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Entwicklung und Frieden durch echte Solidarität

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„Entwicklung und Solidarität - zwei Schlüssel zum Frieden“ ist Motto des Weltfriedenstages 1987. Seit 20 Jahren versucht die katholische Kirche jeweils am Neujahrstag, die Menschen besonders für den Frieden zu sensibilisieren.

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„Entwicklung und Solidarität - zwei Schlüssel zum Frieden“ ist Motto des Weltfriedenstages 1987. Seit 20 Jahren versucht die katholische Kirche jeweils am Neujahrstag, die Menschen besonders für den Frieden zu sensibilisieren.

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„Entwicklung und Solidarität — zwei Schlüssel zum Frieden“ ist das Leitwort, das Papst Johannes Paul II. dem Weltfriedenstag am 1. Jänner 1987 gegeben hat. - Mit dem Hinweis auf das Stichwort „Entwicklung“ hat er eine Perspektive aufgezeigt, die im katholischen Bereich nicht neu ist. Schon vor nun bald 20 Jahren hat sein Vorgänger Paul VI. in „Popu-lorum Progressio“ (1967) formuliert, daß „Entwicklung“ der neue Name für Frieden sei.

Daß die Verminderung des Nord-Süd-Konfliktes dem Frieden dient, ist nicht nur von kirchlicher Seite oft und oft gesagt worden und bedarf daher hier keiner näheren Erläuterung.

Anders ist es mit der „Solidarität“. Dieser Begriff ist ein gängiger Ausdruck geworden, wird ständig beschworen und gefordert. Er ist Parole für zahlreiche Aktionen und Aufrufe protestierender Gruppen. Fast täglich werden wir aufgefordert, uns solidarisch zu erklären: mit Nikaragua, mit Ungeborenen, mit der Friedensbewegung. Nicht zuletzt mit Polens „Solidarnosc“, dem Inbegriff gewerkschaftlicher Emanzipationsbewegung.

Auch in theoretischen Überlegungen schillert der Begriff zwischen verschiedenen Interpretationen: er ist ein Grundsatz der Katholischen Soziallehre und zugleich eine sozialistische Kampflosung.

Gewiß — eine vage Vorstellung hat wohl jeder. Solidarität hat etwas mit einem Mit- und Füreinander der Menschen zu tun, ist eine besondere Art der Verbundenheit Sie ist ein Begriff, der offensichtlich positiv besetzt ist.

Daß Solidarität ein Kernbegriff für Johannes Paul II. ist, hängt sicherlich mit seiner Biografie zusammen. Bekannt ist, daß er sich in seinen Werken oft mit dem Philosophen Max Scheler auseinandergesetzt hat, jenem Denker, der sich um eine Theorie der Person und eine Theorie der Solidarität bemüht hat.

Aber auch die christliche Theologie ist immer im Zeichen der Solidarität gestanden. Denn der Sinn der Existenz wird nach christlichem Glauben dadurch gewonnen, daß Gott sich mit Christi Opfertod in unüberbietbarer Weise mit dem Menschen solidarisiert hat. Von daher ist nach Auffassung der Christen eine Solidarisierung auch zwischen den Menschen möglich und aufgetragen.

Unter dieser Perspektive betrachtet der Papst nun offensichtlich auch das weltweite Zusammenleben. Die Entwicklung zu mehr Menschlichkeit und Friede müßte und könnte im Zeichen der Solidarität vor sich gehen.

Das schließt nach seiner Auffassung die Uberwindung von Ideologien, die Haß und Feindschaft proklamieren, ebenso ein wie den Ausgleich von Interessengegensätzen zwischen Nord und Süd, den Abbau der internationalen Verschuldung oder die Flüchtlingsproblematik.

Aber kann damit schon alles gesagt sein? Genügt der Hinweis darauf, daß die Menschheit in ei-, nem Boot sitzt, ein gemeinsames Schicksal vor sich hat, um menschliche Beziehungen so zu verändern, wie es das Uberleben aller erfordert? Und wenn es gilt, die Beziehungen, „die uns mit jeder Person und mit jeder Gruppe in der Welt verbinden“, solidarisch zu machen, was heißt das konkret?

Gewiß wird Solidarität zunächst und am ehesten noch in der Familie erlebt und gelernt. Aber sie wird immer weniger verständlich, je abstrakter eine Beziehung ist und je umfassender eine gesellschaftliche Größe ist.

Ist außerdem die Solidarität der Menschheitsfamilie wirklich so „elementar“, daß sich daraus die Lösung aller Probleme von selbst ergibt?

Der Papst setzt, wenn er sich von der Solidarität so viel erwartet, voraus, daß dabei nicht nur die Bereitschaft zum Wohlwollen und die Gesinnung des Füreinander notwendig sind, sondern auch das Wissen um die richtige Problemlösung, ohne das der gute Wille ohnmächtig bleibt.

In der Alltagssprache ist Solidarität aber längst eine Aller-weltsformel mit ganz verschiedenen Inhalten geworden: Für die einen muß sie den Arbeitslosen gelten, für die anderen der Dritten Welt, manche wiederum postulieren die „antiimperialistische Solidarität“, und wiederum andere fordern Solidarität gegen die Apartheid, und Frauen sollen auch untereinander, das heißt gegen die Männer, solidarisch sein.

Uberhaupt geht es bei vielen Solidaritätsappellen „gegen etwas“ oder „gegen jemanden“. Oft wird sie auch beschworen, um die, „die nicht mit uns ziehen wollen“, als rückständig, egoistisch und unmoralisch zu brandmarken.

Und manchmal wird die Solidaritätsparole zu einem Kampfmittel in einer Auseinandersetzung, deren wirkliche Ziele man nicht immer leicht durchschauen kann.

Es käme also darauf an zu erkennen, was im besondern die Ziele und Wege des Handelns in den verschiedenen Bereichen sind.

Welche Bedürfnisse haben die jeweils „anderen“? Wie kann man sich mit ihnen identifizieren? Und wie ist Vertrauen, Verzicht auf Manipulation oder auf Überlegenheit gegenüber dem anderen - denn das sind die Merkmale der Solidarität - auf die Ebene der Organisationen und Institutionen der Staaten zu übertragen? Wie kann erreicht werden, daß Distanz geübt wird zu sich selbst und den eigenen Werten? Weder Mitleid noch Humanitätsgefühle allein sollen dominieren, sondern gegenseitige Anerkennung.

Auf einige Wegweiser hat der Papst in seiner Botschaft aufmerksam gemacht. Jetzt muß es darum gehen, die Wege gang- und lebbar zu machen.

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