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Entscheidung schon vor dem Konklave?

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„Se non avessi fatto il vescovo, avrei voluto fare il giornalista“ („Wenn ich nicht Bischof geworden wäre, hätte ich Lust gehabt, Journalist zu werden“), zitierte die römische Zeitung „Il Tempo“ in ihrer Sondernummer zur Papstwahl ein vorausgegangenes Gespräch mit dem Patriarchen von Venedig. Der Sohn eines Maurers, der in seiner kargen Freizeit seine Lektüre zwischen Plutarch und Goethe wählt, der Dickens und Mark Twain zitiert, ist nicht nur erfreulich aufgeschlossen für die Notwendigkeiten der Massenkommunikation, sondern fallweise auch selbst beliebter Autor von Leitar-

tikeln seiner heimatlichen Zeitungen - durchaus nicht nur der Kirchenblätter.

Er mag es selbst bedauert haben, daß er mit seiner Wahl die Profi-Kollegen von der italienischen und der internationalen Presse so restlos desavouieren mußte - war doch dieser Ausgang des Konklaves von niemandem erwartet worden, nicht nur was die Dauer, sondern ebenso, was die Person betraf.

Wie hatten sich die Vatikanastrologen in den Tagen vor dem „Extra om- nes“ überschlagen! Wie hatten die Zeitungen immer neue Berechnungen, schließlich sogar mit dem Computer, angestellt, um herauszubekommen, was die Kardinale in ihren vierzehn Generalkongregationen ausgekocht und hinter strengem Schweigen verborgen hatten!

Kardinal Baggio, Präfekt der Bischofskongregation, schien Spitzenreiter zu sein; die Kardinale Pignedoli, Bertoli, Pironio wurden unter den hoffnungsvollsten Kandidaten genannt. Erst im weiteren Kreis möglicher Namen, die rund zwei Dutzend umfaßten, tauchte auch der Patriarch von Venedig auf, von dem man nicht recht wußte, wie weit man ihn zu den „Konservativen“ rechnen mußte.

Gerade von den römischen Kurien- kardinälen erzählte man sich, daß sie recht intensiv für sich Stimmung zu machen wußten. Boshafte Witze gingen um von jenem Kardinal, der auch viel genannt wurde - aber kein „R“ im Namen trüge. Es wäre ja nach römischer Prophezeihung notwendig, daß auf einen Papst ohne R (Montini) ein solcher mit R im Namen folge. Also wolle jener seinen Namen ändern und ein R statt eines N einsetzen. J ,n

Dabei scheint um diese Zeit« Mitte der vergangenen-Woche “ die-Wahl bereits weitgehend vorbestimmt gewesen zu sein, sonst wäre es kaum möglich gewesen, das Ergebnis bereits am Ende des ersten Wahltages, im vierten Wahlgang fixiert zu haben, nicht später als bei Pius XII., der jedoch als Kandidat schon vorher sicher erschienen war.

Nach dem Einzug ins Konklave am Freitag, hofften fast 800 Berichterstatter, nun wenigstens bis Sonntag mittag Ruhe zu haben, um die Materialien rund um Konklave und Papstwahl aufzuarbeiten. Dann aber ging es schneller als erwartet - schon die erste „sfumata nera“, der erste schwarze Rauch, kam um gut eine Stunde früher als erwartet, schon um 12.01 nach Abschluß der ersten beiden Durchgänge. Der nächste Rauch würde gegen 19 Uhr kommen, hieß es.

Schon eine Stunde vorher füllten gegen hunderttausend Menschen das große Rund vor dem Petersdom. Als dann tatsächlich der Rauch aufstieg - genau um 18.30 Uhr mischte sich Zweifel in den Jubel; war das weiß oder schwarz? Erst am nächsten Tag sickerte durch, daß die beiden Knie des Ofenrohres, durch das der Rauch auf das Dach der Sixtina abgeleitet wurde, Anlaß zu Kondensatiorisbil- dungen gegeben hätten, mit denen der Rauch ins Graue verfärbt worden sei.

Dreiviertel Stunden dauerte es noch, bis Kardinal Villot von der Benediktionsloggia herunter die alte Formel sprach: „Ich verkündige euch eine große Freude - habemus Papam!“ Albino Luciani, Patriarch von Venedig, hatte sich als Papst den Namen Johannes Paulus I. gegeben.

Der Jubel der Massen bei solcher Verkündigung ist traditionell - wen immer der Kardinalerzdiakon nennt. Der Jubel überdeckte die Sensation, das Erstaunen - wer ist dieser Luciani?

Um 19.30 Uhr, 27 Stunden nach dem Einzug in das Konklave, trat der neue Papst vor die Menschen, segnete sie, seine Stimme schwankte. Auch er konnte die innere Bewegung noch nicht beendigen. Auch er stand unter dem Bann des Ereignisses, das er nicht erwartet hat - auch wenn dann seine bisherigen Begleiter den umfragenden Berichterstattern zu künden wußten, „Don Albino“ habe in den vergangenen Tagen ganz anders gewirkt als sonst, irgendwie bedrückt von dem Schicksal, das er herankommen sah, das er nicht gewollt hätte, dem er sich aber nicht verschließen j | r.

Am nächsten Tag dann standen, die Menschen bis weit irf die’Vitk delle Conciliazione hinaus Kopf an Kopf. 150.000 schätzten die einheimischen Blätter. Sie waren gekommen, um dem neuen Papst an seinem ersten Tag zuzujubeln und um mitgerissen zu werden von seiner so menschlich-einfachen Art, mit der er nun so manches Problem in Liebe und Gottvertrauen lösen soll, das der Kirche in den vergangenen Jahren bedrohlich erschienen ist.

Wie schrieb doch Martin Buber? „Herr, ich stehe vor Dir wie ein Botenjunge und warte, wo Du mich hinschickst.“ Ein Wort, das auch für Albino Luciani, den Kaplan in Canale d’Agordo, den Bischof von Vittorio Veneto, den Patriarchen von Venedig, den 264. Mann auf dem Stuhl Petri, immer gegolten hat.

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