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Entscheidung am Golf

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Dreieinhalb Jahre nach Beginn des Golfkrieges tobt zwischen Irak und Iran derzeit eine erbarmungslose Entscheidungsschlacht. Teheran hat erneut ein Aufgebot an Menschenmassen und fanatischem Siegesglauben mobilisiert. Doch Bagdad beweist Durchhaltekraft.

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Dreieinhalb Jahre nach Beginn des Golfkrieges tobt zwischen Irak und Iran derzeit eine erbarmungslose Entscheidungsschlacht. Teheran hat erneut ein Aufgebot an Menschenmassen und fanatischem Siegesglauben mobilisiert. Doch Bagdad beweist Durchhaltekraft.

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Bagdad war in diesem 1980 vom Zaun gebrochenen Waffengang zunächst der klare Favorit gewesen. Vor zwei Jahren vollzog sich dann im Frühjahr und Sommer 1982 eine überraschende Wende. Iran konnte sein Territorium fast zur Gänze wiedergewinnen. Seitdem ist Teheran die Initiative im Golfkrieg geblieben.

Ebensowenig wie früher den Irakern gelingt es aber nun den Persern, ihre Gegner in die Knie zu zwingen. Und mußte man sich früher nach den Hintergründen des „Wunders von Khusistan" fragen, das Chomeinis Regime vor der allseits erwarteten Niederlage gerettet hatte, so stehen jetzt die Ursachen für das staunenswerte Durchhaltevermögen des Irak im Mittelpunkt des Interesses für die Hintergründe der gigantischen Schlachten zwischen Kurdistan und dem Schatt al-Arab.

Rein militärisch gesehen haben sich die beiden Heerlager bis zu dieser dreizehnten und bisher letzten iranischen Großoffensive im Namen einer „Islamischen Morgenröte" und des Schia-Be-gründers Imam Ali so ziemlich die Waage gehalten. Der zahlenmäßigen Überlegenheit der Perser im Verhältnis von 3:1 stand die wesentlich bessere Schulung, Disziplin und Ausrüstung der irakischen Soldaten gegenüber.

Auch die zunehmende Heranziehung iranischer, doch auch afghanischer „Freiwilliger" zur Unterstützung der regulären Schah-Armee von einst konnte von Bagdad durch den Ausbau seiner Volksmiliz wettgemacht werden.

Die Treffsicherheit und auch sonstige Dominanz der persischen Artillerie wurde von der irakischen Luftwaffe als klarer Herrin des Himmels ausgeglichen.

Neuerdings hat sich dieses doch ziemlich ausgewogene Verhältnis aber klar zugunsten der Islamischen Republik Iran verschoben. Nach dem Massenaufgebot zum fünften Jahrestag der Revolution vom Februar 1979 dürfte die Zahl der an allen Frontabschnitten in fast pausenlosen Wellen anstürmenden Perser das Fünffache der irakischen Verteidiger im Marschland und der Wüste des Südens, den kahlen Hügelzügen von Mandali und den kurdischen Bergen ausmachen.

Auch die Luftüberlegenheit des Irak ist nicht mehr so hundertprozentig, seit Teheran seine von den eigenen Säuberungen zerschlagene • Luftwaffe reorganisieren konnte.

Demgegenüber versucht der irakische Präsident und Oberbefehlshaber Saddam Hussein — abgesehen von der Verteidigung seines Landes und Volkes — in erster Linie den unbändigen Kriegswillen der Perser zu brechen. Dieser ist nach wie vor die eigentliche Geheimwaffe Chomeinis für den militärischen „Export quot; seiner Islamischen Revolution.

Die irakische Beschießung von Verkehrsknotenpunkten im Inneren Irans dient daher nicht nur der Zerstörung von Nachschubzentren und -wegen der Perser, sondern ebenso der Einschüchterung und Ernüchterung der Untertanen der Ayatollahs.

Der primitive, aber psychologisch wirksame Glauben an die Unbesiegbarkeit der Islamischen Republik war bisher ein starkes Rückgrat für die Machthaber in Teheran bei der Zurückweisung aller Friedensangebote aus Bagdad. Dazu kommt noch, daß die neuesten sowjetischen Boden-Boden-Raketen SS-22, die der Irak unlängst erhalten hat, auch beim Beschuß von militärischen Zielen große zivile Verluste in deren Nachbarschaft kaum vermeiden lassen.

Gegen Erdölinstallationen und petrochemische Großanlagen des Iran am Golf können sich die Iraker hingegen der zielsicheren französischen Exocet-Raketen bedienen. Auch hier ist das Ziel nicht nur Zerstörung, sondern ebenfalls psychologische Kriegsführung. Dem pragmatisch und Wirtschafts-orientierten Flügel der „Partei Gottes quot; in Teheran soll damit die Sinnlosigkeit dieser Materialschlachten vor Augen geführt und die „Friedenspartei" in Iran gestärkt werden.

Bis es so weit ist, wird der Irak aber noch schwere Tage und Wochen, wenn nicht gar Monate durchstehen müssen. Doch es gibt Grund zur Hoffnung, daß er das schaffen wird. Der zähe Widerstand seiner Truppen beweist eine ungebrochene Moral und bis zum letzten entschlossenen Verteidigungswillen.

Die Rechnung der Perser mit einem Uberspringen ihres revolutionären Funkens auf die islamischen Massen des Irak ist demnach einfach nicht aufgegangen. Ihre einzigen Verbündeten sind neben dem von Intellektuellen getragenen Geheimbund der „Dau-wa al-Islamia" in den heiligen Schiitenstädten Nadschaf und Kerbeiah ein paar Ayatollahs persischer Herkunft geblieben.

Die sogenannte Islamische Revolution ist eben in erster Linie eine nationale großpersische Angelegenheit. Selbst in Iran vermochte sie weder die türkstämmigen Aserbaidschaner und Kaschkais. obwohl diese auch Schiiten sind

—. noch die sunnitischen Kurden zu begeistern. Und so fühlen sich eben auch die Verteidiger von Basra und Kurna im Südirak weniger als schiitische Glaubensgenossen Chomeinis wie als Araber, die gegen eine Invasion des persischen Erbfeinds kämpfen.

Außerdem hat Saddam Husseins seit 1978 eingeschlagene Abkehr vom areligiösen Ton der irakischen Kommunisten und des mit ihnen sympathisierenden Baath-Flügels allen Re-Islami-sierungstendenzen ihren Nährboden entzogen. Diese konnten in Iran nur wegen der Islamfeindlichen Haltung des Schah so besonders üppig gedeihen.

Eine weitere Stärke des Irak stellt die politische und weltanschauliche Einbindung seiner Armee in das öffentliche Leben dar. Der irakische Baath ist weitgehend eine Soldatenpartei, deren Kader sich in allen Einheiten finden. Umgekehrt sind die Streitkräfte des Irak für die Jugend wichtigste Schule des Bürgerund Gemeinsinns.

Das alles sind Fundamente, an denen der blinde Fanatismus islamischer Revolution und großpersischer Expansion nicht so leicht zu rütteln vermögen.

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