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Entwurf der Bundesverfassung ist ein höchst modernes Gesetz

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Zwei Jahrzehnte lang bemühte man sich in der Schweiz um eine Totalrevision der Bundesverfassung. Jetzt ist es soweit: Nach Anhörung („Vernehmlassung“) aller hierfür in Frage kommenden verfassungsmäßigen Organe, aber auch von Fachleuten des Verfassungsrechtes, konnte Ende Februar der Entwurf der neuen Verfassung in einer als endgültig angesehenen Fassung, die von allen im Bundesrat vertretenen politischen Parteien gutgeheißen wurde, abgeschlossen werden.

Der Text der vorgesehenen neuen Bundesverfassung geht nicht so weit in Richtung sozialer Grundrechte und übermoderner gesellschaftspolitischer Ideen wie die Verfassung des neuen frankophonen Kantons Jura.

Die Präambel ist sehr kurz, dies im Gegensatz etwa zu den eher schwülstigen Präambeln der neuen sowjetischen Verfassung von 1977 oder auch der neuen jugoslawischen Verfassung. Ihr Wortlaut ist so eindrucksvoll, daß er hier zitiert werden soll: „Im Namen Gottes des Allmächtigen! Im Willen, den Bund der Eidgenossen zu erneuern; gewiß, daß frei nur bleibt, wer seine Freiheit gebraucht, und daß die Stärke des Volkes sich mißt am Wohl der Schwachen; eingedenk der Grenzen aller staatlichen Macht, und der Pflicht, mitzuwirken am Frieden der

Welt, haben Volk und Kantone der Schweiz folgende Verfassung beschlossen:“.

Allein schon die Anrufung Gottes ist bemerkenswert und ebenso bedeutsam ist die Erkenntnis der Grenzen aller staatlichen Macht. Neu ist der Hinweis auf die Pflicht, am Frieden der Welt mitzuwirken. Dieses Bekenntnis finden wir freilich auch in den meisten kommunistischen Staatsverfassungen. Hier wird es wohl auf die Handhabung ankommen.

Im ersten Teil des Entwurfes werden die Grundrechte und die staatsleitenden Grundsätze aufgezählt, wobei erstmals auch soziale Grundgedanken zum Ausdruck kommen. Dies neben dem Bekenntnis zur freiheitlichen Demokratie, die ja auch für Österreich die Grundlage ist. Der neue Kanton Jura wird im Bundesstaat bereits in Klammern angeführt. Neu sind auch die Grundsätze von Umweltschutz und Raumplanung, Amtshaftung als Verfassungsprinzip (in Österreich nur einfaches Bundesgesetz), die Unantastbarkeit der Menschenwürde (in Österreich jetzt aber via facti vom Verfassungsgerichtshof anerkannt, der die Verletzung der Menschenwürde durch Kärntner Gendarmeriebeamte gegenüber Slowenen in zahlreichen Fällen erst kürzlich festgestellt hat), das Ver-

bot der Todesstrafe, das Asylrecht für politische Flüchtlinge (bei uns noch kein Verfassungssatz, sondern nur einfachgesetzlich zugesichert; die Schweiz arbeitet aber zudem an einem äußerst modernen neuen Asylgesetz), das Verbot entschädigungsloser Enteignung (in Österreich ,keine Verfassungsnorm), Anspruch auf - allenfalls kostenlosen - Rechtsschutz (im neuen SPÖ-Parteiprogrammentwurf vorgesehen), Rechte auf Kollektiv-Arbeitsverträge, Ordnung des Unternehmens, Verbot der Steuerflucht und der Steuerhinterziehung (als Verfassungnorm ein Novum).

Das föderalistische Prinzip wird im Rahmen des allgemein Vertretbaren noch weiter ausgebaut, wobei im zweiten Teil, der nun den Beziehungen zwischen Bund und Kantonen gewidmet ist, auch der kooperative Föderalismus verankert ist. Dabei wird das Subsidiaritätsprinzip (Art. 47) verankert: Der Bund, dessen Recht jenem der Kantone vorgeht, hat also nur in Kantonsaufgaben einzugreifen, wo die Kantone nicht imstande sind, das Notwendige vorzukehren. Dennoch wird aber die Bundeskompetenz offensichtlich auf vielen Gebieten gegenüber der heutigen Situation gestärkt • ,

Wie in allen Bundesstaaten, somit auch Österreich, besteht in Kompetenzbereichen, die nicht dem Bund ausdrücklich zugewiesen sind, Lan-des(Kantons-)zuständigkeit (Art. 52), soweit Bundesgesetze nichts anderes bestimmen. Diese Einschränkung ist theoretisch schwerwiegend, nicht aber im Falle der Schweiz, die ja eine echte Länderkammer (Ständerat) auch weiterhin haben wird, die zusammen mit dem Nationalrat die Bundesversammlung bildet. Ein Ubergehen der Kantone ist nicht möglich.

Neu ist die Verankerung der politischen Parteien in der Verfassung (Art. 68). Ebenfalls neu ist der Konsumentenschutz als Verfassungsprinzip. Das Kulturprogramm (Art. 36) der Verfassung ist unter anderem auf Bewahrung der lokalen und regionalen Eigenständigkeit und auf den Schutz bedrohter Minderheiten gerichtet, zur Frage der Bildungspolitik liegen aber noch keine endgültigen Vorschläge vor.

Alles in allem ist der Entwurf, der wohl in absehbarer Zeit, wenn auch noch mit Einzelausformungen dem Plebiszit unterworfen werden wird, ein höchst modernes Gesetz.

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