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Entscheidung im Äther?

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Der amerikanische Wahlkampf beginnt traditionsgemäß am labour day anfangs September. Heuer hat er bereits viel früher eingesetzt — nicht zuletzt, weil die Republikaner bis Mitte August um die Nominierung ihres Kandidaten Ford rangen und weil Jimmy Carter, der Bannerträger der Demokraten, bereits seit seiner Nominierung im Juli ein pausenloses Propagandafeuerwerk abzieht.

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Der amerikanische Wahlkampf beginnt traditionsgemäß am labour day anfangs September. Heuer hat er bereits viel früher eingesetzt — nicht zuletzt, weil die Republikaner bis Mitte August um die Nominierung ihres Kandidaten Ford rangen und weil Jimmy Carter, der Bannerträger der Demokraten, bereits seit seiner Nominierung im Juli ein pausenloses Propagandafeuerwerk abzieht.

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iSo kommt es, daß bereits radikale Schwankungen in der öffentlichen Meinung abgelesen wurden, daß Präsident Ford von einem 30-Punkt-Defizit auf ein 10-Punkt-Minus aufholte, um dann wieder auf 15 Punkte zurückzufallen. Das beweist jedenfalls, daß die Wahl noch nicht entschieden ist, daß der Prozentsatz unentschlossener Wähler überaus groß und die betonierte Basis beider Kandidaten relativ klein ist.

Carters Hausmacht liegt im Süden, wo er gute Aussichten hat, 130 Wahlstimmen zu gewinnen — etwa die Hälfte der zur Wahl notwendigen 270. Ford ist im Mittelwesten stark, jedoch nicht so überzeugend wie Carter im Süden. Die geographische Schwerpunktbildung wird jedoch nicht den Ausschlag geben. So hat Carter durch sein merkliches Nach-links-Rüoken — er vergleicht sich häufig mit Roosevelt und bezeichnet sich als einen „Populisten“ — im konservativen Süden leicht enttäuscht. Daß er einen so linksliberalen „Vize“ wie Senator Mondale wählte, hat ihn bei der Mittelklasse, weit über den Süden hinaus — suspekt gemacht und macht ihn für die klassischen Argumente der Republikaner — „Versehwender“, „Budgethasardeur“ — anfällig. Ford hat ausgerechnet, daß Carters Versprechungen 100 Milliarden Dollar im Jahr kosten und die Inflation wieder anfachen würden. Ein Ministerium zum Schutz des Konsumenten klingt im Wahlkampf hervorragend, aber die Forderung verträgt sich schlecht mit den ersten politischen Anläufen Carters, als er ankündigte, die Bürokratie in Washington dezimieren zu wollen.

Stärker ziehen mag seine Charakterisierung Fords als eines „schlafenden, indtiativlosen, unkreativen Statthalters“, der zum Volk keinen Kontakt habe und bloß durch Veto regiere. Damit versucht Carter einen starken taktischen Trumpf ins Spiel zu bringen: Bloß er, der Bannerträger der Demokraten, sei in der Lage, mit dem von Demokraten dominierten Kongreß zusammenzuarbeiten. Ford, der Republikaner, dagegen bedeute eine Lähmung der Regierungstätigkeit, da er sich gegen den Kongreß stellte. Was immer der Präsident vorschlage — meint Carter, das sei sowieso äußerst wenig — werde vom Kongreß abgelehnt, während die Initiative der Parlamentarier auf des Präsidenten Veto stoße. Das Argument vom lahmen Amerika dürfte Carters stärkste Waffe sein, wenn er nicht zu weit nach links rückt und übersieht, daß die Mehrheit der amerikanischen Wähler in der Mitte verankert ist. Manche meinen sogar, etwas rechts vom Zentrum.

Ford verhält sich noch sehr zurückhaltend. Als amtierender Präsident will er demonstrieren, daß er regiert, während sein Gegner redet. Noch ist die Kampagne jung und das Pulver soll trockengehalten werden. Schon mancher Kandidat hat seine Wirkung in den ersten Runden (verpufft. Ford bereitet sich sorgfältig auf die Fernsehauseinanderset-izung mit Carter vor. Hier will er beweisen, daß er Erfahrung besitzt, er will sich staatsmännisch geben und damit von einem Gegner abstechen, den viele — nicht nur Republikaner *— als Schaumschläger abtun wollen.

Tatsächlich ist es so, daß Carter „menschlicher“ wird, je mehr er redet. Der Unfehlbarkeitsnimbus ist bereits mehrfach durchlöchert, er hat sich einige Male in Widersprüche verfangen, und während die Presse anfänglich gebannt auf das neue politische Phänomen starrte, entdeckt sie jetzt plötzlich Menschliches, allzu Menschliches. Der Heiligenschein ist immer eine schwere Belastung, im Wahlkampf kann er zum Bleigewicht werden. Je öfter nach einem Profil gerufen wird, nach Programmen und politischen Ideen, desto intensiver muß Carter formulieren, desto verwundbarer wind er. Ihm, dem es gelungen war, die Nominierung seiner Partei förmlich zu erspielen, ohne sein wahres Gesicht zu zeigen, muß jetzt wie Lohengrin Auskunft geben, „wes Art er sei“. Hierin liegt die Ursache der etwas abgerutschten Position Carters und für das Aufholen Fords.

Sehr klar kommt das in der Frage der Schwangerschaftsunterbrechung zum Ausdruck. Zu diesem Thema hatte Carter im Vorwahlkampf kaum Stellung genommen. Er wußte, daß er als Baptist südstaatlicher Prägung bei den katholischen Wählern sowieso nicht gut ankomme und daß es daher am besten sei, diesem Problem auszuweichen. Als Kandidat mußte er Sich aber der katholischen Bischofskonferenz stellen und Farbe bekennen. Er sei an sich gegen Schwangerschaftsunterbrechung, und seine Regierung werde alles tun, um Eingriffe überflüssig zu machen. Aber er sei auch gegen ein verfassungsmäßiges Verbot der Unterbrechung ebenso wie gegen eine Verfassungsänderung, die den Gliedstaaten das Recht einräumen werde, lokale Entscheidungen zu treffen. Für die Bischöfe war dieser Standpunkt unbefriedigend, und sie fanden, daß des Präsidenten Auffassung zu diesem Thema etwas flexibler sei. Fond, obwohl selber Protestant, macht sich auch große Hoffnungen auf die Stimmen der Katholiken, die vor allem in den großen Industriezentren besonders zahlreich sind.

Die nächste Entscheidung liegt also am Fernsehschirm. Hier wird die Persönlichkeit und das Fachwissen geprüft. Der Präsident erwartet sich in beiden Bereichen viel. Er, der an sich kein mitreißender Sprecher ist, hofft durch Solidität und Erfahrung zu wirken und glaubt, daß übertriebene Brillanz und falsches Pathos erkannt und nicht ankommen würden. Da überdies die sachlichen Standorte der beiden Kandidaten nicht so weit auseinanderliegen, könnte die Entscheidung tatsächlich in den Ätherwellen liegen.

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