sollte ein solcher Konsens aber aus dem Votum der Wähler abzulesen sein oder durch die Wirtschaftslage erforderlich werden, bleiben einige grundsätzliche Forderungen bestehen — gleichgültig, ob es da eine Konzentrationsregierung oder auch eine große Koalition gibt (die nach wie vor viele als die vernünftigste und probateste Lösung halten):

• Das Recht der Regierungsparteien, Initiativen im Parlament einzubringen, darf nicht beschnitten oder ausgeschlossen werden.

• Die einzelnen Abgeordneten müssen im Parlament für ihre Kontrollaufgaben mehr Spielraum erhalten (weshalb die Geschäftsordnungsreform gerade zur richtigen Zeit kommt), die Klubs sollten die „Leine“ lockern, durch die die Abgeordneten zur totalen Disziplin gezwungen werden.

• Die in der Bundesverfassung ausdrücklich vorgesehenen Volksabstimmungen (Art. 43 B-VG) sollten dann möglich sein, wenn in wichtigen Fragen partout kein Konsens zwischen den Regierungspartnern zustande kommt.

• In der Zeit der Großen Koalition gab es etwas, das Politologen als „Bereichsopposition“ bezeichneten: das heißt, daß jede Regierungspartei die „Bereiche“, vor allem die Ministerien der Gegenseite, de facto kontrollierte und kritisierte. Daran ist nichts Tadelnswertes: und Bereichsopposition ist für die Kontrolle wirksamer als der heutige Zustand, bei dem faktisch ohnmächtige Oppositionsabgeordnete gegen die Phalanx einer allmächtigen Regierung anrennen.

• Im Parlament muß es wirklich wachsende Mehrheiten geben — was bedeutet, daß nicht „stille“ Bündnisse zwischen jeweils 2wei Partnern alle Parlamentsentscheidungen vorwegnehmen dürfen.

• Die Regierungsparteien müssen im Fall jeder Koalition Maßnahmen ergreifen, die den Proporz unseligen Angedenkens nicht wieder entstehen lassen und uns womöglich statt eines Zweiparteien- auch noch einen Dreiparteienproporz bescheren.

Für Österreich ist jede Regierungsform probat, die dem Kleinstaat wirtschaftlich wieder aus der Talsohle hilft und Spannungen vermeidet — als „Common sense“. Auf jeden Fall entscheiden der Geist, und die Gesinnung, die hinter Abkommen stehen.

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