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Entscheidung ohne uns ?

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Während das Haas-Haus Ecke Stephansplatz/Graben abgetragen wird, gerät Hans Holleins Plan eines Neubaues ins Kreuzfeuer der Kritik. Hier sind die Gegner am Wort.

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Während das Haas-Haus Ecke Stephansplatz/Graben abgetragen wird, gerät Hans Holleins Plan eines Neubaues ins Kreuzfeuer der Kritik. Hier sind die Gegner am Wort.

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„Sie hab'n a Haus baut“, so sang der Maler, Sänger, Tänzer und Lautenist Arik Brauer vor fünfzehn Jahren. Es möge ihm erspart bleiben, in zwei Jahren vor einem Haus am Stock-im-Eisen-Platz wie an einer Klagemauer sein altes Lied neu anzustimmen. Das Haus, das Architekt Hans Hollein, gefördert von Bürgermeister Helmut Zilk, im Auftrag von Zentralsparkasse, Städtischer Versieherung und Bestattungsunternehmen „Wiener Verein“ anstelle des im Abbruch befindlichen Haas-Hauses bauen möchte, könnte Anlaß für derartige Lamentationen sein.

Vorgeschichte und Stand der Entwicklung sind bekannt: Die Abbruchgenehmigung für das Haas-Haus wurde vom Wiener Gemeinderat ohne wesentliche Debatte im zwar nicht institutionalisierten, aber diesfalls praktizierten großkoalitionären Zusammenspiel genehmigt. Desgleichen die Vorverlegung der nach dem Krieg mit Rücksicht auf den Dom zurückversetzten Baulinie.

Das Hollein-Haus brächte aber in seiner gegenwärtigen Planung nicht nur durch die Ausnützung dieser veränderten Baulinie, sondern vor allem durch die Errichtung eines Turmes auf Stelzen und mit goldenem Dachaufbau eine arge Beeinträchtigung des Domblicks vom Graben her mit sich. Der Hollein-Turm ist der Stein des Anstoßes, an dem sich vor allem die Geister scheiden.

Daß es überhaupt zu einer solchen Scheidung der Geister in einer gewissen, bei weitem noch nicht ausreichenden Öffentlichkeit gekommen ist, kann einem Proponentenkomitee, einer Bürgerinitiative und einigen für die Diskussion offenen Medien zugute geschrieben werden.

Der Wiener Stephansplatz ist nicht das Privatgrundstück des Bürgermeisters, einiger Bauherren und eines wenn auch noch so angesehenen Architekten. In der ähnlichen, nur von der örtlichkeit nicht annähernd so brisanten Auseinandersetzung um das geplante „Republikhaus“ auf dem freien Platz vor der Albertina erklärte Bürgermeister Zilk, nachdem sich die Bezirksvertretung gegen den Bau ausgesprochen hatte, daß ein solches Vorhaben nicht nur die Bewohner des 1.

Bezirkes, sondern alle Wiener anginge.

Der verstorbene Stadtrat Jörg Mauthe hat geschrieben: „Der Stephansplatz ist eine Angelegenheit der ganzen Stadt und des ganzen Landes. Die Öffentlichkeit hat unbedingt das Recht, über alle, auch die kleinsten Vorgänge, die zu einer Neugestaltung führen, genauestens unterrichtet zu werden.“ Das war 1950.

Ganz im Sinne von Helmut Zilk und Jörg Mauthe ist jetzt die breiteste Öffentlichkeit für die Erörterung des Holleinplanes zu fordern. Und nicht bloß für die Erörterung! Auch die letzte Entscheidung hat die Öffentlichkeit und nicht ein Bauherr und die Baubehörde Zu fällen. Diese Forderung ist nicht Ausdruck einer banau-senhaften Gesinnung oder des Bestrebens, die „Freiheit der Kunst“, die auch der Architekt für sein Werk in Anspruch nehmen kann, zu beschränken.

Architektur unterscheidet sich jedoch wesenhaft von allen anderen Künsten: Sie ist von ihrer Natur her eine öffentliche Angelegenheit. Wer Ligeti nicht hören will, muß nicht eines seiner Konzerte besuchen; wer Grass nicht schätzt, muß kein Buch von ihm kaufen, und wer Brauer nicht mag, muß keinen Poster von ihm aufhängen. Aber wer Hollein und seinen Turm nicht sehen möchte, wird nicht herumkommen, es dennoch tun zu müssen. Außer er verzichtet darauf, seinen Fuß auf den Stephansplatz zu setzen.

Kunst darf durch ein Bürgervotum nicht vergewaltigt werden. Aber auch die Bürger müssen sich von Kunst nicht vergewaltigen lassen. Das ist die „demokratische Dimension“ der Architektur und Städteplanung. Sie ist von allen zu respektieren: von Politikern, Bauherren und Architekten.

Frühere Beiträge zum Thema Haas-Haus in der FURCHE Nr. 50/85 und 8/86.

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