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Entscheidung gegen Mehrkinderfamilien

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„Eine permanente Aufgabe" ortete kürzlich der Leitartikler der sozialistischen „Arbeiter-Zeitung", „damit Kinder weder ein Hindernis für die berufliche Entwicklung der Frau noch eine finanzielle Belastung sind, die die Lebenshaltung der Familie beträchtlich unter jene von Kinderlosen sinken läßt." Diese Aufgabe wahrzunehmen, war anläßlich der beträchtlichen Verteuerung der Grundnahrungsmittel Milch, Käse, Butter, Brot usw. durchaus gegeben.

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„Eine permanente Aufgabe" ortete kürzlich der Leitartikler der sozialistischen „Arbeiter-Zeitung", „damit Kinder weder ein Hindernis für die berufliche Entwicklung der Frau noch eine finanzielle Belastung sind, die die Lebenshaltung der Familie beträchtlich unter jene von Kinderlosen sinken läßt." Diese Aufgabe wahrzunehmen, war anläßlich der beträchtlichen Verteuerung der Grundnahrungsmittel Milch, Käse, Butter, Brot usw. durchaus gegeben.

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Allerdings war es die ÖVP, die noch im Dezember 1979 einen Gesetzesantrag vorlegte, um die Familienbeihilfen generell um 30 Schilling zu erhöhen sowie weitere 150 Schilling ab dem dritten Kind der Familie und ab dem zehnten Lebensjahr dazuzu-schlagen.

Ein Gegenentwurf der SPÖ spürte durchaus andere Notwendigkeiten auf: Obwohl die Verteuerung der Grundnahrungsmittel bereits 1979 das Haushaltsbudget besonders der kinderreichen Familien belastete, unterbleibt auch 1980 eine Beihil-fenanhebung. Erst 1981, wenn die Verbrauchsausgaben sicher bereits

10 Prozent über denen von Anfang 1979 liegen werden, sieht Staatssekretärin Elfriede Karl eine einheitliche Familienbeihilfe von 1000 Schilling für alle Kinder vor sowie einen Zuschlag von weiteren 50 Schilling (100 ab 1982) ab dem zehnten Lebensjahr eines Kindes. Diese Mini-Altersstaffelung bringt für die älteren Kinder eine Anhebung von ganzen fünf Prozent gegenüber kleineren Kindern, obwohl noch jede Kostenrechnung zu dem Schluß gekommen ist, daß die Mehrausgaben mehr als doppelt so hoch sind.

Es kommt aber noch schlimmer: Einheitliche Beihilfen für alle Kinder bedeuten nämlich eine Abschaffung der bisher geltenden Staffelung nach der Kinderzahl, die kinderreichen Familien pro Kopf etwas höhere Beihilfen als der Einkindfamilie gewährte. Das heißt im Klartext: Für das erste Kind steigt die Beihilfe von 910 auf 1000 Schilling, also in etwa um die zu erwartenden 10 Prozent Preissteigerung. Eine Vierkinderfamilie erhält künftig 4000 Schilling statt 3900, also 2,5 Prozent mehr; von Teuerungsabgeltung kann da keine Rede sein.

Für jedes weitere Kind gibt es ebenfalls 1000 Schilling statt bisher 1010, also sogar um 10 Schilling weniger.

Staatssekretärin Karl sieht aber in dieser Regelung keine Benachteiligung kinderreicher Familien. Es sei doch nicht richtig, immer nur die materielle Seite zu betrachten. Kinder bedeuteten doch auch Freude, schwärmt sie. Aber selbst materiell betrachtet habe es die Familie mit mehreren Kindern leichter. Listig wählt Karl als Beispiel dafür eine Familie mit drei Kindern unter sechs Jahren.

Da ein Dutzend Experten-allein für Wirtschaftsfragen trotz jahrelanger Anstrengung für den kostspieligen Familienbericht keine zeitgemäßen Kinderkosten errechnen konnten, greift die Staatssekretärin zur Kostenrechnung des Justizministeriums. In diesef werden die monatlichen Verbrauchsangaben für ein

Einzelkind bis zu drei Jahren mit 1283 und bis zu sechs Jahren mit 1778 Schilling beziffert, hingegen die entsprechenden Pro-Kopf-Ausgaben in einer Dreikinderfamilie nur mit 720 und 1083 Schilling. Diese geringeren Ausgaben gründen sich auf den „Spareffekt", der - angeblich - in größeren Haushalten zum Tragen komme. Stolz stellt daher Karl fest, daß die Famüienbeihilfe von derzeit 2930 Schilling für drei Kinder deren Unterhaltskosten hundertprozentig abdeckt.

Offenbar rechnet sie damit, daß niemand weiter denkt. Etwa daran, daß Kinder älter werden und damit die Kostendeckung immer geringer wird. Selbst nach dem Dreikinderschema des Justizministeriums schnellen die Verbrauchsausgaben pro Kind mit zehn und fünfzehn Jahren pro Kopf auf 1828 und 2154 Schilling.

Auch sollte Staatssekretärin Karl nicht verschweigen, daß sich die Zahlen des Justizministeriums auf die Konsumausgaben des Jahres 1964 stützen und nur auf den Inflationsstand von Juli 1979 hochgerechnet wurden. Seit 1964 haben sich die Konsumgegebenheiten gründlich geändert, auch die verfügbaren Produkte. So bringt es die modische und eher auf Kurzlebigkeit ausgelegte Fertigung von Bekleidung, Gebrauchsgegenständen und Spielzeug mit sich, daß sie oft nicht einmal die Verwendung durch den Erstbenutzer

überleben, geschweige, daß sie an Geschwister weitergegeben werden können.

Und der Spareffekt bei der Ernährung? Karl könnte in ihrem Familienbericht nachlesen, daß es nicht die Einkindfamilien, sondern die kinderreichen Familien sind, die unter die Armutsgrenze sinken und bis zu 45 Prozent des Einkommens auf die Ernährung verwenden müssen.

Im Zusammenhang mit der Frage, ob die Ein- oder Mehrkinderfamilie notwendiger der Förderung bedarf, sollte die Regierung einen Blick über die Grenze riskieren. Auch die sozialdemokratische Gesundheitsministerin Antje Huber hat 1979 in der BRD einen Familienbericht vorgelegt. Ihm ist zu entnehmen, daß die deutsche Bundesregierung „besonderes Gewicht auf den Abbau der Belastungen der Mehrkinderfamilie legt, damit diese Kinder keine schlechteren Entwicklungsbedingungen haben". Und sie berichtete nicht nur zu diesem Thema, sondern handelte auch entsprechend: 1979 wurde die Staffelung des „Kindergeldes" nicht abgebaut, sondern zugunsten der kinderreichen Familien erheblich verbessert: Das Kindergeld wurde für das zweite Kind von 80 auf 100 DM und ab dem dritten Kind von 150 auf 200 DM erhöht, das ist das Vierfache des Kindergeldes für das erste Kind, das mit 50 DM unverändert unterstützt wird.

Diese Reform des Kindergeldes brachte der deutschen Dreikinderfamilie 1979 eine Erhöhung um nicht weniger als 26 Prozent auf umgerechnet 2520 Schilling, die Einkindfamilie hingegen erhält weiterhin 360 Schilling.

Unter dem Titel Familienbeihilfe erhält in Österreich die Dreikinderfamilie hingegen 2930 und die Ein-kindfamüie 910 Schilling ausbezahlt. Die Optik eines generell besseren Lastenausgleiches in Österreich täuscht über den wahren Sachverhalt hinweg! In Deutschland bekommen nämlich die Eltern neben dem Kindergeld eine der Kinderzahl entsprechende Ermäßigung bei der Einkommensteuer, in Österreich gibt es keine solche Differenzierung mehr; dafür bekommen sie hierzulande zur eigentlichen Familienbeihilfe einen Zuschlag von 350 Schilling je Kind, um den sie früher weniger Steuer zahlten.

Um echt vergleichen zu können, muß man die unterschiedliche Form der Steuerermäßigung aussparen und von den der Dreikinderfamilie ausbezahlten 2930 Schilling dreimal 350 Schilling abziehen. Die dann verbleibenden 1880 Schilling stellen die eigentliche Familienbeihilfe dar. Und diese hegt um 640 Schilling unter dem deutschen Kindergeld.

Ungleich besser schneidet dagegen die Einkindfamilie in Österreich ab. Sie erhält 910 Schilling und ihr verbleiben nach Abzug des Zuschlages von 350 Schilling immerhin noch als eigentliche Famüienbeihilfe 560 Schilling, während sie sich in Deutschland mit 360 Schilling bescheiden muß.

Die deutsche Familienpolitik ist von der einleuchtenden Uberzeu gung getragen, daß die Kosten für das einzige Kind aus dem Familienbudget leichter bestritten werden können als die Kosten für mehrere Kinder, deren Mutter in der Regel auch nicht mehr durch außerhäusliche Arbeit das Haushaltsgeld aufbessern kann. Von solcher Logik ist die Familienpolitik der Regierungspartei in unserem Land frei: Sie erhöht vielmehr den Lastenausgleich der Einkindfamilie auf Kosten der Mehrkin-derfamüie.

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