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Enttäuschte Hoffnungen

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Ein syrischer Christ gibt hier ein erschütterndes Zeugnis ab und schildert, wie er in der Türkei einem militanten Islam und in Westeuropa einem salzlosen Christentum, das in seinen Augen diese Bezeichnung gar nicht mehr verdient, begegnete.

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Ein syrischer Christ gibt hier ein erschütterndes Zeugnis ab und schildert, wie er in der Türkei einem militanten Islam und in Westeuropa einem salzlosen Christentum, das in seinen Augen diese Bezeichnung gar nicht mehr verdient, begegnete.

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Ich heiße Fikri Axan und bin Syrer, geboren in einem Dorf in der Nähe von Midyat in der Türkei. Damals zählte das Dorf noch 80 Familien: 70 christliche Familien und zehn mohammedanische Familien. Mein Name Axan wurde uns vom türkischen Staat aufgezwungen, unseren syrischen Namen, Davout, mußten wir in den Jahren 1945-1950 aufgeben. Mein Vorname Fikri ist arabisch: er wird von Moslems und Christen gleichermaßen benutzt; mein Vater wollte uns keine rein christlichen Vornamen geben, denn er selbst hatte aufgrund seines syrischen Vornamens viel zu leiden, besonders in der Armee.

Die Anmerkungen zum Namen zeigen bereits, wie schwierig die Situation derChristen in Mesopotamien ist. Ich möchte einige weitere Beispiele der Verfolgung aufzeigen, die ich entweder selbst erlebt habe oder die mir von Menschen, die mir nahestanden, erzählt wurden. □ Um unsere Muttersprache, das Altsyrische, erlernen zu können, mußten wir entweder in ein Kloster gehen oder in den Religionsunterricht der Gemeinde. Diese beiden Orte waren in den Augen des türkischen Staates rechtlos. Wer im Kloster studiert, wird als Waise angesehen, der nicht die notwendigen Mittel besitzt, eine weiterführende Ausbildung in den staatlichen höheren Schulen durchlaufen zu können. Das Kloster war gehalten, uns diese Studien zu bezahlen, und so wurden uns Stunden in Syrisch erst am Abend erteilt, wenn wir aus der türkischen Schule zurück waren, sowie am Wochenende. Aber nach und nach wurden uns auch diese Stätten der Zuflucht genommen, denn der Staat hat die Klöster, die noch eine Verbreitung der christlichen Kultur möglich machten, geschlossen. Das Kloster St. Johann oder das Kloster Derez-Za'faran wurde 1978geschlos-sen. Nur das Kloster St. Gabriel existiert heute noch. Die Schüler in den staatlich geführten Schulen wagen nicht zu gestehen, daß sie Christen sind, um nicht völlig ausgeschlossen zu werden. Um hier unterrichten zu können, mußten Christen ihre Vornamen ändern.

Bücher für den syrischen Religionsunterricht sind strengstens verboten. Wird ein solches Buch bei jemandem gefunden, droht ihm eine lebenslange Gefängnisstrafe. So werden Bücher in altsyrischer Sprache immer seltener, besonders nach Schließung des Klosters St. Johann, das eine eigene Druckerei besaß. Diese kostbaren Bücher, die von der Identität der Syrer Zeugnis geben, werden in diesem Kloster streng verschlossen gehalten, und es ist verboten, sie anzusehen. Dieses Erbe ist heute Eigentum des türkischen Staates.

□ Entführungen von jungen christlichen Mädchen durch Moslems, die sie heiraten wollen, sind häufig und bleiben seitens der moslemischen Regierung unbestraft. 1984 wurde meine Cousine entführt, und bis zum heutigen Tage haben ihre Eltern kein Lebenszeichen von ihr: Alle Eingaben bei den staatlichen Institutionen verliefen ergebnislos.

□ In dem Dorf, in dem ich gelebt habe, gehörten die meisten Christen zur wohlhabenden Mittelschicht: sie arbeiteten als Friseure, Juweliere, Gemüsehändler und besonders als Schneider. Aufgrund ihrer wirtschaftlich günstigen Lage waren diese Kaufleute - und sind es noch heute -Opfer von Angriffen. Erst in den beiden letzten Monaten, im September und Oktober 1991, wurden in dem Dorf Enhil (Yemisli) ein Mann und seine Schwester getötet. Der Staat gibt vor, daß diese Massaker das Werk von Kurden seien; die Kurden sagen, es sei das Werk von Verbrechern. In Wirklichkeit sucht niemand nach den wahren Schuldigen.

□ In den Personalausweisen ist die Religion angegeben. Es ist daher leicht, einen Christen zu identifizieren. Es ist also ähnlich wie bei den Juden in der Nazizeit.

□ Um eine Position als Staatsbeamter zu bekommen, wurden viele Christen gezwungen, zum Islam überzutreten.

□ Der Militärdienst ist obligatorisch: dies ist die wohl schmerzhafteste Periode für die Christen: Hier sind sie allen möglichen Schikanen ausgesetzt, sowohl in Worten als auch in Taten. Ihnen wird die schwere und mühsame Arbeit zugewiesen. Es gibt wohl kaum einen Christen, der nicht seinen Dienst in der Armee abgeleistet hat. Darüber hinaus sind viele junge Syrer gestorben oder verschwunden, spurlos. Die Militärschulen sind für Syrer gesperrt.

□ Die religiösen christlichen Feiertage werden vom Türkischen Staat nicht anerkannt, deshalb können sie nur heimlich gefeiert werden. An diesen Feiertagen müssen die Kinder in die türkische Schule gehen. Wenn sie nicht hingehen, um trotzdem ihr Fest zu feiern, werden sie bei ihrer Rückkehr in der Schule mit extrem harten Strafen bedacht. Im allgemeinen wagen sie es gar nicht, von diesen Festen in der Schule überhaupt nur zu sprechen.

□ In den Städten oder Dörfern, wo es keine Christen mehr gab, oder wo ihre Zahl infolge der Auswanderungen nur noch minimal war, hat der Staat die Kirchen beschlagnahmt und in Museen umgewandelt. Es ist auch vorgekommen, daß einzelne Moslems sich diese Stätten aneigneten und Moscheen oder aber auch Stallungen daraus machten. Die Kirche von Deriz bin (Kloster von St. Zibin) ist heute eine Moschee, und die Kirchen von Kerburan und Basak dienen heute als Ställe.

□ Es war nicht nur untersagt, Syrisch zu erlernen, sondern sogar verboten, Aramäisch zu sprechen, in unserem Gebiet der Dialekt. Der Staat benutzte Spione oder setzte auch die Polizei ein: alle, die sich in einer anderen Sprache ausdrückten als dem Türkischen - dies galt insbesondere für das spezifisch christliche Aramäisch -wurden ins Gefängnis geschickt.

□ In den türkischen Gefängnissen waren die Christen eine Randgruppe und wurden sowohl von den übrigen Gefangenen als auch von den Wärtern gemieden. Viele Christen sind im Gefängnis gestorben oder sind darin „verschwunden", ohne daß es eine Möglichkeit gibt, in Erfahrung zu bringen, was aus ihnen geworden ist.

□ In den letzten Jahren haben arme Moslems reiche Syrer ungestraft angegriffen und getötet, ihre Häuser und ihre Ländereien ohne irgendeinen Vertrag an sich gerissen: Der Staat ließ es geschehen.

Alles das haben wir erlebt, und einige von uns durchleiden es heute noch in Mesopotamien. Diejenigen, die emigriert sind, sind nicht in ein anderes Land gegangen, um der Not zu entrinnen, nein, sie waren nicht arm. Es waren keine wirtschaftlichen Gründe, die sie ins Exil getrieben haben; ihr einziges Ziel war es, ihr Leben zu retten, in ein christliches Land zu gehen, um ihrem Glauben, ihrer Religion und ihren Traditionen leben zu können.

Leider, und ich unterstreiche dieses Wort, haben wir uns getäuscht, denn wir haben nicht das gefunden, was wir uns erhofft haben. Die Länder, in denen wir untergekommen sind, sind nicht christlich, Europa ist nicht christlich, die ganze Welt oder fast die ganze Welt hat kein Interesse am Christentum. Wir sind in Sozialwohnungen untergebracht, aus denen Ghettos für Ausländer geworden sind. Der Westen erkennt uns nicht als politische oder religiöse Flüchtlinge an, sondern stellt uns mit den Wirt-schaftsflüchtlingen auf eine Stufe. Die Länder, die Wirtschaftsbeziehungen zur Türkei unterhalten, ignorieren uns: der Türkische Staat darf auf keinen Fall in Mißkredit gebracht werden. Was im Westen in erster Linie zählt, das ist die Wirtschaft und das Geld. Jeder für sich! Warum sollte man sich auch für die Probleme von Leuten interessieren, die kein Geld einbringen, Ausländer, die nicht einmal die Sprache des Landes sprechen.

Wir Syrer, die wir in den Westen ausgewandert sind, wir möchten gern einige Wünsche formulieren: Wir möchten als ein Volk gelten, und zwar voll und ganz; wir möchten als religiöse Flüchtlinge anerkannt werden, denn wir haben Mesopotamien nicht aus wirtschaftlichen Gründen verlassen, sondern um unser Leben zu retten. Für diejenigen unteruns, die noch dort sind, möchten wir, daß ihre religiöse und politische Situation von den westlichen Demokratien anerkannt wird. Aber vielleicht muß auf diese Situation erst einmal aufmerksam gemacht werden. Wir möchten unsere Sprache und unsere Religion gleichwertig wissen mit der jüdischen oder islamischen Kultur. Mit allem Respekt möchte ich eine Frage an d;e führenden Politiker der Länder richten, die uns aufnehmen: Warum billigen Sie den Lehrern der islamischen Religion so viele Rechte zu, was häufig einen regelrechten Bekehrungseifer zur Folge hat, während die syrischen Priester nicht einmal als Priester anerkannt werden und die syrische Religion nirgendwo offiziell gelehrt wird? Selbst wenn Unterrichtsmöglichkeiten zum Erlemen der syrischen Schrift oder Religion in Gemeindesälen organisiert werden, so sind es meistens Freiwillige, die dort unterrichten, die dafür also nicht bezahlt werden, selbst wenn sie die erforderlichen Diplome besitzen.

Im Gegensatz zu dem, was man annehmen könnte, hat die Emigration Verlierer aus uns gemacht: Wir haben zwar die Freiheit gewonnen, aber alles andere haben wir verloren: Arbeit, Wohlstand und sogar die Geborgenheit und das Glück in der Familie, denn wir fühlen uns nicht wohl in der Konsumgesellschaft, auf die wir nicht vorbereitet wurden und die zwischen Eltern und Kindern einen Graben schafft; Eltern, die sich nicht mehr anpassen können und Kinder, die in dieser Beziehung schnell „verwestlichen".

Der Beitrag wurde der FURCHE von „Kirche in Not" zur Verfügung gestellt.

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