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Entscheidung in Freiheit als politische Maxime

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Das Selbstbestimmungsrecht steht wieder im Zentrum der politischen Diskussion in Südtirol (FURCHE 22/1983). Der Autor dokumentiert die internationale Entwicklung.

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Das Selbstbestimmungsrecht steht wieder im Zentrum der politischen Diskussion in Südtirol (FURCHE 22/1983). Der Autor dokumentiert die internationale Entwicklung.

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Das Selbstbestimmungsrecht der Völker wurde in den beiden Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen vom 19. Dezember 1966 weltweit vertraglich verankert. Die beiden Pakte sind nach Hinterlegung der jeweils 35. Ratifikationsurkunde im Jahre 1976 in Kraft getreten.

Schon seit etwa Mitte des 19. Jahrhunderts hatten sich Erscheinungsformen eines Selbstbestimmungsrechts in einer — allerdings nicht universellen — Staatenpraxis entwickelt.

Diese war auf das Recht nationaler Souveränität (Einigung Italiens) bezogen und unterschied sich demnach wesentlich von dem heute völkerrechtlich gesicherten Selbstbestimmungsbegriff.

Gegen Ęnde des Ersten Weltkrieges entwickelte der amerikanische Präsident Wilson in seinen „Vierzehn Punkten“ selbstbestimmungsrechtliche Gesichtspunkte als politische Maxime. Sie setzten sich jedoch nicht durch.

Immerhin kam es aufgrund der Pariser Friedenskonferenz für einen Teil der betroffenen „Bevölkerungen“ zu plebiszitären Abstimmungen (z. B. Südkärnten, Nordschleswig, Marienwerder und Allenstein, Oberschlesien, Ödenburg/Sopron).

In der Völkerbund-Ära wurden — sozusagen als Surrogat für ein noch fehlendes völkerrechtlich verankertes Selbstbestimmungsrecht - Regeln für einen internationalen Minderheitenschutz entwickelt.

Eine Reihe einschlägiger Verträge wurde geschlossen, in anderen Fällen Minderheitenschutzansprüche in Form von Deklarationen einzelner Staatsregierungen zugestanden und in weiterer Folge durch Resolutionen des Völkerbundrates sanktioniert.

Während des Zweiten Weltkrieges und in den Jahren danach hat das Selbstbestimmungsrecht der Völker einen ungeheuren Rückschlag erlitten. Es ergaben sich aber auch schon gegenläufige Erscheinungen.

Inder Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945 wird bereits von dem „Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker“ (Artikel 55) sowie davon gesprochen, „die Selbstregierung zu entwickeln, die politischen Bestrebungen dieser Völker gebührend zu berücksichtigen und sie bei der fortschreitenden Entwicklung ihrer freien politischen Einrichtungen zu unterstützen ...“ (Artikel 73).

Unter Beeinflussung durch die Vereinten Nationen erlangten in der Folge die meisten der unter kolonialer Herrschaft stehenden Völker bis in die sechziger Jahre ihre eigene- staatliche Souveränität. Allerdings wurden die Grenzen nicht nach ethnischen Gesichtspunkten festgelegt — wie es dem Selbstbestimmungsrecht entsprechen würde —, sondern in der Regel nach der künstlichen Grenzziehung der ehemaligen Kolonien.

Der beim Ende des Zweiten Weltkrieges zu verzeichnende Tiefpunkt wurde indes überwunden.

Uber die Charta der Vereinten Nationen von 1945 und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948, die ein Verbot der Diskriminierung u. a. wegen der Rasse, Farbe, Sprache oder Herkunft vorsieht, kam es schließlich im Jahre 1966 zu den eingangs erwähnten zwei Pakten der Vereinten Nationen über bürgerliche und politische Rechte sowie über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, deren übereinstimipende Artikel 1 wie folgt lauten:

„Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung,“

„Alle Völker können für ihre eigenen Zwecke frei über ihre natürlichen Reichtümer und Mittel verfügen, unbeschadet aller Verpflichtungen, die aus der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf der Grundlage des gegenseitigen Wohles sowie aus dem Völkerrecht erwachsen. In keinem Falle darf ein Volk seiner eigenen Existenzmittel beraubt werden.“

„Die Vertragsstaaten, einschließlich der Staaten, die für die Verwaltung von Gebieten ohne Selbstregierung und von Treuhandgebieten verantwortlich sind, haben entsprechend den Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen die Verwirklichung des Rechts auf Selbstbestimmung zu fördern und dieses Recht zu achten.“

Das Selbstbestimmungsrecht der Völker wurde auch in die KSZE-Schlußakte vom 1. August 1975 einbezogen, wo es in Korb 1, Prinzip VIII u. a. heißt:

„Die Teilnehmerstaaten werden die Gleichberechtigung der Völker und ihr Selbstbestimmungsrecht achten ... “

„Die Teilnehmerstaaten bekräftigen die universelle Bedeutung der Achtung und der wirksamen Ausübung der Gleichberechtigung und des Selbstbestimmungsrechts der Völker für die Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zwischen ihnen sowie zwischen allen Staaten; sie erinnern auch an die Bedeutung der Beseitung jeglicher Form der Verletzung dieses Prinzips.“

Der Autor leitet die Forschungsstelle für Nationalitätenrecht und Regionalismus der Universität Innsbruck.

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